Spricht man im Fußball von einer Dreifachbelastung, ist das eigentlich nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Die Dreifachbelastung suggeriert für gewöhnlich, dass ein Verein ein so genannter Top-Klubs ist. Einer, der vor oder sogar noch während einer Saison auf den gern phrasierten "drei Hochzeiten" aus Liga, Pokal und Europapokal tanzt.

Doch bei Werder Bremen ist das anders. An der Weser steht der Begriff der Dreifachbelastung aktuell für eine Art Dreifaltigkeit der Angst. Da wäre zum einen die Angst vor dem Abstieg, die angesichts der aktuell fünf Punkte Rückstand auf Fortuna Düsseldorf und den Relegationsplatz 16 bedrohlich reelle Züge annimmt.

Zum anderen und zu allem Übel ist da aber auch noch die Angst vor der eigenen Landesregierung, die in Person von Innensenator Ulrich Mäurer zuletzt in einem Spiegel -Interview den geplanten Bundesliga-Neustart als "unsägliches Signal" und "politisch falsche Entscheidung" bezeichnete und im Fall der Fälle sogar Werder-Heimspiele verbieten würde. Schon zuvor wurden im sonst so liberalen Bremen während der Corona-Isolation die Trainingsbedingungen strenger gehandhabt als überall sonst.

© imago images

Werder Bremen im Clinch mit Innensenator Mäurer: "Sehr unglücklich"

Bremens Geschäftsführer Frank Baumann warf Mäurer in der Folge vor, Dinge zu behaupten, "die überhaupt nicht stimmen" . Es herrscht also dicke Luft in Bremen - nicht nur tabellarisch, sondern auch sportpolitisch. "Das Ganze ist sehr unglücklich", stellt Jürgen Born daher im Gespräch mit SPOX und Goal fest. Zehn Jahre (1999 bis 2009) stand er an der Spitze des SVW und begleitete den Klub als Vorstandsvorsitzender durch die goldenen Jahre.

"Ich gehe gar nicht davon aus, dass Herr Mäurer weder den Verein Werder Bremen und schon gar nicht die Stadt Bremen schädigen will", sagt Born. Schließlich sei der Fußball in Bremen immer noch mit das Wichtigste, was die Stadt zu bieten habe: "Wenn man heute im Taxi durch Rio de Janeiro fährt, der Fahrer fragt, wo man herkomme und man 'Bremen' sagt, dann versteht der erstmal gar nichts. Später sagt er dann: 'Ach, Sie meinen Werder Bremen.' Für das Bekanntwerden der Stadt ist Werder ein Haupttreffer".

Mäurer sei jedoch "von Natur aus ein sehr vorsichtiger, das Risiko meidender Mann", der schlichtweg alles dafür tue, dass die Stadt nochmal "in besondere Quarantäne-Absprachen gerät. Das kann man verstehen".

Allerdings sei Mäurer "eben auch kein Fußballer. Wenn man Bürgermeister in einer Großstadt im Westen wäre, dann kann man sich so etwas glaube ich nicht erlauben. Da muss man dann mitsingen". Aber Mäurer ist nun mal kein Bürgermeister im Westen, sondern Innensenator in Bremen und singt daher sein eigenes Lied über den Bundesliga-Neustart. Ein Lied, das weder beim SV Werder noch bei der DFL ein Chartstürmer wird.

Werder Bremen, die DFL und das Narrativ der kleinen Gallier

Denn Mäurers Auslassungen über die Wiederaufnahme des Spielbetriebs sind nicht nur beim SVW, sondern auch in Frankfurt nicht allzu gut angekommen. Bei der DFL hatte sich der SPD-Politiker bereits im Streit um die Polizeikosten bei Fußballspielen unbeliebt gemacht. Seine Drohung, Geisterspiele in Bremen zu verbieten, falls sich am Montag Fans am Stadion versammeln und dabei den Mindestabstand nicht einhalten sollten, gießt zusätzliches Öl ins Feuer.

Wie die Deichstube berichtet, habe DFL-Geschäftsführer Christian Seifert längst eine persönliche Abneigung gegenüber Bremen und letztlich auch gegenüber Werder entwickelt. Eine Abneigung, die schon einige Male in den vergangenen Wochen durchaus sichtbar wurde.

