Besonders lange dauert es nicht, das Leben eines Fußballprofis. 15, im besten Fall 20 Jahre hat man, um Ruhm und Wohlstand zu erlangen. Dinge, denen Nicolas Anelka fast schon überdrüssig war, bevor er überhaupt richtig loslegte. 16 war er, als er sein Debüt bei Paris Saint-Germain gab, mit 17 wechselte er zum FC Arsenal, mit 20 unterschrieb er bei Real Madrid: es war ein rasanter und gleichermaßen bewundernswerter Aufstieg. Zugleich aber auch ein gefährlicher.

Denn Anelka war nicht nur Supertalent, sondern noch fast ein Kind, als sein Aufstieg begann. Und für ein Kind, das unter bescheidenen Bedingungen in der Pariser Banlieue Trappes aufwuchs, war es alles andere als normal, einen Hort der Tristesse und Delinquenz zu verlassen. Noch dazu für eine Welt, in der es oft darum geht, wie viele Villen, Yachten und Sportwagen man sich denn zulegt. Das schien nicht nur ihm selbst, sondern auch seiner Familie zuzusetzen.

Weil seine Eltern, ein Grundschullehrer und eine Schulsekretärin mit Wurzeln auf Martinique, kaum Zeit hatten, machten es sich Anelkas ältere Brüder Claude und Didier zur Aufgabe, den hochbegabten Stürmer schon zu Jugendzeiten zu vertreten. Ein Fehler, denn sie stellten in Vertragsverhandlungen finanzielle Forderungen, die so einige Funktionäre bei PSG kopfschüttelnd zurückließen. Zudem versäumten sie es, ihrem kleinen Bruder Werte wie Demut und Respekt nahezubringen.

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Anelka: Querulant statt Galactico

Das wurde selten so deutlich wie in den Jahren 1999 und 2000, als Anelka den FC Arsenal infolge eines Streiks gen Madrid verließ, weil er sich von den Fans der Gunners nicht ausreichend unterstützt fühlte. Zudem sei das Leben in London ohnehin "langweilig". In Madrid angekommen spottete der Egozentriker prompt über seinen ehemaligen Arbeitgeber. Er habe alles richtig gemacht, sagte Anelka, da er jetzt bei einem viel größeren und besseren Verein spiele.

Selbstbewusste Worte, die bei den Königlichen natürlich gut ankamen. Sie wollten Anelka, für den sie eine klubinterne Rekordsumme von umgerechnet 35 Millionen Euro zahlten, zum ersten großen ausländischen Star eines neuen Zeitalters im Santiago Bernabeu machen. Da passte ein gesunder Hauch Arroganz also gut ins Bild. Bei diesem sollte es allerdings nicht bleiben. Anelka wurde nicht zum Galactico, der seine steilen Thesen mit Toren untermauerte. Er wurde zum Querulanten, der einen Dauerkonflikt mit dem Verein und dessen Umfeld führte.

"Man könnte heute Dembele mit Anelka vergleichen"

"Anelka war ein spezieller Typ, ein Rebell. Einerseits in sich gekehrt, andererseits impulsiv. Das hat man ihm immer angemerkt. Er wurde nie warm mit der Stadt und dem Verein, leistete sich diverse Fehltritte. Man könnte heute Ousmane Dembele mit ihm vergleichen", erinnert sich der deutsch-spanische Journalist Miguel Gutierrez, der Real zu jener Zeit für das DSF und die Sendung LaOla begleitete, im Gespräch mit SPOX und Goal zurück.

Es heißt, Anelka habe sich gemeinsam mit seinen Brüdern in seinem Anwesen in dem Madrider Nobelviertel La Moraleja von der Außenwelt abgeschottet, um seine Freizeit an der Spielekonsole zu verbringen und Freunde aus der Heimat zu sich einzuladen. Mit seinen Mitspielern wollte er offensichtlich nichts zu tun haben, jedenfalls weigerte er sich, Kontakt zu ihnen zu suchen oder Spanischunterricht zu nehmen. "Anelka wohnte zum Beispiel direkt neben meinem Sohn Fernando und Predrag Mijatovic, hatte aber keinerlei Bezug zu ihnen. Er hing den ganzen Tag vor der Glotze", sagte der damalige Real-Präsident Lorenzo Sanz in einem 2017 veröffentlichten Interview mit dem spanischen Online-Magazin La Galerna .

