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Dieser Artikel erschien in seiner ursprünglichen Fassung am 17. September 2015.

"Es ist mir egal, ob wir diese Saison 82 Spiele gewinnen - danach bist du verdammt nochmal weg." Zitat Jerry Krause, General Manager der Chicago Bulls im Sommer 1997. Direkt nach den zwei aufeinanderfolgenden Titeln, die Phil Jackson in die Windy City gebracht hatte. Und direkt vor der Vervollständigung des zweiten Threepeats als Bulls-Coach.

Es wurden nicht 82 Siege, sondern "nur" 62. Danach war die Beziehung zwischen Jackson und Chicago wie angekündigt tatsächlich Geschichte. Wenn der Zen-Master auf diesen Wendepunkt in seinem Leben zurückblickt, so wird er - seiner esoterischen Ader geschuldet - vermutlich überwiegend Positives sehen: eine Schnittstelle zweier langer und äußerst erfolgreicher Jobs, die ihn zum erfolgreichsten Coach der Geschichte gemacht haben.

Nichts anderes als Sport

Der Weg dorthin war steinig und hart. Jackson war kein Überflieger-Coach und schon gar kein Überflieger-Spieler, dessen späterer Erfolg an den Seitenlinien der NBA vorbestimmt war. Aufgewachsen als Kind eines Priesters und einer Priesterin, die ihr Leben der Armut verschrieben hatten, blieb Philip Douglas Jackson in seinen jungen Jahren nichts anderes als Sport - denn Fernsehen, Rockmusik oder Kinobesuche waren nicht erlaubt.

Nicht auszudenken, Jackson hätte sich für Baseball oder Football entschieden, zwei Sportarten, in denen er in der High School ebenfalls überdurchschnittlich gut war. Doch glücklicherweise ging er an die University of North Dakota, um dort in der Division II den Spalding mit seinem ungelenken Linkshänder-Hakenwurf durch die Reuse zu befördern.

Vom Invaliden zum Hilfscoach

Dank seiner stählernen Screens und der intensiven Defense spielte sich Jackson trotz der unterklassigen Liga auf das Radar der NBA-Teams. Mit dem 17. Pick des Drafts 1967 zogen ihn die New York Knicks, deren Jersey er in den folgenden elf Jahren trug. Die Meistersaison 1970 - inklusive des Wunderauftritts von Willis Reed - verpasste Phil mit Wirbelsäulenproblemen.

"Ich landete auf der Verletztenliste und Coach Red Holzman hatte keinen Assistenten" erzählte Jackson später: "Also wurde ich der zweite Mann in der Kabine. Als wir eine Verbindung aufbauten und er sah, dass ich das Spiel aus einem ganz bestimmten Blickwinkel betrachtete, bat er mich im Locker Room vor den Spielen die Plays der gegnerischen Teams aufzuzeichnen." Den Ring 1973 konnten sich Walt Frazier und Co. auch dank der Mithilfe des Bankspielers Jackson anstecken.

Vor allem wegen seiner unkonventionellen Art war Jax in New York Publikumsliebling. Jeden Tag kam der Coat Hanger ("Mantelständer"), wie ihn seine Teamkollegen aufgrund seiner Statur nannten, mit dem Fahrrad zur Arena. Er engagierte sich, demonstrierte gegen die Kriegspolitik der USA und lebte zeitweise vegetarisch. Sein Bart war mitunter länger als der Stau vor dem Madison Square Garden, an seinen Experimenten war auch LSD beteiligt. Kurzum: Er war ein echter Hippie.

Wie Phil Jackson zum Coach wurde

Noch bevor Jackson 1978 auf die andere Seite des Hudsons zu den New Jersey Nets getradet wurde, reichte ihm der Basketball nicht mehr. Während der Sommermonate arbeitete er in Fortsetzung seines Studiums der Psychologie, Religion und Philosophie an seiner Doktorarbeit.

Während er seine Spielerkarriere in New Jersey ausklingen ließ, übernahm Jackson im Team von Kevin Loughery parallel Aufgaben als Assistant Coach, nachdem er noch zu Beginn seiner Knicks-Zeit stets betont hatte, Coaching sei nichts für ihn. Nun hatte es ihn gepackt, doch seine spezielle Art hielt die Franchise-Verantwortlichen des ganzen Landes davon ab, ihn zu engagieren. Also suchte sich Jackson seinen eigenen Weg.

Seine erste Station als Head Coach waren die Albany Patroons der zweitklassigen Continental Basketball Association. Um den Teamgedanken in den Vordergrund zu stellen, setzte Jackson durch, dass allen Spielern das gleiche Gehalt bezahlt wurde. Nach fünf Jahren und einer Meisterschaft zog er in Ermangelung eines Angebots aus der NBA weiter nach Puerto Rico.

Jackson dachte bald ans Aufhören, doch 1987 wagte Bulls-GM Jerry Krause das Experiment mit dem unkonventionellen Jackson und stellte ihn als Assistant Coach von Doug Collins ein. Krause bereute seine Wahl nicht und zwei Jahre später folgte die Beförderung zum Head Coach. Jackson hatte es geschafft, obwohl er zunächst ein wenig Überzeugungsarbeit leisten musste, um seinen wichtigsten Spieler zu erreichen.

