"Einer wie Alaba", sei er. "Er ordnet alles dem Erfolg unter, ist geerdet und bodenständig". So lobte noch vor fünf Jahren Toni Pfeffer in den NÖN den nächsten Lilienfelder, den die Fußballwelt bestaunen würde. Doch während der eine eher schlechte Erfahrungen mit Spanien machte, sollte der andere sich dort einen Traum erfüllen. Die Rede ist von Philipp Lienhart.

Aufgewachsen in einem beschaulichen 3000-Einwohner-Dorf in den Gutensteiner Alpen zwischen St. Pölten und dem Wahlfahrtsort Mariazell, verließ Lienhart bereits mit zehn Jahren aufgrund seines fußballerischen Talents die Heimat, um zu seinem damaligen Traumverein SK Rapid Wien ins Internat zu wechseln. Gleichzeitig sammelte er in den nächsten Jahren erste Einsatzzeiten bei der Jugendauswahl des ÖFB, doch an eine Karriere als Profi war noch nicht zu denken.

Denn die Realität blieb vorerst der Alltag im Büro. So begann Lienhart in Kooperation mit dem Internat eine Lehre als Bürokaufmann bei der Arbeiterkammer: "Ich habe es im Büro ganz nett gefunden".

Dabei sei er vor allem seinen Arbeitskollegen besonders dankbar. Bei Auswärtsfahrten des Jugendnationalteams wurde etwa immer ein Auge zugedrückt und Extrasrcaub gestattet. Es sollte sich auszahlen, denn im Sommer 2014 spielte Lienhart bei der U19-Europameisterschaft stark auf und zog mit der Mannschaft bis ins Halbfinale ein, ehe man gegen Deutschland mit 0:4 unterging.

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Doch daraufhin ging es wieder zurück ins Büro. Er hätte sich die Arbeit dort auch weiterhin vorstellen können, "...aber dann ist ‚leider' das Angebot von Real Madrid gekommen", erinnert sich Lienhart grinsend zurück.

In der Millionenmetropole Madrid angekommen, durfte sich Lienhart als erster österreichischer Kicker das Trikot des weißen Balletts überstreifen. "Manchmal werden Träume schneller wahr, als man denkt", ließ Lienhart damals auf Facebook wissen. Er brauchte ein wenig Zeit zum Realisieren, gab er zu, "aber dann habe ich relativ schnell reingefunden und mich auch früh wohlgefühlt."

Ronaldo-Erbe? "Ödegaard könnte Schlüsselrolle spielen"

Das ÖFB-Talent sollte zuerst auf Leihbasis bei Real Madrids U19 spielen, wurde dann aber im darauffolgenden Sommer um kolportierte 800.000 Euro fix verpflichtet und in die zweite Mannschaft, Real Madrid Castilla, befördert. Der zweite kostspielige Zugang war ein gewisser Martin Ödegaard. Beide sollten in der zweiten Mannschaft von Real unter den Fittichen von Zinedine Zidane gedeihen. Lienhart und Ödegaard teilten sich bei Auswärtsfahrten meist ein Zimmer und wurden daraufhin schnell Freunde.

Ödegaard blieb aufgrund des großen Medienrummels und dem Monstergehalt weiterhin der Star der Mannschaft. Ein Problem war das für das Teamgefüge dennoch nicht: "Er hat das absolut nicht raushängen lassen, dass er relativ viel Geld verdient. Er war sehr bodenständig, nett und eben ein guter Fußballer", erklärte Lienhart. Ob er in Zukunft Ronaldo bei Real Madrid beerben könnte? "Er ist kein Stürmer, wird also nicht auf dieselbe Torquote kommen. Aber er gibt sehr viele Vorlagen und ist eine Offensivwaffe. Ich traue ihm zu, bei Real eine Schlüsselrolle zu spielen."

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Champions-League-Titel? "Habe ich nicht gefeiert"

Als Rafa Benitez Anfang 2016 bei Real die Segel streichen musste, wurde Zidane sein Nachfolger. Dieser zog Lienhart im Sommer in den erweiterten Kader der ersten Mannschaft hoch und durfte ab sofort mit den Profis mittrainieren. "Sie waren alle sehr freundlich und überhaupt nicht unangenehm", erinnert sich Lienhart.

Für etwaige Scharmützel nach verlorenen Trainingsspielchen hatte Lienhart Verständnis: "Das kenne ich auch von mir selber: Keiner verliert gerne." So hätte er auch einiges von Ronaldo lernen können: "Ich habe ihn als sehr, sehr ehrgeizigen Profi gesehen, mit einem enormen Willen. Das waren Dinge, die ich mir von ihm abschauen konnte."