Anelka: Spott über Morientes, Probleme mit Raul

Selbst gegenüber Christian Karembeu, dem zweiten Franzosen im Team, sowie den kamerunischen und französischsprechenden Spielern Samuel Eto'o und Geremi Njitap verhielt er sich eher zurückhaltend. Das wäre wohl kein Problem gewesen, hätte er auf dem Rasen nicht auch den Eindruck eines Einzelgängers hinterlassen. Anelka brauchte fast fünf Monate, um sein erstes Tor zu erzielen. Real spielte insgesamt eine enttäuschende Hinrunde, woraufhin Trainer John Toshack durch Vicente del Bosque ersetzt wurde. Der Spanier vertraute im Sturm fortan noch mehr auf seinen Landsmann Fernando Morientes anstatt auf den teuren Neuzugang, der sich bei der Klub-Weltmeisterschaft im Januar 2000 zu allem Überfluss noch eine Knieverletzung zuzog. Irgendwann schimpfte der in seiner Außenseiterrolle gefangene Anelka: "Für die Tore, die Morientes schießt, würde ich mich schämen."

Mit derartigen Bemerkungen brachte er auch Anführer wie Fernando Hierro oder Raul, nebenbei enge Freunde von Morientes, gegen sich auf. Jahre später berichtete Anelka, Eto'o habe ihm bereits an seinem ersten Tag in Madrid wissen lassen, dass er nicht mit Zuspielen seiner Offensivkollegen Raul oder Morientes rechnen dürfe. "Ich konnte es nicht glauben, aber es war wirklich so. Ich bekam kaum Bälle", erklärte Anelka.

Nicolas Anelka im Steckbrief

geboren 14. März 1979 in Le Chesnay, Frankreich Größe 1,86 m Gewicht 77 kg Position Sturm starker Fuß rechts Profispiele/-tore (Klubebene) 661/208 Profispiele/-tore (Nationalmannschaftsebene) 69/14 Karriereende 2016

Eine zusätzliche Erschwernis stellte die spanische Presse für ihn dar, die keine Gelegenheit ungenutzt ließ, ihn zu kritisieren und auch über sein extravagantes Privatleben zu berichten. "Gegenüber mir wurde er nie ausfällig", sagt der frühere Real-Reporter Gutierrez. "Ich ließ ihn aber auch in Ruhe, wenn er sich nicht in der Nähe des Stadions oder des Trainingsgeländes aufhielt."

Juan Jose Dominguez und Jose Angel Sanchez, zwei seiner Journalisten-Kollegen, taten das nicht. Sie lernten einen anderen Anelka kennen: als sie im Januar 2000 unmittelbar vor dem Anwesen des Spielers einen Beitrag für den Fernsehsender Antena 3 wollten, stürmten ein Freund von Anelka sowie Bruder Didier unter wüsten Beschimpfungen auf sie los.

Sanchez fiel bei dem Gerangel zu Boden und verletzte sich leicht an der Nase und am Handgelenk, zudem wurde eine Kamera in Mitleidenschaft gezogen. Anelka selbst, so ging es später aus der Anzeige der beiden Journalisten hervor, sei nur erschienen, um eine Materialtasche und den Schlüssel des Autos zu entwenden. Die Polizei rückte an, der Anelka-Clan gab die gestohlenen Sachen zurück und wurde vor Gericht zu einer Geldstrafe verdonnert.

Flucht im Kofferraum: "Ein normales Leben war unmöglich"

"Sie müssen sich mal vorstellen: Mir sind damals Journalisten auf der Straße hinterhergelaufen, um mich zu fragen, was sich da in meinen Einkaufstüten befindet und was ich nun noch so vorhabe. Das war seltsam, das kannte ich so aus Frankreich und England nicht. In Madrid war es unmöglich, ein normales Leben zu führen. Der Trubel um meine Person war riesig. Ich wurde regelrecht verfolgt", erzählte Anelka einmal.

