Am Ende gab es kein Halten mehr. Nach den massiven Fanprotesten trat Clemens Tönnies am Dienstagnachmittag nach 19 Jahren als Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04 zurück.

Entscheidend für den Schritt waren neben dem Aufstand der Basis auch der massive Corona-Ausbruch in seiner Fleischfirma, der so von ihm mitverantwortete Lockdown im Kreis Gütersloh und sein dadurch entstandenes miserables Image in der Öffentlichkeit. "Meine Aufgabe ist es, mich aktuell voll und ganz auf mein Unternehmen zu konzentrieren, es erfolgreich durch die schwerste Krise seiner Geschichte zu führen", erklärte Tönnies.

Die Schalker Vereinsführung wurde vom Rückzug komplett überrascht. Es gab allerdings entgegen erster anderslautender Berichte auch keine Bemühungen mehr, Tönnies davon abzuhalten. Vielleicht hatte sich der 64-Jährige auch an seine Ankündigung zum 60. Geburtstag erinnert, mit "63 oder 65" sei für ihn Schluss, sagte er damals: "Ich muss weder bei Schalke, noch bei Tönnies mit dem Rollator rausgeschoben werden." Nun verlässt er Schalke zwar auf zwei Beinen, aber nicht gänzlich erhobenen Hauptes.

So alternativlos die Entscheidung am Ende offenbar war, so groß ist auch das Vakuum, das der langjährige Patriarch nun bei den Königsblauen hinterlässt. Wie geht es weiter auf Schalke - sportlich und vor allem wirtschaftlich? Ein Überblick.

  • Aufsichtsrat

Einstimmig wählte das Kontrollgremium noch am Abend den bisherigen Tönnies-Stellvertreter Jens Buchta zu dessen Nachfolger. Der 57-Jährige übte das Amt bereits im Vorjahr drei Monate kommissarisch aus, als Tönnies wegen seiner rassistischen Entgleisungen über "die Afrikaner" drei Monate suspendiert war.

Buchta ist seit 2006 im Aufsichtsrat und damit jetzt das am längsten durchgehend amtierende Mitglied. In diesem Jahr feiert er zudem seine 40-jährige Vereinsmitgliedschaft. "Bei uns zu Hause war Schalke immer ein Thema: Großmutter, mein Vater, die ganze Familie. Das hat sich auch bei meinen beiden Kindern fortgesetzt, die sind auch beide schon Mitglied. Wenn man einmal diesen Schalke-Bazillus in sich hat, kommt man davon nicht mehr los", erklärte der Jurist aus Kaarst am Niederrhein bereits 2008 in einem Interview mit der Rheinischen Post .

Schalke 04 muss "Chance zur Runderneuerung" ergreifen

Im Gremium galt er als loyaler Berater und Vertrauter von Tönnies, der seit einigen Jahren ohne echte Opposition schalten und walten konnte, wie er wollte. Daher wird der bislang unauffällige Buchta nun im Rampenlicht ein eigenes Profil entwickeln müssen, ansonsten könnte ihm auf der nächsten Mitgliederversammlung die Abwahl drohen.

Fachlich immerhin kann Schalke die Expertise des Rechtsanwalts in einer Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei gut gebrauchen. Denn sowohl bei den Fragen einer Insolvenz oder Sanierung, als auch einer Ausgliederung der Profifußballsparte aus dem Verein kennt sich Buchta bestens aus. Er ist vor allem im Gesellschaftsrecht und bei Transaktionen im Unternehmensbereich tätig.

Offen bleibt, ob sich bei der wegen der Corona-Pandemie nach wie vor nicht terminierten Mitgliederversammlung frische Kandidaten finden, die für einen Neuanfang stehen. Als prominentester Bewerber gilt bisher Ex-Profi Hans Sarpei. "Die entscheidende Frage wird sein, ob der Verein nun die Chance zur Runderneuerung nutzen wird", sagt ein Schalke-Kenner.

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  • Vorstand

Der Tag des Tönnies-Abschieds war auch der letzte Arbeitstag nach 27 Jahren für Ex-Finanzvorstand Peter Peters. Wen auch immer der Aufsichtsrat auf seiner Klausurtagung im Juli zum Nachfolger bestimmt (als Topkandidat wird Alexander Wehrle vom 1. FC Köln gehandelt): dem neuen Mann steht angesichts der Verbindlichkeiten von 197 Millionen Euro und der erwarteten Mindereinnahmen eine Mammutaufgabe bevor.

Der Kostendruck ist angesichts fehlender Einnahmen (keine Zuschauer, kein internationaler Wettbewerb) so hoch, dass Peters nach Informationen von SPOX und Goal zuletzt gezwungen war, die ausstehenden zwei DFL-Raten der Fernsehgelder bereits an Banken zu verpfänden. Zudem soll das Land Nordrhein-Westfalen mit einer Bürgschaft über 40 Millionen Euro bereitstehen.

Offen ist angesichts der Wirtschaftskrise und der sportlichen Talfahrt auch die künftige Sponsorensituation. Eine Verlängerung mit Hauptgeldgeber Gazprom etwa ist ohne den für den Deal verantwortlichen Tönnies zumindest in der aktuellen Größenordnung (20 Millionen Euro im Jahr plus Boni) fraglich. Schalke ist daher zu einem radikalen Sparkurs gezwungen. Nicht nur bei den Ausgaben für die Profimannschaft.