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Phil Jackson: In jeglicher Hinsicht anders

Michael Jordan und Co. staunten nicht schlecht, als der neue Coach seine Spieler zum ersten Mal bat, sich zu Beginn der Preseason an einer Linie aufzustellen und sie folgende Worte zu hören bekamen: "Gott hat mich beauftragt, euch junge Männer zu coachen und ich nehme diese Aufgabe an, die mir gegeben wurde. Wenn ihr bereit seid, das Spiel, das ich lehre, anzunehmen und mir zu folgen, dann tretet als Zeichen eures Commitments über diese Linie."

Es sollte nicht die einzige Neuerung sein, die Jackson mit in die Organisation brachte. Inspiriert vom Zen-Buddhismus und der fernöstlichen Kultur machte er Meditationen zu einem festen Bestandteil des Trainingsplans und der Pregame-Rituale. "Oft starteten wir mit einem Moment der Stille", berichtete Jackson: "Lasst uns ein paar Mal tief durchatmen, zur Ruhe kommen, sodass wir uns selbst ein wenig zuhören und an nichts denken können."

Wenn er etwas mit seinen Spielern im Konferenzraum, den er in "Stammeszimmer" umbenannte, zu besprechen hatte, schlug er rhythmisch eine dumpfe indianische Trommel. Er gab jedem einzelnen Spieler Bücher zu lesen - von Taktik-Hilfen bis hin zu asiatischen Lebensweisheiten. Manchmal ließ Jackson seine Spieler sogar bei völliger Dunkelheit trainieren, um ihre Instinkte zu schulen.

Teamplayer Michael Jordan

Seine Spiritualität und der ganzheitliche Ansatz erlaubten Jackson - nachdem die Spieler sich darauf eingelassen hatten - seinen ganz speziellen Teamgedanken zu implementieren. Auch bei Jordan. Dieser hatte zu diesem Zeitpunkt individuell bereits alles gewonnen, galt jedoch nicht als Teamplayer und nannte noch keinen Titel sein Eigen. Jackson brachte ihm bei, in der schwierigen Rolle als bester Spieler eines Teams aufzublühen und dabei gleichzeitig sein Team besser zu machen.

Jordan war der Fixstern - doch Jacksons Bulls waren mehr als Michael. Seine Gamewinner, die Punkte-Galas, das Flu Game - all das waren Jordans Leistungen. Aber hinter dem Erfolg stand nicht der Satz: "Michael, hier hast du den Ball, mach was draus." Es brauchte Jacksons Struktur und System sowie elf andere Spieler, die beides auf dem Spielfeld umsetzten.

Phil Jackson und die Triangle Offense

Mindestens ebenso wichtig wie seine revolutionären Ansätze der Team-Dynamik war das System, das unter Jackson in Chicago und L.A. gespielt wurde: die Triangle Offense. Die Idee kam aber ursprünglich gar nicht vom Zen Master.

Bulls-Assistant Tex Winter hatte das in den 1930er Jahren von College-Coach Sam Barry erdachte System weiterentwickelt und schon Jacksons Vorgängern in der Windy City vorgeschlagen. Keiner wollte es ausprobieren, Jackson schon. Er sah in dem Konzept die basketballerische Inkarnation seiner philosophischen Grundsätze: Kameradschaft, Teamwork und Geschlossenheit. Ihm gefiel die strukturelle Improvisation des Systems, da sie die Entscheidungsfreiheit der Spieler förderte.

Die Triangle, von Jackson einmal als "Tai Chi für fünf Personen" bezeichnet, wurde in den folgenden Jahren zum dominanten Angriffssystem. Chicagos einzigartiger Teamspirit, der beste Spieler aller Zeiten auf dem Feld und der beste Coach aller Zeiten an der Seitenlinie - die sechs Meisterschaften der Bulls waren eine Konsequenz aus genau diesem besonderen Paket.

Dass Jackson nur in der 72-Siege-Saison 1996 zum Coach of the Year gewählt wurde, ist einer der größten Skandale der Ligahistorie. Nach dem durch Krause verursachten Bruch zwischen Jackson und den Bulls kündigte er nach dem sechsten Ring an, nie mehr coachen zu wollen. Doch das Spiel ließ ihn nicht los und bereits ein Jahr später stand er in seinen Birkenstock-Sandalen, gestützt auf einen hölzernen Stab, im Staples Center und korrigierte Kobe Bryant und Shaquille O'Neal beim Training.

Los Angeles Lakers: Challenge accepted

Jackson hatte als Coach nichts mehr zu beweisen, aber die Herausforderung, ohne Jordan einen Titel zu gewinnen, reizte ihn. Die Lakers brauchten jemanden, der den Ruf ihrer Franchise wiederherstellen konnte. Der Glanz der Showtime-Ära war verflogen und weder Coach Magic Johnson noch Kurt Rambis oder Del Harris waren in der Lage, mit den schwierigen Charakteren umzugehen.

