Heiko Vogel erinnert sich noch genau an seine erste Begegnung mit Niklas Dorsch. "Da habe ich sofort gemerkt, dass er ein besonderer Typ ist. Er steht vor dir, hat Augen, die dich anblitzen und einen gewissen Schalk im Nacken", sagt Vogel im exklusiven Gespräch mit SPOX und Goal : "Man hat einfach gesehen, dass er ein Fußballer durch und durch ist, gepaart mit einem Selbstbewusstsein, das er auch haben durfte aufgrund seines Talents. Ihm war schon früh klar, dass er im Fußball etwas erreichen kann, wenn er alles dafür tut."
Dorsch spielte seinerzeit in der U17 des FC Bayern, Heiko Vogel arbeitete ab 2015 beim Rekordmeister als U23-Trainer und Nachwuchskoordinator in Personalunion.
"Ich habe Dorschi in diversen Trainingseinheiten und Spielen der U17 gesehen. Ich habe dann relativ schnell das Gespräch mit ihm gesucht und ihm gesagt: 'Dorschi, mit Dir würde ich in jedes Duell ziehen, mit Dir habe ich vor keinem Gegner Angst.' Er war einfach herrlich unbeeindruckt von allem", so Vogel, der in Absprache mit Matthias Sammer, Pep Guardiola, Hermann Gerland und U19-Trainer Holger Seitz in jenem Sommer entschied, Dorsch gleich aus der U17 zu den Amateuren hochzuziehen.
Heiko Vogel: "Wir haben an Niklas Dorsch geglaubt"
"Wir haben an ihn geglaubt und wollten ihm dieses Gefühl auch entsprechend geben. Man muss immer das Wohl des Ganzen sehen, aber vor allem das Wohl des Spielers", sagt Vogel: "Wir haben diese Entscheidung gemeinsam diskutiert und getroffen. Dabei kommt es natürlich auch auf die Situation des Vereins an. Wenn die U19 beispielsweise ohne Dorschi zusammengebrochen wäre, hätten wir sicher auf einer anderen Ebene diskutiert. Klar war, dass es nur Sinn macht, wenn er bei mir wirklich spielt und nicht nur auf der Bank sitzt, um reinzuschnuppern. Es war für mich völlig klar, dass er zu fördern ist."
In seiner ersten Seniorensaison 2015/16 kam Dorsch primär aufgrund der U17-Europameisterschaft sowie einer Verletzung nur auf sechs Einsätze in der Regionalliga Bayern. In der darauffolgenden Spielzeit machte er allerdings bereits 24 Spiele, 23 davon über die vollen 90 Minuten.
"Dorschi hat eine gewisse Zeit gebraucht, um sich zu akklimatisieren. Bei ihm ging es darum, dass er seine Power, die er zweifelsfrei hat, im Seniorenbereich über 90 Minuten auf den Platz bringt. An die physischen Anforderungen musste er sich gewöhnen", erinnert sich Vogel.
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Niklas Dorsch "hat seine Rolle perfekt gespielt"
Konkret ging es bei Dorsch darum, "länger seine Leistung zu bringen, besser regenerieren zu können und eine längere Konzentrationsfähigkeit zu haben. Der Tiger (Hermann Gerland, Anm. d. Red.) war immer ein Antreiber bezüglich der Verbesserung seines Laktatwertes. In diesem Bereich konnte Dorschi eben etwas verbessern, was er im Laufe der Zeit auch getan hat."
Dennoch lief die Integration in die U23 gut, wie Vogel betont: "Dorschi und Fabian Benko waren damals unsere Nesthäkchen. Wir hatten gestandene Spieler wie Kapitän Karl-Heinz Lappe, Nicolas Feldhahn oder Torsten Oehrl. Dorschi hat ausgezeichnet, dass er genau wusste, welche Rolle er im Team hat - und die hat er perfekt gespielt."
