Im Interview mit SPOX und DAZN spricht der RB-Coach außerdem über die Verlängerung mit Lukas Klostermann, einem "sehr wichtigen Spieler" sowie die Ausgangslage in der Bundesliga. Das Feature mit Julian Nagelsmann gibt es ab sofort auf DAZN.
Zudem äußert er sich zu den speziellen Vorbereitungsbedingungen im Quarantäne-Trainingslager und den Ängsten der Spieler vor einer möglichen Infektion.
Herr Nagelsmann, vor wenigen Tagen hat Lukas Klostermann seinen Vertrag in Leipzig verlängert. Sie dürften sehr zufrieden sein.
Julian Nagelsmann: Ich bin sehr glücklich, seine Verlängerung ist ein ganz wichtiges Zeichen. Es gab einige Vereine, die ihn gerne verpflichtet hätten. Lukas kann als Links-, Rechts-, Halbverteidiger und Innenverteidiger spielen - er ist unglaublich variabel.
Was genau zeichnet ihn aus?
Nagelsmann: Lukas ist ein sehr wichtiger Spieler für uns, auf dem Platz und in der Kabine, mit dem Herz am rechten Fleck. Er ist kein Lautsprecher, aber wichtig fürs Gefüge, ein ehrlicher Arbeiter ohne große Allüren. Das alles macht ihn interessant für andere Vereine. Deshalb sind wir froh, dass er bis 2024 hier bleibt und den Weg mit weitergeht. Neben seinen defensiven Qualitäten sind sein Tempo, seine Zweikampfstärke und seine Kopfballstärke entscheidend. Er hat sich in der Vergangenheit enorm weiterentwickelt, ist etwa in der Spieleröffnung besser geworden. Und trotzdem hat er noch weitere Potenziale, die er ausschöpfen kann. Mit seinem Tempo kann er seine Gegenspieler beispielsweise noch mutiger andribbeln. Er weiß, dass ich ihm bei diesen Dingen noch helfen und ein paar Prozentpunkte herauskitzeln kann. Er hat wohl auch deshalb verlängert, weil er noch persönliche Entwicklungschancen sieht und wir uns auch als Mannschaft noch verbessern wollen, speziell in unseren Ballbesitzphasen, die bei Leipzig in den vergangenen Jahren nicht so sehr im Fokus standen.
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Nagelsmann: "Keine Mannschaft wird bei einhundert Prozent sein"
Hätten Sie sich aus Trainersicht über eine zusätzliche Woche der Vorbereitung nach dem Lockdown gefreut?
Nagelsmann: Aus Trainersicht ist eine lange Vorbereitung immer schön. Trotzdem hatte auch jeder Klub die Option, von Juli bis März durchzutrainieren. Die Champions-League- und Europa-League-Klubs vielleicht nicht, aber alle anderen konnten ja durchtrainieren. Natürlich spielt die körperliche Fitness mit rein, es gibt Unterschiede von zwei, drei Tagen und es war ja nicht so, dass ein Verein sechs Wochen lang Mannschaftstraining absolvieren durfte und der andere nur drei Tage. Und keine Mannschaft wird am Samstag bei einhundert Prozent sein. Weil es jedem so geht, ist die Chancengleichheit aus meiner Sicht gegeben. Die DFL hat ein tolles Konzept vorgelegt, an das wir uns alle halten sollen. Deshalb sind wir froh, dass es so schnell wie möglich wieder losgeht.
Wie steht es nach dieser völlig ungewohnten Zeit um die spezielle Herausforderung für Sie als Trainer?
Nagelsmann: Die Zeit während des Lockdowns fand ich gar nicht ganz so herausfordernd. Mit 28 Jahren eine Bundesligamannschaft auf einem Abstiegsplatz zu übernehmen, fand ich aus psychologischer Sicht herausfordernder. Wir müssen die Jungs nun darauf vorbereiten, dass die große emotionale Komponente - die Fans - ab sofort nicht da sein wird. Das ist ebenso eine besondere Situation wie das lange Training in Kleingruppen der letzten Wochen. Aber wir fangen ja nicht bei Null an, sondern hatten viele inhaltliche Sitzungen und davor viele Spiele, in denen wir uns in eine Richtung entwickeln konnten. Aber auch da gilt: Es betrifft alle, jeder hat praktisch dieselbe Situation und muss aus Trainersicht versuchen, als Menschenfänger zu fungieren.
