Es gibt nichts, was man noch über den Basketball-Spieler Michael Jordan sagen kann, das nicht längst gesagt wurde. Mit der jüngeren Generation kann er sich nicht mehr messen, er muss es auch nicht. "The Last Dance" hat ein weiteres Mal untermauert, warum der sechsmalige Champion allen, die nach ihm kommen, in zumindest einer Hinsicht immer etwas voraushaben wird.

Kein NBA-Spieler vor oder nach ihm war jemals in der Lage, sich selbst und seine "Marke" so gut zu kontrollieren und zu vermarkten wie Jordan. 1984 revolutionierte er mit "Air Jordan" die Sportwelt, brachte Nike, der NBA, ihren TV-Partnern und nicht zuletzt sich selbst Milliarden ein, lieferte eine Blaupause, die seither jeder Superstar auf die eigene Karriere anzuwenden versucht.

36 Jahre später hat er bewiesen, dass seine Marke und der "Mythos Jordan" auch fast zwei Jahrzehnte nach dem finalen Rücktritt nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt haben. Nun hat er auch im Feld der Sport-Dokus den neuen Maßstab gesetzt. Auch in Sachen Promo: Seine geäußerte Angst, Leute könnten diese Serie schauen und ihn danach für einen "miesen Typen" halten, war wie so oft in allererster Linie brillantes Marketing.

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"The Last Dance": Kein objektives Dokument

"The Last Dance" ist eine großartig produzierte Serie, die den Zuschauer in eine glorreiche Zeit zurückwirft und Jordan in einer Art und Weise zu Wort kommen lässt, wie man sie noch nicht kannte. Das macht sie unheimlich sehenswert und unterhaltsam. Ein Enthüllungsdokument oder eine objektive Nacherzählung ist das Ganze aber nicht.

Viele der Anekdoten bezüglich Jordans Tyrannei gegenüber seinen Mitspielern waren längst bekannt, viele weitere, die man etwa aus "The Jordan Rules" (Sam Smith) oder "Playing for Keeps" (David Halberstam) kennen konnte, wurden ausgelassen. Was in Ordnung ist; etwas ärgerlicher waren einige Aussagen in der Serie, die faktisch falsch waren.

Etwa zum Thema Isiah Thomas: Jordan sagt, er hätte Thomas' Namen nie genannt und sich nicht gegen dessen Olympia-Teilnahme ausgesprochen. "Dream Team"-Autor Jack McCallum hat eine gegensätzliche Aussage Jordans auf Band. Diese Aufnahme wird den Großteil des Millionen-Publikums nicht erreichen, das die Darstellung aus "The Last Dance" für bare Münze nimmt.

Wie die Hall-of-Fame-Rede von Michael Jordan

Die Doku erinnert teilweise an Jordans Hall-of-Fame-Rede: Er begleicht alte Rechnungen und hat das letzte Wort, weil Sieger eben Recht haben, sein Erfolg rechtfertigt alles. Dabei ist die Erklärung oft diffiziler, auch bei der Auflösung des Teams im Sommer 1998. Jerry Krause bekommt dafür posthum den schwarzen Peter zugeschoben, dabei hatte dieser nicht mal bei den Bulls das letzte Wort.

Die Doku erzählt Jordans Sichtweise, und diese ist faszinierend; ihre besten Szenen zeigen Jordan auch als 57-Jährigen noch in all seiner Verbissenheit und dem wahnhaften Suchen nach Beleidigungen. Fast fühlt man sich versucht, ihm zu glauben, dass die Sonics 1996 nur deshalb nicht den Titel holen konnten, weil deren Head Coach George Karl MJ im Restaurant nicht gegrüßt hatte.

Michael Jordan liefert erneut eine Blaupause

Die Angst, dass seine Fans ihn nun negativer sehen könnten, hat sich natürlich nicht bestätigt. Im Gegenteil: "The Last Dance" untermauert Jordans Status. Und eine ganze Generation von jüngeren Fans kommt nun via ESPN oder Netflix in den Genuss, dessen Ursprung nachzuvollziehen. Es ist kein Zufall, dass die Verkaufszahlen von Air Jordan wieder in die Höhe schnellen.

Jordan hat sich mit diesem Projekt zurück in den Diskurs katapultiert, pro Folge mehr Zuschauer erreicht als Spiele der NBA Finals. Dass seine Geschichte dabei etwas geschönt wurde, hat dem Erfolg der Serie keineswegs geschadet. Mit seinem Charisma schafft es Jordan auch im höheren Alter, Leute weltweit in seinen Bann zu ziehen.

Ziemlich sicher wird Jordan auch mit "The Last Dance" wieder etliche Nachahmer auf den Plan rufen. Ziemlich sicher werden sie es auch in dieser Hinsicht wieder sehr schwer haben, an das Original heranzukommen. Jordan hat nicht nur Basketball durchgespielt.