Als Michael Jordan in die Hall of Fame 2009 eingeführt wurde, hatte dieser die Qual der Wahl, wen er als seinen Laudator einsetzen konnte. Bulls-Trainer Phil Jackson, der legendäre College-Coach von North Carolina, Dean Smith oder auch einen seiner besten Freunde von damals wie Charles Barkley oder Charles Oakley. Seine endgültige Entscheidung überraschte auf den ersten Blick, auf den zweiten machte sie mehr als nur Sinn: David Thompson.
Er sollte die Rede für den besten Spieler aller Zeiten halten. Ein Spieler, den Michael Jordan in seiner Kindheit bewunderte. Ein Mann, der für North Carolina State auflief, während His Airness beim großen Rivalen North Carolina Tar Heels studierte.
Doch warum Thompson? Der Spitzname Skywalker verrät dabei einiges. Thompson war einer der ersten Spieler der 70er-Jahre, der eine schier unglaubliche Athletik in die NBA brachte. Durch seinen angedeuteten Ausfallschritt wirkte es, als ob in der Luft gehen würde. Selbst in der heutigen Association mit all ihren Athletik-Freaks würde Thompson herausstechen.
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David Thompson: Der Springer vom Lande
Bemerkenswert ist besonders eine Zahl, der Vertical Leap, die Sprunghöhe aus dem Stand. 44 Inches (das sind unfassbare 112 Zentimeter) wurden für DT notiert, damals war dies sogar einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde wert. Thompson selbst behauptete später, dass bei ihm sogar vier Inches mehr gemessen wurden. Des Weiteren existieren Geschichten, dass das Sprungwunder sogar eine Münze von der Korbanlage ohne Probleme herunter fischen konnte.
Offiziell wurde Thompson von der NBA als 1,96 Meter groß gelistet. Einige seiner Mitstreiter behaupteten allerdings, dass er circa fünf Zentimeter kleiner war. Jeder Scout würde heutzutage schier aus dem Häuschen sein. Um das einzuordnen: einer der größten Dunker der letzten Jahre, Vince Carter, erreichte nur 43 Inches bei einer Messung während seiner Prime.
Die Fähigkeit war aber nicht nur eine Laune der Natur. Thompson trainierte in seiner Jugend seine Sprünge unter anderem mit Gewichten an den Gelenken. Ein Mitspieler erinnerte sich: "Er trainierte mehr wie ein Football-Spieler. Er stemmte knapp 60 Kilo pro Bein."
Thompson wuchs als Jüngster von elf Geschwistern auf einer Farm in North Carolina auf. Einen Court hatte die Familie nicht, also baute Papa Thompson mit den Söhnen und auch Cousin Alvin Gentry, der jetzige Coach der New Orleans Pelicans, ein eigenes Feld auf die trockene rote Erde. "Es war ziemlich schwer zu springen auf diesem Untergrund, aber als ich dann in die Halle kam, fiel es mir viel leichter", versuchte Thompson später seine Gabe zu erklären.
David Thompson: Fliegen verboten
Dunks waren zu Thompsons Zeit im College jedoch verboten. Thompsons Uni, NC State, machte aus der Not eine Tugend und setzte vermehrt auf Alley-Oops mit dem Skywalker, der den Ball aus der Luft in den Korb legte. Seinen einzigen Dunk gab es im letzten Spiel zu bestaunen, als sein Trikot an die Hallendecke gegen die Charlotte 49ers gezogen wurde. "Ich hatte das Gefühl, dass ich den Fans eine Erinnerung hinterlassen muss. Darum packte ich einen Monsterslam aus. Die Fans sind völlig verrückt geworden und gaben mir Standing Ovations. Ich bekam ein Technisches Foul und der Coach wechselte mich sofort aus."
Dennoch war die Zeit für Thompson an der Uni ein voller Erfolg. 1974 konnte NC State die erste College-Meisterschaft feiern. In Erinnerung blieb vor allem das legendäre Match gegen UCLA um Star-Center Bill Walton und Coach John Wooden. Nach zweimaliger Verlängerung setzte sich das Wolfpack durch, Thompson gelang der Gamewinner. Walton war rückblickend voll des Lobes für den Star aus North Carolina: "Diese Niederlage wird mich mein Leben lang verfolgen. Er war der beste Spieler auf dem College, gegen den ich je gespielt habe."