Gibt oder gab es Bedenken einzelner Spieler?
Nagelsmann: Jetzt nicht mehr, aber am Anfang der Pandemie schon. Da haben einige Spieler das Gespräch gesucht und gefragt, wie gefährlich es ist. Es gab viel gefährliches Halbwissen, keiner wusste, was stimmt und was vielleicht nicht stimmt. Es ist deshalb schon ein Ritt auf der Rasierklinge, den Spielern seine eigene Meinung und ein ehrliches Abbild mitzugeben. Du willst nichts schönreden, aber auch nichts dramatisieren. Die medizinische Abteilung konnte die Bedenken der Spieler etwas mildern. Es ist grundsätzlich gut, wenn man ein wenig Sorgen hat. Dann geht man in solchen Situationen vielleicht ein bisschen disziplinierter durchs Leben und hält sich eher an Vorgaben.
Julian Nagelmanns Bilanz bei RB Leipzig
Wettbewerb Spiele S U N Tore Punkte pro Spiel Bundesliga 25 14 8 3 62:26 2,00 DFB-Pokal 3 2 0 1 10:6 2,00 Champions League 8 5 2 1 14:8 2,13 Gesamt 36 21 10 5 86:40 2,03
RB Leipzig: Quarantäne-Trainingslager? "Nicht im Gefängnis"
Jetzt steht das Quarantäne-Trainingslager an. Wie muss man sich das vorstellen?
Nagelsmann: Im Grunde wie ein Sommertrainingslager. Wir werden versuchen, uns auf die Spiele vorzubereiten. Also nicht nur auf das Freiburg-Spiel, sondern auch auf die Partien danach. Aber an sich ist das wie im Trainingslager im Sommer: Es wird eine normale Trainingswoche, die Spieler schlafen hier. Es gibt kein Bespaßungsprogramm, die Jungs können und sollen sich selbst beschäftigen. Wir haben hier Billard, Dart, Playstation und einen Fernseher auf dem Zimmer. Wir sind also nicht im Gefängnis. Wir haben vielleicht einen Tick mehr Besprechungen, aber es wird nicht jeden Abend eine Gesprächsrunde oder einen Kinoabend geben. Die Jungs sind alt genug, sich auch mal zwei, drei Stunden selbst zu beschäftigen.
Wie sehen Sie die Befürchtungen um ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko der Spieler, gerade bei diesem Kaltstart?
Nagelsmann: Auch das könnte vielleicht eher ein Problem werden für Teams, die es nicht gewohnt sind, Englische Wochen zu spielen. Auch wir konnten nur Kleingruppentraining machen, das war aber mehr als nur ein bisschen La Paloma mit Ballhochhalten. Da konnte man sich auch bewegen und Meter machen. Es ist nicht wie ein Mannschaftstraining oder wie ein normales Spiel, das ist klar. Aber die Jungs werden jetzt nicht völlig aus der kalten Hose starten. Wir werden die Belastungssteuerung unter der Woche ein wenig anpassen müssen. Aber das bekommen die anderen Mannschaften mit ihren Trainerteams auch hin. Im Fußball gibt es immer ein gewisses Verletzungsrisiko, es verletzen sich auch an normalen Spieltagen immer ein, zwei Spieler. Wir sollten also nicht jede Verletzung - so sie denn unglücklicherweise auftritt - der kurzen Vorbereitungszeit zuschieben.
Wie stehen Sie zu den erlaubten fünf Auswechslungen pro Spiel?
Nagelsmann: Man hat unabhängig von Corona immer einige unzufriedene Spieler im Kader, insofern ist es gar nicht schlecht. Ich habe nur die Befürchtung, dass das Stilmittel zu sehr taktisch eingesetzt wird. Das wäre nicht so mein Fall, dass man in den letzten zehn Minuten noch mehrere Wechsel hat und dann nur Zeit von der Uhr nimmt. Wenn es eine Übereinkunft gibt, es zu nutzen, um die Spieler besser zu schützen oder mehr Eingriffsmöglichkeiten als Trainer zu haben, ist es sinnvoll. Wenn man damit aber ein 1:0 ab der 83. Minute über die Zeit kriegen will, würde ich das nicht unterschreiben.