Dorsch sei als damals 17-Jähriger zwar "nicht als Führungsspieler aufgetreten, er hat sich aber auch nicht versteckt, sondern Verantwortung übernommen. Er wollte jedes Spiel gewinnen und hat dafür auch mal jemanden zusammengestaucht oder motivierend eingegriffen. Aber alles in einem perfekten Rahmen."
Niklas Dorsch im Steckbrief
geboren 15. Januar 1998 in Lichtenfels Größe 1,78 m Gewicht 76 kg Position zentrales Mittelfeld starker Fuß rechts Stationen 1. FC Baiersdorf Jugend, Deutsch-Tschechische Fußballschule, 1. FC Nürnberg Jugend, FC Bayern Jugend, FC Bayern, 1. FC Heidenheim Spiele/Tore in der 2. Liga 62/3
Mittelfeldtalente haben es beim FC Bayern "sauschwer"
Dass Dorsch nur ein Spiel für die erste Mannschaft der Bayern absolvierte, ehe er im Sommer 2018 zum FC Heidenheim wechselte, führt Vogel vor allem auf die große Konkurrenz zurück. "Wenn wir ehrlich sind, ist es doch sauschwer, bei Bayern einer der Glücklichen zu sein. Insbesondere bei den Mittelfeldspielern muss man sich nur das Personal der vergangenen Jahre anschauen", meint Vogel, der in diesem Zuge darauf verweist, dass selbst Spieler wie Toni Kroos einst einen Umweg nehmen mussten.
Kroos wiederum war für Dorsch einst "der erste Spieler, von dem ich mir etwas abgeschaut habe". Das verriet der inzwischen 22-Jährige 2017 im exklusiven Gespräch mit SPOX und G oal und zeigte sich dabei insbesondere von Kroos' Spielübersicht, seiner Passgenauigkeit und seiner Ruhe am Ball beeindruckt.
"Toni ist nicht bekannt dafür, gegen den Ball ein unglaublicher Terrier zu sein, hat aber eine unglaubliche Passqualität und eine unfassbare Präzision, die selbst im Weltfußball seinesgleichen sucht", sagt Vogel, der dort durchaus Parallelen zu seinem ehemaligen Schützling sieht. "Auch Dorschi ist links wie rechts ein super Passspieler, insbesondere in Bezug auf Seitenwechsel und Spielverlagerungen. Zudem verbindet ihn mit Toni seine Antizipationsfähigkeit. Wenn es darum geht, nie überrascht zu werden, geht das bei den beiden in eine ähnliche Richtung."
Niklas Dorsch "eher ein Spielertyp wie Lothar Matthäus"
"Für mich", sagt Vogel jedoch, "ist Dorschi eher ein Spielertyp wie Lothar Matthäus. Er denkt bloß etwas defensiver und muss noch ein bisschen torgefährlicher werden. Von der Spielweise kann man ihn auch mit Leon Goretzka oder Thomas Delaney vergleichen. Dorschi ist ein Powertyp, der die anderen mitreißt, ein dynamischer, technisch guter, aber eben primär defensiv orientierter Box-to-box-Spieler. Ich habe meine Zusammenarbeit mit ihm auf fußballerischer und menschlicher Ebene sehr genossen. Für unsere Gegner war er immer ein extrem unangenehmer Gegenspieler."
Dass sich Dorsch bei Heidenheim als Stamm- und Führungsspieler in der 2. Bundesliga etabliert hat, ist für Vogel dementsprechend keine Überraschung. "Bei Heidenheim hat er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten durchgesetzt und ist jetzt quasi unverzichtbar", meint der 44-Jährige, der Dorsch "auf jeden Fall dauerhaft in der ersten Liga" sieht.
"Das", sagt Vogel, "hat er einfach drauf. Er ist noch nicht am Ende seiner Leistungsfähigkeit. Man muss in diesem Zusammenhang aber auch festhalten, dass es neben Talent in einer Karriere auch Glück und einen Trainer braucht, der voll auf dich steht. Wenn sich für Dorschi so eine Konstellation ergibt, wenn er verletzungsfrei und klar im Kopf bleibt, dann kann es für ihn auch richtig nach oben gehen."