Die Alte Försterei ist im Normalfall das komplette Gegenteil dieser neuartigen, steril wirkenden Baukasten-Stadien, die in den vergangenen Jahren aus dem Boden sprossen, um etliche altehrwürdige Spielstätten in die Mottenkiste zu verbannen. Die Gemäuer in Berlin-Köpenick erzählen legendäre Geschichten. Am späten Sonntagnachmittag wurden die Annalen um ein Kapitel reicher.

Ein Kapitel, das rückblickend bei niemandem an der Wuhlheide großartige Emotionen auslösen dürfte. Ein Kapitel, das aufgrund der aktuellen Lage jedoch unumgänglich war. Erstmals in der kurzen Bundesliga-Historie von Union Berlin mussten die Eisernen ohne ihr geliebtes Publikum auskommen. Seelenlose Geisterspiel-Sterilität, ausgerechnet gegen den großen FC Bayern München, dem man nur allzu gerne gezeigt hätte, was man im Stande ist, fantechnisch aufzufahren.

FC Bayern bei Union Berlin: Glanzlos, aber souverän

Ob und welchen Effekt die Abwesenheit des Union-Anhangs hatte, ist natürlich rein spekulativ. Wenn man die 90 Minuten Revue passieren lässt, gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die Begegnung vor voller Hütte den gleichen Verlauf genommen hätte. Weil die Münchner unter Hansi Flick die traditionelle FCB-Stärke, selbst bei glanzlosen Leistungen souverän zu gewinnen, längst wiedererlangt haben. Am Ende prangte somit berechtigterweise ein erwartbares 2:0 an der verhältnismäßig neumodischen Digital-Anzeigetafel.

Ganz so, als hätte es die neunwöchige Corona-Zwangspause nie gegeben, vermittelten die Gäste aus dem Süden, ähnlich wie beim bis dato letzten Auftritt gegen den FC Augsburg Anfang März (2:0), einen ebenso durchschnittlichen wie vollumfänglich disziplinierten und professionellen Eindruck. Obwohl die Hauptstädter den Bayern vor allem im ersten Durchgang mit Blick auf die Zweikampfführung extrem zusetzten (61,4 Prozent zu 38,6 gewonnene Duelle aus Union-Sicht), ließ sich der Favorit zu keinem Zeitpunkt aus der Ruhe bringen.

Ein Elfmetergeschenk wurde von Robert Lewandowski im Stile eines eiskalten Vollstreckers dankend angenommen (40.), nach dem Seitenwechsel drehte die Flick-Truppe zudem die Zweikampfbilanz zu ihren Gunsten (65,5 Prozent zu 35,5 Prozent) und zurrte in Person von Benjamin Pavard kurz vor Schluss den Dreier fest (80.). Eine Konstante in unsteten Zeiten: Immerhin in der Bundesliga ist allem Anschein nach - zumindest aus rein sportlicher Sicht - alles beim Alten.

Hansi Flick lobt Konzentration, Manuel Neuer hebt Bewusstsein hervor

"Es war ein Arbeitssieg, aber am Ende ein verdienter Erfolg", konstatierte Trainer Flick im Anschluss bei Sky und führte aus: "Wir haben etwas schwer reingefunden. Aber ich muss meiner Mannschaft ein Kompliment machen. Sie hat konzentriert die 90 Minuten runtergespielt. Ich war am Ende mit dem Ergebnis zufrieden."

Kapitän Manuel Neuer sagte: "Hier kennen wir eigentlich eine andere Atmosphäre an der Alten Försterei. Es kommt dann wirklich nur auf uns an." Es sei alles eine Frage der "Motivation, der Einstellung und des Bewusstseins dafür, was für ein Spiel hier heute stattfindet". Genau dieses Bewusstsein hatten Flick und sein Trainerteam anscheinend im Vorfeld geschärft.

Auch Thomas Müller ging auf das Novum ein, ein Bundesligaspiel vor non-existenter Kulisse bestreiten zu müssen, nahm den Umstand, dass Union nicht auf den vielzitierten zwölften Mann bauen durfte, als Vorteil wahr. Immerhin können die Zuschauer ihm zufolge "gerade an der Alten Försterei das Zünglein an der Waage" sein.

"Es war natürlich ein bisschen Kribbeln da, weil es endlich wieder losgeht. Ein bisschen wie beim ersten Bundesligaspieltag im August", erklärte das bayrische Urgestein weiter und schob nach: "Aber wirklich nervös, dass irgendwas schiefgeht, war ich nicht."

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Thomas Müller: Atmosphäre erinnerte an "alte Herren 19 Uhr bei Flutlicht"

Eine Aussage, die die fußballerische Darbietung unbewusst recht treffend zusammenfasste, obwohl Müller damit eigentlich die für alle Protagonisten ungewohnten Rahmenbedingungen meinte, die ihm zufolge an "alte Herren 19 Uhr bei Fluchtlicht" erinnerten. Obwohl das Spiel dann doch ein höheres Niveau als der Müller'sche Vergleich vermuten lassen könnte, aufwies, fuhren die Bayern gegen aufopferungsvoll kämpfende, aber eben chancenlose Berliner nicht die ganz großen Geschütze auf, die im Saisonendspurt voraussichtlich noch vonnöten sein werden.

Besonders natürlich am übernächsten Dienstag, wenn der Serienchampion beim aktuell ärgsten Verfolger Borussia Dortmund vor den leeren Rängen des nächsten legendären Tempels antreten muss. Dass der BVB jedoch auch ohne Vorhandensein der Fans in der Lage ist, vorzüglichen Fußball zu spielen, bewies er am Samstag im Derby, als er den Erzrivalen Schalke 04 mit 4:0 deklassierte und zurück nach Gelsenkirchen prügelte.

Müller: Duell mit BVB "mitentscheidend, wie spannend es wird"

Aufregender Hurra-Fußball gegen nüchternen, aber erfolgreichen Minimalismus - so ließe sich das Duell zwischen den Schwarz-Gelben und Bayern sowohl vor als auch nach der Corona-Unterbrechung einordnen. In den vergangenen Jahren setzte sich bekanntermaßen langfristig stets das zweite Modell durch.

"Wir haben jetzt einen von neun Spieltagen hinter uns, da kann noch einiges passieren", gab sich Neuer diplomatisch, als er mit einem möglichen Zweikampf um den Titel konfrontiert wurde. Müller betrachtet die Begegnung mit Dortmund als "mitentscheidend, wie spannend es wird". Es sei schwer einzuschätzen, wie die Mannschaften mit der neuen Situation umgehen. Die Partie an der Alten Försterei hat zumindest einen kleinen Hinweis darauf gegeben, wie die Bayern mit der Sachlage umgehen: So professionell, dass der alte Trott bereits wieder Formen anzunehmen droht.