Der V8-Motor vibriert im ganzen Körper, das Adrenalin ist sofort da, der Respekt auch, kombiniert mit steigender Euphorie und Nervosität, freudiger Erwartung. Ein surrealer Gefühlsmix, eine emotionale Bandbreite in komprimierter Fassung, in kurzer Abfolge, im Stakkato-Stil.
Ich bin bereit. Glaube ich.
Die 500 PS machen sich bemerkbar, als sie aufheulen, der Krach ist auch unter dem Helm ohrenbetäubend. Ich fühle das DTM-Auto förmlich, in dem ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen habe. Ich spüre die Kraft, die mich in ihren Bann zieht.
Ex-DTM-Champion als "Chauffeur"
Neben mir: Der frühere DTM-Champion Martin Tomczyk. Vor mir: Die heftigste Rennstrecke, die man als Profi erleben kann, als Normalsterblicher sowieso.
Die Nordschleife, der anspruchsvolle Teil des Nürburgrings. "Grüne Hölle". Mythos, Legende, irgendwo im Nirgendwo inmitten der beschaulichen Eifel. 20,832 Kilometer, 73 Kurven, 300 Meter Höhenunterschied, bergauf, bergab am absoluten Limit.
"Alles klar?" fragt mich mein "Chauffeur" mit einer kurzen Geste. "Klar, los geht's", soll mein Daumen sagen, als ich auch schon in den Sitz gedrückt werde. Zeit, darüber nachzudenken, ob ich das wirklich will, habe ich ab jetzt keine mehr.
Der Abtrieb ist enorm, das Erlebnis ein Stück weit unwirklich. Die Strecke rauscht vorbei, Bäume und Leitplanken gefühlt im Millimeterabstand. Immer wieder kommen Stellen, in die ich blind mitfliege. Kuppen, bei denen wir abheben. Bremszonen, in denen ich in die Gurte knalle. Eine Mischung aus flauem Magen und Geschwindigkeits-Rausch.
Magisch. Völlig verrückt. Spektakulär. Ein sieben Minuten langer Adrenalinkick, der mich nicht nur mental malträtiert, sondern auch körperlich.
Fuchsröhre, Bergwerk, Kesselchen, Steilstrecke, Hohe Acht: Alle Sinne sind sensibilisiert, sie explodieren, überfordern, machen süchtig. Die Erkenntnis reift mit jedem Meter: Hier brauchst du Eier. Sogar als Beifahrer.
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Unschlagbare Strecke
"Keine Strecke der Welt wird die Nordschleife schlagen", sagt DTM-Fahrer Mike Rockenfeller. Es stimmt, was soll da noch kommen? Die Geschwindigkeit, die Länge, der Fluss, die ganze Komposition ist Motorsport-Geschichte, irgendwas zwischen Genie und Wahnsinn. Und das alles bei einem Tempo jenseits der 250 km/h.
Abenteuerlich. Absurd.
Eine einzige Herausforderung, auch für die Profis. "Es war gar nicht so leicht, das Auto auf der Stecke zu halten", sagte Tomczyk nach der wilden Fahrt. Gut, dass ich das erst nachher erfahren habe. Wie mag das erst am absoluten Limit, im Renntrimm sein? Und am besten noch bei einem 24-Stunden-Rennen, unter Dauerfeuer also? Mit Gegnern, Überholmanövern? Tagsüber, im Dunkeln?
Keine Frage: Diese Erfahrung war einzigartig, vor allem verschaffte sie mir einen Einblick, was die Faszination der "Grünen Hölle", wie Formel-1-Legende Sir Jackie Stewart sie einmal getauft hat, ausmacht. Im Grunde ist die Strecke eine einzige Mutprobe, sie gilt als besonders unbarmherzig, Angst und Anspannung gibt es hochdosiert.
Geburtsstunde der Silberpfeile
Der Mythos schrieb auch selbst vergleichsweise harmlose Mythen, wie die Geburtsstunde der Silberpfeile. Der damalige Rennleiter Alfred Neubauer soll 1934 angeblich in der Nacht vor dem Eifelrennen auf dem Nürburgring den weißen Lack vom Mercedes W 25 bis zum silbernen Blech abgekratzt haben, um die Gewichtsgrenze von 750 Kilogramm einhalten zu können.
Ob das tatsächlich passiert ist - darüber wird noch heute gestritten, die Geschichte ist aber eine von vielen, die seit der Premiere des Nürburgrings am 18. Juni 1927 geschrieben und erzählt wurden.
Warum überhaupt eine Rennstrecke mitten in der Eifel? Es sollte damals eine wirtschaftliche Unterstützung für die bitterarme Region sein. Was sie lange auch war. Sie war Jobmotor, Identität für die Anwohner.
"So etwas hatten wir noch nicht erlebt. Da lag mitten in den Eifelbergen eine Straße, eine geschlossene Schleife mit fast 180 Kurven, die auf 22 Kilometer verteilt waren. Eine Strecke mit Steigungen, die dem Motor scharf an die Lungen griffen, aber auch mit unsagbar schönen Ausblicken weit über das Land, auf Täler und Dörfer", sagte Rudolf Caracciola, der als erster Fahrer ein Autorennen auf dem Nürburgring gewann.
Das erste Opfer gibt es 1928
Neben seinem Gedenkstein steht auch einer für Cenek Junek. Er ist das erste Todesopfer, er starb am 15. Juli 1928. Da war die Strecke gerade ein Jahr alt. Doch sie gehören genauso dazu.
