Im schonungslosen Interview mit SPOX und Goal spricht der Linksfuß über seine Ausbildung beim eigentlich verhassten VfL, sein fotoloses Debüt in der 3. Liga und Duelle mit Sadio Mane.

Kragl verrät, wie er zu seinem beeindruckenden Schuss kam, warum er in San Siro eine Kontaktlinse verlor und dass Italien-Legende Walter Zenga aus seiner Sicht "ein Arschloch" ist. Außerdem: Wie er mit hartnäckigem WhatsApp-Verhalten das Herz von Model und Promi-Big-Brother-Siegerin Alessia Macari gewann.

Oliver, in Italien besteht seit mehr als einem Monat eine strikte Ausgangssperre. Wie sieht Ihr Alltag in Zeiten von Corona aus?

Oliver Kragl: Ich kann aktuell etwas länger schlafen und stehe auf, wann ich möchte. Dann kümmere ich mich um unsere Hunde, mache sie sauber und spiele mit ihnen auf der Terrasse. Meine Frau und ich kochen jeden Tag, danach pflegen wir unsere Instagram-Accounts und betreuen unser Label "LIF". Um 15.30 Uhr finden die Online-Trainingseinheiten vom Verein statt. Danach habe ich Freizeit, die ich meistens an der PlayStation mit einigen Partien Call of Duty verbringe. Am Abend wird wieder gekocht und im Anschluss schauen wir bis zwei oder drei Uhr nachts Serien auf Netflix.

Ein Lagerkoller ist also noch nicht in Sicht?

Kragl: Ich muss schon zugeben, dass es mir langsam auf die Eier geht. Wir haben zwar alles, was man zum Leben braucht, aber es fühlt sich dennoch ein bisschen nach Knastleben an. In diesen Zeiten erkennt man, wie viel das Leben wert ist, wenn man nicht rausgehen darf.

Wie gestaltet sich das Training?

Kragl: Das Training findet online mit unserem Fitnesscoach statt. Danach spule ich mein Laufprogramm auf der Terrasse ab.

Das muss eine große Terrasse sein.

Kragl: Wir haben glücklicherweise eine sehr große Terrasse (lacht). Ich mache dort Intervallläufe, immer 15 Meter mit ständigen Richtungswechseln. Jeder versucht eben, sich bestmöglich fitzuhalten.

Italien zählt zu den Ländern, die das Coronavirus ganz besonders hart getroffen hat. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?

Kragl: Die Stimmung ist sehr bedrückend. Die Menschen gehen auf Abstand, man sieht kaum Leute, die sich miteinander unterhalten. Man muss Schutzmasken und Handschuhe tragen, ansonsten wird man nicht in den Supermarkt gelassen. Alles erweckt den Anschein, als handele es sich um die Apokalypse. Mich wundert, dass Italien so viele Todesfälle zu beklagen hat. Ich verstehe nicht, warum andere Länder diesbezüglich nicht so schlimm betroffen sind. Es ist wirklich furchtbar.

Italien-Legionär Oliver Kragl im Steckbrief

geboren 12. Mai 1990 in Wolfsburg Größe 1,80 m Gewicht 75 kg Position linkes Mittelfeld, linker Verteidiger starker Fuß links Stationen VfL Wolfsburg Jugend, Eintracht Braunschweig, Halberstadt, Babelsberg 03, SV Ried, Frosinone, Crotone, Foggia, Benevento Spiele/Tore in der Serie B 101/20

Oliver Kragl: "Alter, warum spiele ich hier gerade?"

Ihr letztes Spiel fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen Pescara statt. Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?

Kragl: Unsere Fans standen draußen vor dem Stadion und haben uns angefeuert und gesungen. Die Italiener sind echt krass, in Deutschland würde man so etwas in der Bundesliga höchstens bei Köln, Dortmund, Gladbach oder Schalke sehen. Obwohl unsere Anhänger uns unterstützt haben, war es ein komisches Gefühl. Wenn du in die Kurve schaust und keine Menschen siehst, dann ist das einfach traurig und man denkt sich: "Alter, warum spiele ich hier gerade?" Aber das Spiel gegen Pescara war nicht nur aus diesem Grund befremdlich.