Sie haben angedeutet, dass Teams mit mehreren erfahrenen Spielern vielleicht eher Vorteile haben könnten bei den Geisterspielen. Warum?
Nagelsmann: Man muss sich ohne Zuschauer seine Momente etwas anders erarbeiten. Es geht mehr um Coachingpunkte und wenn man schon viele Situationen erlebt hat, kann man aus einem größeren Erfahrungsschatz zehren und gerade die jungen Spieler unterstützen. Das gegenseitige Coaching auf dem Platz wird ein Faktor werden in diesen Spielen. Ich glaube aber auch, dass sich das auf Dauer einigermaßen die Waage halten wird. Und es ist für die jungen Spieler auch eine Chance, sich zu entwickeln. So sollte man die Situation auch sehen: nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance.
Nagelsmann: "Situation gibt tabellarisch viel her"
Vieles hat sich durch Corona in den vergangenen Wochen verändert, nur die Bundesliga-Tabelle ist gleich geblieben. Wie schätzen Sie Ihre Ausgangslage ein?
Nagelsmann: Sehr spannend. Wir haben kein Luftpolster nach hinten, aber auch keinen riesigen Abstand nach vorne. Das ist eine tolle Situation für uns. Wenn wir im grauen Mittelfeld stünden, wäre es wohl doppelt und dreifach schwer, sich ohne Zuschauer zu emotionalisieren. Bei uns geht es aber noch um etwas, wir wollen weiter angreifen und auf den Champions-League-Plätzen bleiben. Das Ziel bleibt, einen der ersten vier Plätzen zu erreichen, die Situation gibt also tabellarisch sehr viel her.
Verändert die Pause nun eigentlich die konkrete Vorbereitung auf den ersten Gegner Freiburg?
Nagelsmann: Das ist schon etwas skurril: Wir hatten vor der Pause den Plan für Freiburg schon ausgearbeitet, sind damals von einem möglichen Geisterspiel ausgegangen und haben sogar freitags im Stadion trainiert, um das zu simulieren. Jetzt stehen wir vor der Frage, ob wir denselben Plan einfach wieder nehmen oder noch etwas überarbeiten. Es gibt natürlich kein neues Videomaterial des Gegners und der Freiburger Fußball wird nicht großartig anders ein. Trotzdem wird es gerade in den ersten Spielen so sein, dass man nicht unbedingt weiß, welche Grundordnung der Gegner spielt. Also werden wir uns an den Spielen orientieren, die wir vorher auch schon gescoutet haben. Und dann wird es im Spiel darum gehen, sich an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen.
Nagelsmann über sein Coaching: "Kann durchaus beängstigend sein"
Werden Sie Ihr Coaching während des Spiels umstellen?
Nagelsmann: Ich bin einer, der sehr aggressiv coacht und laut schreit, damit mich meine Spieler hören können. Das werde ich sicherlich umstellen müssen. Aber ob mir das sofort gelingt, das versehe ich mal mit einem großen Fragezeichen. Es steht auf jeden Fall auf meiner Agenda, weil mein Coaching ohne Zuschauer durchaus etwas beängstigend sein kann. Ich werde also versuchen, es in gesittete Bahnen zu legen.
Wie nehmen Sie Ihre Mannschaft kurz vor dem ersten Spiel nach so langer Pause wahr?
Nagelsmann: Im Training waren sie schon wie ein Haufen Welpen, der endlich wieder spielen darf. Man merkt eben, dass die Jungs Teamsportler voller Vorfreude sind.
Auf welche Art Fußball sollten sich die Fans man denn einstellen? Stichwort: Qualitätsverlust.
Nagelsmann: Was die Fans im Stadion normalerweise freischaufeln an Emotionalität ist schon etwas ganz Besonderes und sehr bedeutend. Die Fans werden wir alle vermissen und wir freuen uns jetzt schon darauf, wenn sie irgendwann wieder dabei sind. Jetzt geht es darum, sich selbst zu emotionalisieren und sich bewusst zu machen, dass da Millionen am Fernseher zuschauen. Vielleicht sogar noch mehr als ohnehin schon, weil andere europäische Ligen noch nicht spielen. Es wird ab und zu so etwas wie ein Testspielcharakter aufkommen. Aber da muss man dann so schnell wie möglich raus aus diesem Strudel und sich bewusst machen, dass es um etwas geht.