David Thompson: Epische Duelle mit Dr. J
Natürlich blieben die Leistungen von Thompson auch in der NBA nicht unbemerkt. Der GM der Denver Nuggets, Carl Scheer, sagte dazu vielsagend: "Man konnte in dieser Zeit kein Sportfan sein, wenn man nicht David Thompson kannte." Die Atlanta Hawks zogen den Skywalker 1975 mit dem ersten Pick im Draft. Allerdings konnten Spieler und Franchise keine Einigung erzielen: "Sie behandelten mich so, als ob sie mich nicht wollten. Sie luden mich zum Dinner bei McDonald's ein", berichtete Thompson, der sich stattdessen lieber den Nuggets aus der ABA anschloss.
Für Thompson nur die logische Entscheidung. Die ABA war ein Spektakel, deutlich fortschrittlicher als die damals konservative NBA, gespickt mit aufregenden Spielern und Athleten wie George Gervin, Artis Gilmore oder Julius Erving. Gleich in seinem ersten Jahr führte er die Nuggets in die Finals, doch dort waren Doctor J und die New York Nets eine Nummer zu groß.
Doch war es ein anderes Duell mit Erving, dass in die Annalen des amerikanischen Basketballs einging: der erste Slam-Dunk-Contest. Mit Thompson, dem Iceman und Doctor J trat die Creme de la Creme an und sorgte für ein Spektakel. Am Ende siegte Doctor J mit dem berühmten Dunk von der Freiwurflinie knapp vor Thompson. Augenzeugen berichteten später, dass dem Skywalker im Training deutlich schwierigere Dunks gelangen, im Wettbewerb zeigte er sie aber nicht.
David Thompson: 73 Punkte reichen nicht zur Scoring-Krone
Doch es waren nicht nur seine körperlichen Voraussetzungen, die ihn einzigartig machten. Thompson besaß ebenso einen tödlichen Sprungwurf aus der Mitteldistanz, was ihn beispielsweise von Erving unterschied, der nie einen solchen Wurf entwickeln konnte. Es war ein Albtraum, den Skywalker zu verteidigen, vor allem wenn dieser auch noch seine Jumper mit traumwandlerischer Sicherheit traf. Über kleinere Verteidiger warf er mit Leichtigkeit drüber, größere Gegner bezwang er mit seiner Explosivität.
Kein Wunder also, dass Thompson auch nach dem Zusammenschluss von ABA und NBA im Jahr 1977 weiter dominierte. In seinen ersten fünf Jahren in Colorado legte der Guard 25,2 Punkte im Schnitt auf bei Quoten über 50 Prozent. 1977 und 1978 wurde er ins All-NBA First Team gewählt und kam obendrein zu All-Star-Ehren.
Den Höhepunkt markierte der letzte Spieltag der Regular Season im Jahr 1978. Thompson kämpfte mit Gervin von den San Antonio Spurs um die Scoring-Krone und der Spieler der Nuggets musste vorlegen. Und wie er das tat: Zur Pause standen 51 Punkte gegen die Detroit Pistons zu Buche.
Sein Trainer Larry Brown dazu: "Er hat es nicht erzwungen, sondern einfach nur seine Würfe getroffen. Er traf 20 von 23, wobei er die letzten beiden Würfe vor der Halbzeit daneben setzte. Es ging ihm nicht nur um den Titel. Er wollte das Spiel gewinnen." Am Ende standen 73 Punkte (28/38 FG) auf dem Statistikbogen. Nur Wilt Chamberlain erzielte bis dahin mehr Zähler in einem Spiel. Der Iceman machte aber auch 63 Zähler und sicherte sich so den Titel im knappsten Rennen um die Punktekrone aller Zeiten.
David Thompson: Mo Money, Mo Problems
Thompson war nun endgültig in aller Munde. Obwohl er in Denver für eine kleine Franchise spielte, war er im ganzen Land ein Star. Er sah gut aus, gab sich charismatisch und war in der Community in Colorado äußerst aktiv. Noch im Sommer unterschrieb der Shooting Guard den bestdotiertesten Vertrag der NBA-Geschichte. Vier Millionen Dollar für fünf Jahre waren im Jahr 1978 eine gigantische Summe.