Zidane führte den Verein in den folgenden Jahren zu unglaublichen drei Champions-League-Titeln und da auch Lienhart im erweiterten Kader stand, darf er sich neben Wolfgang Feiersinger, David Alaba und Marko Arnautovic als vierter österreichischer CL-Gewinner bezeichnen. Doch wirklich stolz darauf ist er nicht, wie er gesteht: "Ich bin Real-Madrid-Fan, aber richtig viel beigetragen habe ich zu diesen Titeln nicht. Daher habe ich auch die Titel nicht gefeiert. Ich sehe mich selbst nicht als Champions-League-Sieger."

Nach drei Jahren und ein paar Minuten in der ersten Mannschaft wollte Lienhart dennoch den nächsten Schritt machen und wählte eine durchaus ungewöhnliche Option: den FC Freiburg. "Dadurch, dass Freiburg ziemlich früh auf mich zugekommen ist und wir schnell gute Gespräche hatten, war mein Weg eigentlich sehr früh klar. Die anderen Angebote habe ich mir dann gar nicht mehr angehört."

Lienhart tauschte den Großstadtglamour gegen das Schwarzwälder Freiburg ein. Der Anreiz, Bundesliga zu spielen, war immerhin doch sehr überzeugend. "Es war natürlich ein großer Schritt, von der dritten Liga in Spanien plötzlich in die Bundesliga zu wechseln. Aber ich hatte nicht so viele Anpassungsschwierigkeiten und spielte auch sofort regelmäßig."

Das ruhigere Umfeld in Freiburg war ein weiterer Faktor für den Wechsel: "Dadurch, dass Real natürlich ein sehr großer Klub ist, viele Mitarbeiter hat auch die Akademie so große Flächen beansprucht, ist das familiäre Umfeld nicht ganz so leicht umzusetzen."

Auch Trainer Christian Streich war ein Pluspunkt im Portfolio: "Er ist auf jeden Fall ein großer Motivator und hat auch taktisch sehr viel Erfahrung. Zudem ist er schon sehr lange in diesem Geschäft und weiß, wie es abläuft und wie er Spielern helfen kann", schwärmt er. "Vor allem mit seiner bodenständigen und hilfreichen Art."

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Lienhart über Verletzungspause: "Der ganze Klub ist hinter mir gestanden"

Doch seit dem Transfer nach Deutschland war es aufgrund der Konkurrenz auf seiner Position und unglücklichen Verletzungen ein ständiges Auf und Ab. In der Debütsaison kam er Anfangs in acht Spielen in Folge zum Einsatz, ehe Lienhart sich beim 1:1-Remis gegen Hertha BSC Berlin ohne Fremdeinwirkung eine Sehnen- und Muskelverletzung im Knie zuzog. Sieben Wochen später gab er sein Comeback gegen Köln, doch verletzte sich nach nur 17 Minuten abermals am Knie. Nach fast zwei Monaten Verletzungspause gab es gegen das eingespielte Innenverteidiger-Duo Manuel Gulde und Caglar Söyüncü kein Vorbeikommen.

In der folgenden Saison lief es nicht viel besser. Auch, weil Freiburg mit Dominik Heintz einen weiteren umworbenen Verteidiger an Land zog. Als Lienhart in der Rückrunde wieder regelmäßig zum Zug kam, knallte er im Spiel gegen Hertha Berlin mit Salomon Kalou zusammen und erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Die ÖFB-Hoffnung musste wieder lange pausieren, spricht von einer "schwierigen Zeit".

"Mir ist nach ein paar Schritten immer schwindlig geworden und ständig musste ich ruhig bleiben", schilderte der Niederösterreicher. Zum Comeback verhalf ihm schließlich der ganze Verein: "Sie haben mir vor allem Zeit gegeben, die ich gebraucht habe und mir überhaupt keinen Druck gemacht. Der ganze Klub ist hinter mir gestanden und das war sehr wichtig für mich. Das Schwindelgefühl ist zum Glück auch wieder weggegangen."

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Lienhart: "Ich muss nicht unbedingt nach England, Frankreich oder Italien"

Das Vertrauen sollte sich auszahlen. In dieser Saison half Lienhart mit starken Leistungen am Höhenflug des FC Freiburg mit. Andere Klubs wurden, nicht nur aufgrund seiner guten Zweikampfwerte, auf ihn aufmerksam. Der SCF handelte schnell und konnte Lienhart bereits im Herbst mit einem neuen Vertrag bis 2022 binden.

Die Frage, ob er sich neben Söyüncü, Ginter, Demba Cisse und Co. als weiterer Topexport des FC Freiburg sehen könnte, kommentiert Lienhart gelassen: "Ich habe eigentlich keinen fixen Karriereplan oder mir langfristige Ziele gesteckt. Ich muss nicht unbedingt nach England, Frankreich oder Italien." Immerhin sei das in der aktuellen Zeit auch sehr schwer zu planen. Intuitiv, wie beim Verteidigen, wolle er zurzeit einfach nur "gut trainieren, besser werden und so viel wie möglich spielen. Und alles weitere, was dann kommt, werden wir sehen."