Beispielsweise als die DFL nur zwei Stunden benötigte, um eine Forderung von Baumann (immerhin Mitglied der DFL-Kommission Fußball) nach einem späteren Restart erst am 22. Mai mit einer eigenen Presseerklärung konterte und den Termin auf den 16. Mai legte. Oder als das DFL-Präsidium auf die Schnelle durchdrücken wollte, dass im Falle eines Saisonabbruchs die aktuelle Tabelle gilt, um Meister und zwei Absteiger zu ermitteln.

Zwar gelang Werder, das in einem solchen Fall trotz des noch ausstehenden Nachholspiels gegen Eintracht Frankfurt absteigen würde, durch die Vertagung der Entscheidung ein Teil-Erfolg, doch spätestens in zwei Wochen wird eine Entscheidung diesbezüglich getroffen werden. Und das DFL-Präsidium, dessen Mitglieder sich mit ihren Klubs nicht in Abstiegsgefahr befinden, wird nicht locker lassen, dass der Vorschlag durchgeht.

Weil gefühlt gerade alle, die in Corona-Zeiten etwas zu sagen haben, gegen Werder Bremen sind, bemühte sich Baumann, ein "Wir gegen die"-Gefühl zu implementieren. "Wir sind die kleinen Gallier", sagte er dem Weserkurier , "und werden uns mit aller Macht wehren. Das sollte das Motto für die nächsten Wochen sein."

Dabei betonte Baumann nochmals den Wettbewerbsnachteil, den Werder "in den vergangenen drei bis vier Wochen" erlitten habe.

© imago images

Werder Bremen in der "Pechschleife": "Es ist unerklärlich"

Aus dem Gallier-Narrativ, das nicht neu in der Bundesliga ist, aber für gewöhnlich eher einen Außenseiter oder Aufsteiger mit geringen finanziellen Mitteln beschreibt, ist mittlerweile eine Art Trotz geworden. Denn als Florian Kohfeldt aus der Video-Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Leverkusen sprach, war von Wettbewerbsnachteil und einer suboptimalen Vorbereitung nicht mehr die Rede. Ganz im Gegenteil.

Seine Mannschaft sei so fit wie noch nie in dieser Saison, sagte er. Und auch die personellen Voraussetzungen seien so gut wie selten in der laufenden Spielzeit. Dabei fallen immer noch zahlreiche Spieler aus: Davy Klaassen, Claudio Pizarro, Ludwig Augustinsson, Ömer Toprak, Kevin Möhwald und Niklas Füllkrug.

An der Weser übt man sich in Zweckoptimismus, macht gute Miene zu einem Spiel, dem mit dem Abstieg und den daraus resultierenden finanziellen Einbußen ein maximal böser Ausgang droht. Auch, weil man sich nicht nur an der Vereinsspitze sicher ist, nach wie vor den richtigen Trainer für die Mission Klassenerhalt zu haben.

"Er ist eindeutig ein guter Mann, ist sachkundig, kennt das Geschäft inzwischen und wird auch von allen Leuten gut beurteilt", sagt auch Born über Kohfeldt, dem er nicht die Hauptschuld an Werders aktueller Lage zuschieben möchte.

"Was unerklärlich ist, ist die Tatsache, dass die gleiche Mannschaft, die da unten jetzt vorübergehend abgeschnitten ist, zum Ende der vergangenen Saison noch einen guten Tabellenplatz hatte", führt der ehemalige Werder-Boss aus. Zwar sei der Abgang von Max Kruse (12 Tore, 14 Vorlagen) im Sommer schwerwiegend gewesen, das erkläre aber nicht, "warum in der darauffolgenden Saison auf einmal ein sehr guter Mann zwei Elfmeter verschießt (Davy Klaasen, Anm. d. Red.) und ein sehr guter Torhüter sich in einem Spiel zwei Bälle selbst ins Körbchen legt (Jiri Pavlenka, Anm. d. Red.).

Es fühle sich aktuell so an, als sei Werder "in einer Pechschleife gefangen und dagegen muss man ankämpfen. Dafür sind noch zehn Spiele Zeit".

Bundesliga-Tabelle: Werder Bremen im Abstiegskampf

Platz Verein Spiele Tore Diff. Punkte 13. Eintracht Frankfurt 25 39:44 -5 28 14. FC Augsburg 26 37:54 -17 27 15. 1. FSV Mainz 05 26 36:55 -19 27 16. Fortuna Düsseldorf 26 27:50 -23 23 17. Werder Bremen 24 27:55 -28 18 18. SC Paderborn 07 26 30:54 -24 17