Schalke 04: Jobst fehlt nun die Rückendeckung von Tönnies

"Der heutige Tag ist eine Zäsur für den FC Schalke 04. Ein 'Weiter so' wird es und kann es nicht geben", sagte Marketing-Vorstand Alexander Jobst dazu auf der Pressekonferenz am Mittwoch. Das dürfte auch für Jobst selbst gelten, der bei den Fans seit Jahren umstritten ist und dem ab sofort die Rückendeckung durch seinen bisherigen Unterstützter Tönnies fehlt.

Vermutlich auch ein Grund für den fast kleinlauten Auftritt von Jobst. "In den vergangenen Monaten hat Schalke 04 in der Öffentlichkeit ein miserables Bild abgegeben. Wir haben Fehler gemacht, für die wir uns entschuldigen müssen", sagte er. "Die Verantwortung tragen wir, der Vorstand, und wir müssen tunlichst dafür Sorge tragen, dass diese Dinge nicht mehr passieren. Wir wissen, dass wir sehr viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt haben."

Da weder Jobst noch der eher introvertierte Sportvorstand Jochen Schneider für einen echten Neuanfang stehen, benötigt Schalke neben einem Finanzfachmann eigentlich so schnell wie möglich ein neues Gesicht an der Vorstandsspitze. Gerade nach dem Rückzug des inoffiziellen Vereinsbosses Tönnies, der bisher faktisch alle wesentlichen Entscheidungen abgesegnet hat.

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  • Trainer

Trotz der katastrophalen Rückrunde ohne Sieg in den vergangenen 16 Spielen und dem Abrutschen vom fünften auf den zwölften Platz gab Schneider David Wagner eine Jobgarantie. "Es ist eine ganz klare Entscheidung, dass wir mit dem Trainerteam weitermachen. Ich habe totales Vertrauen", sagte der Sportchef.

Man habe die Spielzeit analysiert und wolle nun wieder an die starke Hinrunde anknüpfen, ergänzte Schneider: "Es waren für unseren Kader, für die Breite, die Tiefe und die Balance leider zu viele Verletzte", meinte er mit Blick auf die zweite Saisonhälfte. "Solange David Wagner das Gros des Kaders zur Verfügung hatte, haben wir attraktiven und erfolgreichen Fußball gespielt." Ähnlich sah es sein Coach. "Wir haben die Saison mit zwei verschiedenen Mannschaften gespielt", analysierte er. "Ich bin der sportlich Verantwortliche, und zwar für beide Phasen - auch für die gute."

Schalke hält an Trainer Wagner fest: Sehnsucht nach Kontinuität

Für den Einbruch nannte der Coach zwar mehrere Gründe, maßgeblich seien aber vor allem die lange Verletztenliste und die Ausfälle wichtiger Leistungsträger gewesen. Darauf hat der Klub nun durch den Rauswurf der Athletik- und Konditionstrainer Bob Schoos und Klaus Luisser sowie die Rückkehr von Fitmacher Werner Leuthard reagiert, der schon unter Felix Magath auf Schalke tätig war.

Trotz dieser Maßnahmen und der Rückendeckung von oben ist Wagner gleichwohl intern nicht nur wegen der fehlenden Ergebnisse, sondern auch wegen seines Umgangs mit der Mannschaft alles andere als unumstritten. Im Amt hält den einstigen Trainer der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund auch die Tatsache, dass Schneider endlich Kontinuität auf der wichtigsten Position will, eigentlich kein Geld für eine Abfindung da ist und sich zudem auf dem Markt derzeit keine wirklichen Alternativen aufdrängen. Dennoch könnte sich Schneiders Bewertung nach einem Fehlstart in die neue Saison rasch ändern.

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  • Mannschaft

Wagner ist um seine Aufgabe ohnehin nicht zu beneiden. Denn seinem Team, das laut eigener Aussage schon in den vergangenen Monaten in der Bundesliga nicht mehr konkurrenzfähig war, droht ein Aderlass. Mindestens neun Spieler sollen nach Angaben der WAZ abgegeben werden, zudem will man auch bislang verliehene Akteure mit hoch dotierten Verträgen wie Sebastian Rudy oder Mark Uth möglichst schnell loswerden.

Darüber hinaus plant Schalke offenbar eine Gehaltsdeckelung im Bereich von rund 2,5 Millionen Euro, auch wenn Schneider die konkrete Summe am Mittwoch nicht bestätigen wollte und wohl von Fall zu Fall entscheiden möchte. Generell aber ist eine deutliche Reduzierung des Spieleretats zwingend. Das Lizenzspielerbudget sei der "größte Hebel" und das "Image von Schalke war zuletzt nicht, dass man hier wenig verdient", sagte Schneider. Daher soll es auch einen weiteren Gehaltsverzicht geben: "Wir kommen nicht umhin, hier einen Kompromiss zu erzielen."

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Schalke 04 in der kommenden Saison: Der Blick geht nicht mehr nach oben

Als Konsequenz könnten Stammkräfte wie Benjamin Stambouli oder Nationalspieler Suat Serdar auf einen Vereinswechsel drängen. Schalke würde so zwar wichtige Transfereinnahmen verbuchen, die Qualität des Kaders aber weiter nachlassen. Schon jetzt ist allen Beteiligten klar, dass weit mehr Talente aus der Knappenschmiede eingebaut werden müssen und dass angesichts dieses Umbaus der Blick in der Tabelle nicht mehr nach oben gehen kann.

"Wir werden die sportlichen Ziele für ein, zwei, drei Jahre verändern müssen", erklärte Jobst. "Wir können nicht realistisch die Annahme treffen, dass wir die nächsten Jahre mit einer Reduzierung des Personaletats Europa erreichen."