Sie wussten, warum sie Jackson das Dreifache eines jedes anderen Coaches der Liga bezahlten. Er brachte nicht nur seine Methoden, sondern auch Tex Winter und die Triangle Offense mit und führte die Lakers gleich im ersten Jahr zurück an die Spitze. Und im zweiten. Und im dritten.

"Manche Menschen werden seine Methoden nicht verstehen", so Bryant: "Aber wenn du für ihn spielst, dann begreifst du es vollkommen. Er ist einfach brillant darin, eine Gruppe zusammenzubringen und mit ihr ein gemeinsames Ziel zu erreichen."

Das verflixte vierte Jahr

Nachdem die Lakers mit Gary Payton und Karl Malone zwei weitere All-Stars nach Kalifornien geholt hatten, erlebte die NBA 2004 den vielleicht größten Finals-Upset ihrer Geschichte. Die Detroit Pistons schickten das Star-Ensemble von der Westküste mit 4-1 nach Hause und gleichzeitig an den Rand des Abgrunds.

Seit langem hatte Jackson Zwist mit Bryant, dem die Triangle trotz seines gesteigerten Scorings zu langweilig war und der das System immer öfter missachtete, um auf dem Court sein eigenes Ding durchzuziehen. Jackson forderte Kobes Trade, die Mamba einen Coaching-Wechsel. Die Streitigkeiten zwischen O'Neal und Kobe begleiteten das Team bereits seit Beginn des Training Camps. Wenn Kobe in der kommende Saison noch Teil der Lakers sei, werde er gehen, gab Jackson während des All-Star-Breaks bekannt.

Und Jackson ging - weil das Management es so wollte. Eigentümer Jerry Buss stand auf Kobes Seite, also wurde Shaq nach Miami getradet und auch Phil musste seinen Stock nehmen. Ein Fehler, wie selbst Bryant zugeben musste. Eine bereits im April beendete Saison später brachte L.A. den Zen Master zurück, obwohl dieser in seinem "The Last Season" kein gutes Haar an Bryant gelassen hatte. Und abermals kam mit Jackson der Erfolg.

2009 und 2010 holte er mit Kobe und Pau Gasol seine Ringe zehn und elf und wurde damit zum erfolgreichsten Coach aller vier großen US-Sportarten. Als er 2011 nach dem überraschenden Postseason-Sweep durch die Dallas Mavericks zurücktrat, war er bereits länger an Prostata-Krebs erkrankt, verschob die Therapie aber bis nach Saisonende.

Eine funktionale Ehe

"Wenn ich gehe, denke ich nicht, dass mich das Lakers-Management noch einmal anrufen und um Rat fragen wird." Diese Worte spiegeln die Beziehung zwischen Jackson und der Franchise treffend wider: Es war eine funktionale Ehe.

Auf der einen Seite Jackson, getragen von Birkenstock und seinem spirituellen Teamgedanken. Auf der anderen Seite die von Selbstdarstellern geprägte Glamour-Franchise aus Hollywood. Eine seltsame, aber erfolgreiche Symbiose zweier Welten.

In einer Zeit, in der Spieler ihre Coaches immer mehr in den Schatten stellten - sowohl bezüglich ihres Einflusses als auch ihres Gehalts - hat Jackson bewiesen, dass ein guter Mann an der Seitenlinie immer noch unverzichtbar ist, um langfristig erfolgreich zu sein.

20 Jahre arbeitete Jackson als Coach, 20 Mal erreichte er die Playoffs. Seine elf NBA-Championships sind ebenso unübertroffen wie die phänomenale Siegquote von 70,4 Prozent. Er verhalf mit MJ, Kobe und Shaq drei außergewöhnlichen Spielern zu ihren Erfolgen, indem er sie pushte und gleichzeitig in ein funktionierendes Mannschaftsgefüge einwebte.

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Phil Jackson: Kein Erfolg als Executive

Einzig seine letzte Station in der NBA war nicht mehr von Erfolg gekrönt - allerdings war Jackson hier auch kein Coach mehr. Nach einigen Jahren des Kochens, der Gartenarbeit und des Schreibens verschlug es ihn im März 2014 noch einmal dorthin, wo in der NBA alles für ihn begonnen hatte: Zu den Knicks. Hier sollte er als President of Basketball Operations das Ruder bei der auf Umwege geratenen Franchise herumreißen.

Diese undankbare Herausforderung stellte sich jedoch auch für Jackson als zu groß heraus, der seine Ideen als Executive nicht so vermitteln konnte wie zuvor als Coach, und der bei den Knicks auch keine Spieler vom Schlage eines MJ oder Kobe mehr vorfand. Das Intermezzo, das 2017 endete, bestätigte letztendlich das, was Jackson ohnehin immer gewusst und gepredigt hatte.

Eine einzige Person kann nicht für den Erfolg einer Organisation verantwortlich sein. Es braucht ein Team.