Denn auf den älteren Strecken kam in der Regel das Kiesbett, wenn man sich verschätzte. Auf den modernen Kursen sind es großzügige Auslaufzonen. Am Ring lauerte schon immer der Tod, viele verheerende Unfälle gehören zur Historie.
Cenek sollten viele Opfer folgen, sie bleiben im Gedächtnis, ihnen gehört ein Platz in den Geschichtsbüchern ebenso wie den Siegern, den erfolgreichen Bezwingern der Nordschleife. Oder denjenigen, die die zahlreichen Horrorunfälle überlebten.
Der wohl "berühmteste": Der Crash von Formel-1-Legende Niki Lauda am 1. August 1976, als der dreimalige Weltmeister der Flammenhölle in seinem Ferrari entkam und dem Tod nur knapp von der Schippe sprang.
Es war das Ende der Formel 1 in der "Grünen Hölle", die Königsklasse kehrte nach dem Bau einer neuen, nur 4,542 Kilometer langen, modernen Grand-Prix-Strecke im Jahr 1985 zurück.
Mehrere Klimazonen
Professioneller Motorsport findet heute in der Regel auf dem modernen Abschnitt statt. Doch kein Nürburgring-Gespräch ohne Nordschleife. "Die Strecke ist die geilste der Welt. Mit Abstand. Mit viel Abstand", sagt DTM-Fahrer Philipp Eng: "Was du auf Slicks im Sonnenschein auf eine Runde erlebst, ist eine Sache. Die andere Sache ist, wenn du ins Schwedenkreuz reinfährst, und es ist trocken, dann kommst du aber ins Metzgesfeld, und es ist eine andere Klimazone. Das ist eine besondere Herausforderung, weil die Strecke so lang ist und du mehrere "Klimazonen" hast. Du musst dich als Team und als Fahrer immer wieder auf neue Situationen einstellen."
Die Idealvorstellung: Eine Runde auf der Nordschleife, kein Verkehr, wenig Benzin, neue weiche Reifen und es gibt nur das Auto und die Strecke: "Das ist geilste, was du als Rennfahrer machen kannst", so Eng. Das kann ich nachfühlen.
Doch Mythos hin, Legende her: Nach der Hochzeit der Formel 1 in den 90er-Jahren mit dem Boom um Michael Schumacher bog die Kultstrecke falsch ab. Beziehungsweise diejenigen, die am Steuer saßen.
Denn zu den finanziellen Verlusten der staatseigenen Nürburgring GmbH durch die hohen Formel-1-Antrittsgebühren gesellte sich ein weiteres, noch gewaltigeres Millionengrab: das ehrgeizige Großprojekt Nürburgring 2009 mit Themenpark, Hotels, Großraum-Disco, einer Multifunktionshalle, einer Flaniermeile, Restaurants und der damals schnellsten Achterbahn der Welt.
Am Rande des Abgrunds
All das finanziert jeweils zur Hälfte vom Land Rheinland-Pfalz und von privaten Investoren. Als die Schecks dubioser Investoren platzten, platzte das Projekt gleich mit. 200 Millionen Euro mehr als geplant kostete die Großmannssucht, die Besucher, mit denen in sechsstelliger Höhe geplant wurde, blieben weg, und die GmbH ging pleite.
2015 wurde der Ring für läppische 77 Millionen Euro verscherbelt. 2013 fuhr die Formel 1 letztmals am Nürburgring.
Inzwischen hat sich der Nürburgring wieder berappelt. Für die Sicherheit der Nordschleife wurde auch einiges getan, ihren Schrecken hat sie trotzdem nicht verloren.
Der Mythos lebt durch Höhepunkte wie das 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife und GP-Strecke weiter. 200.000 Zuschauer kommen, wenn sich 700 Fahrer in rund 160 Autos abwechseln. Ein Volksfest. Ein ganz eigenes Flair.
Bratwurstgeruch im Brünnchen
"Der Bratwurstgeruch im Brünnchen ist für mich das Geilste", sagt Engs DTM-Kollege Marco Wittmann. "Die Kulisse dort ist schon geil mit den Barbecues und den Campern, aber du bekommst den Geruch ins Rennauto. Das ist eine geile Atmosphäre und eine Erinnerung, die dir keiner nehmen kann. Das Flair ist einfach großartig, 200.000 Zuschauer und die riesige Startaufstellung - das ist genial."
Die Ausgabe 2020 wurde wegen der Coronakrise erst einmal auf September verschoben, verzichten muss man auf Fuchsröhre, Bergwerk, Kesselchen, Steilstrecke und Hohe Acht aber nicht.
Denn während der reale Motorsport ausgebremst wurde, startet das Sim-Racing durch, und auch da spielt die Nordschleife eine Hauptrolle. Wie zum Beispiel bei der "Digitalen Nürburgring Langstrecken-Serie powered by VCO", die am Samstag das vierte Saisonrennen austrägt.
Für Profis wie Eng sind diese Rennen "mental zu 100 Prozent" so anstrengend wie in Wirklichkeit. "Ich bin selbst nicht so selbstbewusst wie in einem echten Rennauto. Ich weiß, wie ich im DTM-Auto die letzten zwei Zehntelsekunden herausholen kann, im Sim-Racing fehlt mir das noch. Dieses Selbstverständnis, das virtuelle Auto stets am Limit bewegen zu können, habe ich noch nicht", gibt er zu. Aber: "Ich erlebe die gleichen Emotionen wie beim echten Racing. Es fühlt sich an, als gehe es um alles."
Und: "Auf der Nordschleife denke ich mir immer wieder, ob Flugplatz, Schwedenkreuz oder Fuchsröhre: Scheiße, ist das schnell."
Stimmt.