Der Höhepunkt des Theaters um ihn ereignete sich Mitte März 2000, als er infolge einiger Spiele ohne Einsatz in die Kabine stürmte und seinen Mitspielern vorwarf, sie und generell alle in Madrid hätten sich gegen ihn verschworen. "Er sagte zum Beispiel, wir würden uns nicht für ihn freuen, wenn er trifft", berichtete del Bosque. Daraufhin schwänzte Anelka drei Tage lang das Training und brannte ohne Rücksprache und Rückflugticket nach Paris durch. Augenzeugenberichten zufolge versteckte sich der Stürmer auf dem Weg zum Madrider Flughafen Barajas in dem Kofferraum des Wagens, den sein Bruder Didier fuhr, um den vor seiner Villa wartenden Journalisten zu entfliehen.

Anelka: "Bei Real behandeln sie mich wie einen Hund"

Er wollte einfach nur nach Hause, nach Trappes, wo die Welt für ihn noch normal war und keiner ihn belästigte. Dort angelangt brummten ihm die erzürnten Real-Bosse eine Geldstrafe von umgerechnet 450.000 Euro auf und suspendierten ihn für sechs Wochen vom Training. Das wiederum veranlasste Anelka, dem französischen Magazin FranceFootball ein Interview zu geben, in dem er sich wieder als Verschwörungstheoretiker versuchte. "Bei Real", jammerte er, "behandeln sie mich wie einen Hund. Dort bin ich allein gegen alle, niemand unterstützt mich."

Schnell war Anelka wieder "Le Sulk", der Schmoller - so hatten ihn einst die Fans des FC Arsenal getauft, weil er sich nie über seine Tore freute. Der Schmoller war aber immer noch ein guter Fußballer. Und nachdem er sich bei Trainern, Mitspielern und Fans entschuldigt hatte, feierte er im späten Frühling sein Comeback.

Anelkas unverhofftes Comeback als Bayern-Albtraum

Es sollte ein unverhofft erfolgreiches werden, denn im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Bayern stand Anelka plötzlich zweimal in der Startelf - und traf sowohl im Hinspiel im Bernabeu als auch im Rückspiel im Münchner Olympiastadion. Mit diesen zwei von insgesamt sieben Toren im weißen Trikot war er maßgeblich an dem Gewinn des Henkelpokals beteiligt, den Real Ende Mai mit einem lockeren 3:0-Sieg über den FC Valencia perfekt machte. In Paris.

Dort blieb Anelka anschließend übrigens. Das schwierige Verhältnis zu seinen Mitspielern war nicht mehr zu kitten, außerdem bahnte sich die Ankunft des neuen Präsidenten Florentino Perez an, der keine Lust auf weitere Tyranneien des skandalerprobten Störenfrieds von Trappes hatte.

"Real Madrid war einfach nichts für mich", sagte Anelka hinterher. PSG verpflichtete ihn für ein bisschen weniger als die Summe, die Real ein Jahr zuvor gen London überwiesen hatte. "Ich möchte hier in meiner Heimat Geschichte schreiben", meinte er. Nur eineinhalb Jahre später landete er erneut im Ausland, in der Premier League. Der FC Liverpool lieh ihn aus, weil ihm im Prinzenpark seiner Meinung nach mal wieder nicht die nötige Unterstützung zuteil geworden war.

Es sollten acht weitere Stationen mit etlichen weiteren Eskapaden folgen, ehe das ewige Enfant terrible 2016 seine Karriere im indischen Mumbai beendete. Unter anderem als zweifacher Champions-League-Sieger, als nationaler Meister in England, Italien und in der Türkei, als Europameister. Es wäre wohl deutlich mehr drin gewesen, hätte der heute 41-Jährige sich nicht wie in Madrid zu oft selbst im Weg gestanden.

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Die Karriere-Stationen des Nicolas Anelka

Paris Saint-Germain (Frankreich) 1996 - 1997 FC Arsenal (England) 1997 - 1999 Real Madrid (Spanien) 1999 - 2000 Paris Saint-Germain (Frankreich) 2000 - 2002 FC Liverpool (England) 2002 Manchester City (England) 2002 - 2005 Fenerbahce (Türkei) 2005 - 2006 Bolton Wanderers (England) 2006 - 2008 FC Chelsea (England) 2008 - 2012 Shanghai Shenua (China) 2012 - 2013 Juventus Turin (Italien) 2013 West Bromwich Albion (England) 2013 - 2014 Mumbai City (Indien) 2014 - 2016