Von außen kam es schon immer recht trist, von innen schon immer recht klein daher. Zu Beginn des Jahrtausends verwandelte sich das Estadio Riazor, die Spielstätte des heutigen Zweitligisten Deportivo La Coruna, aber Woche für Woche in einen stimmungsgeladenen Hexenkessel, den unzählige Mannschaften gefürchtet haben.
Große internationale Teams wie der AC Mailand, der dort 2004 eine epische 0:4-Klatsche im Viertelfinale der Champions League kassierte. Aber natürlich auch die spanischen Riesen aus Madrid und Barcelona. In der galicischen Hafenstadt erinnern sie sich besonders gerne an den 19. Mai 2000 zurück. Damals machten die Blanquiazules mit einem 2:0-Sieg gegen Espanyol den bis heute einzigen Meistertitel ihrer Klubgeschichte perfekt.
"Ich habe die Bilder noch genau vor meinen Augen", sagt Augusto Cesar Lendoiro, der damalige Präsident von Depor. "Vor Freude weinende Spieler auf dem Rasen und so viele Fans, die sich in den Armen lagen. Nach diesem Spiel haben wir die größte Party unseres Lebens gefeiert." Mittendrin: Roy Makaay. Der niederländische Mittelstürmer, vor der Saison von Absteiger Teneriffa gekommen, erzielte mit 22 Toren ein Drittel aller Depor-Tore.
Roy Makaay mit 22 Toren - aber Depor war nicht nur Makaay
"El milagro del Superdepor", das Wunder von Superdepor, war aber mehr als Gesamtwerk einer Mannschaft zu betrachten, die nie aufgab. Einer Mannschaft gespickt mit Talenten und Kampfeswütigen. Wo Schöngeister wie der Brasilianer Djalminha, der den Ball auch während eines Sprints leichtfüßig zu jonglieren oder seine Gegenspieler mit dem legendären Trick von Jay-Jay Okocha zu vernaschen vermochte, ebenso Platz hatten wie Energiebündel wie Kapitän Fran Gonzalez oder Victor Sanchez, der hoch veranlagte Rechtsaußen.
Das Herzstück der Mannschaft bildeten aber Mauro Silva und Flavio Conceicao, zwei erstaunlich defensivstarke Brasilianer, die aggressiv verteidigten und das Spiel nach Ballgewinn mit ihrer Übersicht schnell ins letzte Drittel verlagerten. In der Viererkette räumte Donato auf, noch so ein eher untypischer Brasilianer. Die Balance stimmte. Depor war so etwas wie das spanische Leicester City. Ein unheimlich gutes Kollektiv mit ein paar Einzelkönnern, die Unvorhergesehenes machten.
"Trumpf Riazor": Real bekam von La Coruna sogar fünf Stück
Gleichwohl war die Meistermannschaft nie frei von Aussetzern. Depor verlor in jener Saison elf Spiele. Dass dem Team von Trainer Javier Irureta am Ende 69 Punkte reichten, um Meister zu werden, war auch der Inkonstanz der Konkurrenz geschuldet. Real gewann in jener Saison zwar die Champions League, landete in der Meisterschaft aber nur auf Platz fünf. Louis van Gaals Barca, der ärgste Mitstreiter um den Titel, stolperte in der Rückrunde mehrfach auf durchaus vermeidbare Art und Weise und musste sich mit dem zweiten Platz zufrieden geben.
"Es war eine verrückte Saison, in der jeder jeden schlagen konnte", so Ex-Depor-Boss Lendoiro. "Unser Trumpf", erzählt Meistercoach Irureta, "war das Riazor". 16 der 19 Heimspiele entschied sein Team für sich. Unvergessen: die 5:2-Gala gegen die Königlichen aus Madrid am 6. Februar 2000, als Makaay schon nach sechs Minuten die Führung besorgte und sogar später dessen Ersatzmann, Turu Flores, einen Doppelpack schnürte. Allen voran Djalminha, der Schütze zum 2:0, erteilte dem Weißen Ballett eine Lehrstunde. Real reiste mit zehn Punkten Rückstand auf den Tabellenführer zurück in die Hauptstadt. "Es war einer dieser Abende, an denen alles lief", so Irureta.
So richtig glaubten sie in Galicien aber bis zum Schluss nicht an die Meisterschaft. Und sie hüteten sich davor, das Wort Meisterschaft überhaupt in den Mund zu nehmen. 1994 hatten sie bereits vor dem Coup gestanden. Ein Sieg am letzten Spieltag gegen Valencia hätte gereicht, doch Depor kam nicht über ein 0:0 heraus. Tragischerweise verschoss Miroslav Djukic einen Elfmeter in der 90. Minute und das Riazor verwandelte sich in ein Tränenmeer. "Natürlich kam uns der Fehlschuss von Djukic in der Endphase der Meistersaison wieder in Erinnerung. Das konnten wir nicht ausblenden", sagt Lendoiro.
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La Coruna: "Es gab Mannschaften, die mehr Qualität hatten"
Im entscheidenden Spiel gegen Espanyol war aber schnell alles klar. Ein Kopfballtreffer von Donato nach einer Ecke von Victor und ein weiterer Streich von Makaay besiegelten schon in Halbzeit eins den Triumph, "den der Fußballgott uns schuldig war", wie Donato anschließend sagte. Der damals 37 Jahre alte Routinier hatte nach der Tragödie von 1994 versprochen, so lange zu spielen, bis er eines Tages Meister wird. Bei der Meisterfeier am Plaza de Cuatro Caminos trugen ihn die Fans auf ihren Schultern.
"Es gab Mannschaften, die mehr Qualität hatten als wir. Aber wir hatten noch diesen Willen, es unbedingt zu schaffen. Deshalb kann man auch nicht von einer glücklichen Meisterschaft sprechen. Die Zahlen lügen nicht. Wir übernahmen am 12. Spieltag die Tabellenführung und gaben sie nicht mehr her", so Irureta.
Ein "Hochgenuss" voller Emotionen und Nerven sei jene Saison gewesen. Selten erlebte der spanische Fußball eine außergewöhnlichere. Eine, in der Real und Barca nicht einmal Nebenrollen einnahmen und die Außenseiter auftrumpften. Neben dem Depor-Titel kam es nämlich zu weiteren Kuriositäten: Espanyol krönte sich zum Pokalsieger, mit Salva Ballesta von Racing Santander avancierte ein No-Name zum Torschützenkönig (27 Treffer) und der Torhüter mit den wenigsten Gegentoren (37) war Martin Herrera von Deportivo Alaves. Heute unvorstellbar.
Deportivo La Coruna im Steckbrief
Vereinsname Real Club Deportivo de La Coruna Spitznamen Depor, Blanquiazules, Herculinos Gründungsjahr 1906 Stadion Estadio Riazor Zuschauerplätze 32.660 Präsident Fernando Vidal Trainer Fernando Vazquez Platzierung vergangene Saison 6 Platzierung aktuelle Saison 19