Was Bayer 04 Leverkusen Anfang März als Mannschaft hatte, hatte Paulinho als Spieler: das Momentum. Und dann kam die Coronakrise und stoppte den Aufwärtstrend von Mannschaft und Spieler.

Anfang der Rückrunde gewann Leverkusen teils in spektakulärer Manier sechs von acht Bundesligaspielen und untermauerte somit seine Ansprüche auf einen Champions-League-Platz. Im DFB-Pokal erreichte die Mannschaft unterdessen das Halbfinale, wo es am 9. oder 10. Juni zum 1. FC Saarbrücken gehen soll. Und in der Europa League bestehen nach einem 3:1-Hinspielsieg gegen die Glasgow Rangers gute Chancen auf einen Viertelfinaleinzug, sofern der Wettbewerb noch finalisiert wird.

Bei Leverkusen war es also ein wochenlanges Momentum, bei Paulinho waren es nur 90 Minuten. Aber was für 90 Minuten! Am 25. Spieltag stand der 19-Jährige erstmals bei einem Bundesligaspiel in der Startelf und führte seine Mannschaft mit drei Scorerpunkten zu einem 4:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt. Eine schöne Vorlage nach Doppelpass mit Wendell, ein Tor nach Solo und eines per Direktabnahme. Als erster Leverkusener überhaupt traf er bei seinem Startelfdebüt in der Bundesliga doppelt.

"Ich wollte mich einfach vorstellen, einige kennen mich vielleicht noch gar nicht so gut", sagte Paulinho danach. "Ich habe lange auf diesen Tag gewartet." Sehr lange.

Paulinho von Bayer Leverkusen im Steckbrief

geboren 15. Juli 2000 in Rio de Janeiro Größe 1,77 m Gewicht 75 kg Position linker Flügel, offensives Mittelfeld starker Fuß rechts Stationen Vasco Jugend, Vasco da Gama, Bayer Leverkusen Bundesligaspiele/-tore 22/3

Paulinhos Weg von Vila da Penha nach Leverkusen

Paulinho wechselte bereits im Sommer 2018 für 18,5 Millionen Euro von Vasco da Gama nach Leverkusen. Bis heute ist er der viertteuerste Einkauf der Klubgeschichte, seine Ausstiegsklausel beträgt satte 80 Millionen Euro. Er kam als großes Versprechen und das nicht ohne Grund.

Paulinho wuchs in Vila da Penha auf, dem Stadtteil von Rio de Janeiro, aus dem auch Vasco-Legende Romario stammt, und machte sich früh auf, selbst eine zu werden. Mit 16 Jahren, 11 Monaten und 29 Tagen debütierte er im Juli 2017 für Vascos Profimannschaft. Als Jüngster aller Zeiten. Keine zwei Wochen später stand er erstmals in der Startelf und erzielte einen Doppelpack. Paulinho glänzte schon damals mit Technik genau wie mit Physis, mit Übersicht genau wie mit Geschwindigkeit.

Zu diesem Zeitpunkt hatte er die brasilianische U17-Nationalmannschaft bereits zum Titel bei der Südamerika-Meisterschaft geführt. Im Herbst belegte er mit ihr bei der U17-WM den dritten Platz, im Viertelfinale traf er zum entscheidenden 2:1 gegen Deutschland. Anschließend stoppte ihn zeitweise ein Armbruch, dann folgte der Wechsel zu Bayer Leverkusen.

Paulinho: Jubelbilder gab es zunächst nur im Nationaltrikot

"Jeder kennt Leverkusen als den Klub in Europa, bei dem viele Brasilianer glücklich geworden sind", sagte Paulinho damals. Einst Emerson, Ze Roberto, Juan und Lucio. Später Renato Augusto, der übrigens den gleichen Berater wie Paulinho hat, und heute Wendell. Paulinho aber wurde zunächst nicht glücklich.

In seiner ersten Saison kam er lediglich auf 505 Pflichtspielminuten. In der Startelf stand er nur zweimal und das gegen Klubs, die sich 1. FC Heidenheim und AEK Larnaka nennen. Beim bereits irrelevanten abschließenden Europa-League-Gruppenspiel auf Zypern erzielte er auch seinen einzigen Treffer in der Premierensaison.

In der aktuellen Saison wurde es zunächst nicht besser - Fotos mit dem jubelnden Paulinho konnte Leverkusen zwischendurch aber trotzdem reichlich auf der vereinseigenen Website und über die sozialen Netzwerke verbreiten. Dann nämlich, wenn er das Trikot der brasilianischen U-Nationalmannschaften anzog.

Im vergangenen Sommer holte er beim prestigeträchtigen U22-Turnier in Toulon mit Brasilien den Titel und schaffte es sogar in die Elf des Turniers. Anfang dieses Jahres führte er die U23 mit sieben Torbeteiligungen als bester Scorer des südamerikanischen Qualifikationsturniers zur Olympia-Teilnahme in Tokio.

Bayer Leverkusens spannende Offensivabteilung

"Das hat mir sehr geholfen, da habe ich den Rhythmus gefunden", sagte Paulinho. Euphorisiert kehrte er nach Deutschland zurück, stand gegen Frankfurt in der Startelf und glänzte erstmals auch im Trikot von Leverkusen. "Pauli darf sehr zufrieden mit sich sein", lobte Trainer Peter Bosz, der ihn nicht auf seiner Lieblingsposition als Linksaußen aufgeboten hatte, sondern als Spielmacher. Er habe Paulinho nämlich immer schon "mehr als offensiven Mittelfeldspieler" gesehen, erklärte Bosz.

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Auf der Position also, die bei Leverkusen zumeist von Kai Havertz belegt wird. Gegen Frankfurt agierte dieser aber flankiert von Karim Bellarabi und Moussa Diaby als falsche Neun, da Mittelstürmer Kevin Volland verletzt fehlte. Paulinho bekam seine Chance als Spielmacher, beschränkte sich bei seiner Interpretation jedoch nicht nur auf die Zentrale. Mal tauchte er auf den Flügeln auf, mal in der Spitze. Überhaupt rochierte das Offensivquartett permanent.

Obwohl Havertz Teil dieses Quartetts war, machte dieses Spiel auch Hoffnung auf die Zeit nach seinem irgendwann unausweichlichen Abgang. Denn alle Offensivspieler hatten gute Aktionen, das Zusammenspiel untereinander klappte hervorragend - und auf der Bank warteten noch Leon Bailey, Lucas Alario sowie der 21-jährige Winterneuzugang Exequiel Palacios. Kaum ein Bundesligaklub verfügt aktuell über so eine Fülle an talentierten, spannenden Offensivspielern wie Leverkusen.

Vor der Bundesligafortsetzung hat Bosz also die Qual der Wahl - für Paulinho spricht jedenfalls das über zwei Monate zurückliegende 90-minütige Momentum.