Doch mit dem Geld stieg auch der Druck. Die Nuggets scheiterten zweimal früh in den Playoffs und auch 1979 war gegen die Lakers in der ersten Runde Schluss. In den kommenden beiden Jahren verpasste Denver gar die Postseason. Thompson wurde verletzungsanfälliger und fand in Kokain und anderen Drogen einen Ausgleich zu den immensen Erwartungen. Er war zu dieser Zeit kein Einzelfall: Die NBA kämpfte mit massiven Drogenproblemen, die erst 1984 mit der Inthronisierung von David Stern als Commissioner eingedämmt wurden.
Für Thompson kamen diese Maßnahmen jedoch zu spät. 1982 wurde der Skywalker zu den Seattle SuperSonics getradet. Dort erhielt der einstige Star zwar 1983 nach vier Jahren noch einmal eine Einladung für das All-Star Game, doch die Probleme mit Drogen und durchzechten Nächten blieben. Sein Spiel wurde lethargisch, er verlor an Gewicht. Nur noch wenig erinnerte an den so dominant auftretenden Spieler, der er noch vier, fünf Jahre zuvor war.
David Thompson: Verhängnisvolle Treppe
Mit Mitte/Ende 20 erreichen viele Spieler ihre Prime, bei Thompson regierte derweil der Zerfall einer Ausnahmeerscheinung. Seine Zahlen gingen in den Keller, in Seattle kam er gar nur noch von der Bank. In der Saison 1983/84 legte er nur noch 12 Punkte im Schnitt auf und spielte lediglich 19 Partien.
In einem Nachtclub in Manhattan, dem sagenumwobenen Studio 54, in dem sich zahlreiche Hollywood-Stars die Klinke gaben, endete die Karriere des Skywalkers auf tragische Art und Weise. Bei einer Auseinandersetzung wurde DT die Treppe herunter gestoßen. Er verletzte sich dabei so schwer am Knie, dass er nie wieder in der NBA auflaufen konnte: Karriere-Ende mit 29 Jahren. Ein Comeback-Versuch bei den Indiana Pacers scheiterte kläglich.
Auch nach seinem erzwungenen Rücktritt fand Thompson lange nicht zurück in die Spur. Alkohol und andere Drogen waren eine grausame Spirale für den einst fliegenden, und doch so tief gefallenen Superstar. Erst in den 90ern fand Thompson durch einen Pastor und den Glauben an Gott zurück ins Leben. Inzwischen setzt er sich wohltätig in North Carolina ein und hilft Kindern, indem er seine Lebenserfahrungen weitergibt.
David Thompson: Seine Statistiken in der NBA und ABA
Saison Team Spiele Minuten Punkte FG% Rebounds Assists 1975/76 Nuggets (ABA) 83 37,4 26,0 51,5 6,3 3,7 1976/77 Nuggets 82 36,6 25,9 50,7 4,1 4,1 1977/78 Nuggets 80 37,827,2 52,1 4,9 4,5 1978/79 Nuggets 76 35,1 24,0 51,2 3,6 3,0 1979/80 Nuggets 39 31,8 21,5 46,8 4,5 3,2 1980/81 Nuggets 77 34,0 25,5 50,6 3,7 3,0 1981/82 Nuggets 61 34,0 14,9 48,6 2,4 1,9 1982/83 SuperSonics 75 20,4 15,9 48,1 3,6 3,0 1983/84 SuperSonics 19 28,7 12,6 53,9 2,3 0,7
David Thompson: "Habe es weggeschmissen"
"Ich hatte die Fähigkeiten, einer der größten Spieler der Geschichte zu werden, aber ich habe es weggeschmissen", sagte Thompson im Rückblick auf seine Karriere, wohlwissend, dass die NBA eines ihrer größten Talente ihrer Existenz an weißes Pulver, Pillen und Alkohol verloren hatte.
Dennoch geriet der Skywalker in der Familie der Association nie in Vergessenheit, auch wenn er nur neun Jahre durch die Hallen flog. Ex-Teamkollege Dan Issel ist sich sicher: "Wenn David so lange gespielt hätte, wie er konnte, würde man ihn heute im selben Atemzug mit Michael Jordan nennen."
Auch Jordan selbst sparte nie an Lob, wenn es um David Thompson ging: "Ich hatte vor ihm noch nie einen Spieler seiner Größe gesehen, der so springen konnte und so kreativ war wie er." Deswegen war es nur folgerichtig, dass der Skywalker die Laudatio auf His Airness und dessen Einführung in die Hall of Fame hielt Der einstige Nuggets-Coach Brown brachte es in der Doku Skywalker auf den Punkt: "David Thompson war Michael Jordan, bevor Michael Jordan da war."