Erzählen Sie!

Kragl: Damals stand die Coronakrise noch ganz am Anfang. Die Spieler von Pescara kamen mit Mundschutzmasken auf den Platz und wollten damit antreten. Einen Tag zuvor hat der Verein sogar noch um eine Verlegung des Spiels gebeten, weil sechs oder sieben Spieler verletzt waren, bei zwei weiteren Spielern wurde vermutet, dass sie sich mit dem Virus infiziert haben könnten. Der Verband hat den Antrag abgelehnt. Hinterher hat sich herausgestellt, dass Pescaras Trainer Corona hatte. Wir wurden aber nicht getestet. Völlig irre.

Vielleicht müssen Sie sich an Geisterspiele gewöhnen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) hat kürzlich die düstere Voraussage getroffen, dass Fußballspiele mit Zuschauern erst 2021 wieder stattfinden können.

Kragl: 2021? Das würde auch bedeuten, dass bis dahin keine Konzerte oder andere kulturelle Veranstaltungen stattfinden dürften, bei denen viele Zuschauer sind. Auf der anderen Seite werden allerdings große Einkaufszentren mit 200 Läden wieder aufgemacht. Dort tummeln sich vielleicht keine 50.000 Menschen, aber immerhin genügend, um das Virus zu verbreiten. Das macht doch keinen Sinn.

Ihr Team belegt mit 20 Punkten Vorsprung den ersten Platz in der Serie B, der Aufstieg galt als sicher. Welches Szenario würden Sie sich für den Saisonendspurt wünschen?

Kragl: Ich würde am liebsten sofort wieder anfangen. Europaweit sollte jede Profiliga so schnell es geht ohne Zuschauer fortgesetzt werden, um den Zeitrahmen nicht komplett zu sprengen. Es kann nicht angehen, dass die laufende Saison endet und eine Woche später startet die nächste. Auch Fußballer haben einen Anspruch auf Urlaub, um den Kopf freizubekommen. Besonders nach dieser Scheiße, die gerade passiert, möchte ich meine Familie in Deutschland sehen. Wir sind somit auf eine Pause im Sommer angewiesen. Ich kann nicht während der Saison einen Urlaubsantrag beim Präsidenten einreichen und sagen, dass ich eine Woche mit meiner Tochter verreisen möchte.

Um den Start in die neue Saison nicht zu gefährden, wurde auch ein Abbruch immer wieder thematisiert, die Niederlande gingen bereits einen entsprechenden Schritt. Wie stehen Sie dieser Alternative gegenüber?

Kragl: Wenn es tatsächlich zu einem Abbruch kommen sollte, muss eine Regelung gefunden werden. Ich würde dafür plädieren, dass die ersten beiden Mannschaften aufsteigen, aber kein Team absteigt. Die Vereine, die sich oben festgesetzt haben, müssen auf jeden Fall belohnt werden.

Aber wenn dieser Fall nicht eintreten sollte und die kommende Saison einfach mit der aktuellen Konstellation begonnen wird?

Kragl: Wir haben 20 Punkte Vorsprung. Wenn wir nicht aufsteigen dürfen, wäre das ein absoluter Witz. Das wäre ein noch größerer Skandal als der Wettskandal, der Italien vor vielen Jahren erschüttert hat. Ich würde ausrasten.

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Benevento mit 20 Punkten Vorsprung: "Das schafft Filippo Inzaghi hervorragend"

Welchen Anteil hat Trainer Filippo Inzaghi an den angesprochenen 20 Punkten Vorsprung?

Kragl: Einen sehr großen. Die Kunst ist es, eine funktionierende Mannschaft stets auf Trab zu halten, damit - trotz des großen Vorsprungs - keine Lethargie einkehrt. Das schafft Filippo Inzaghi hervorragend. Er hat als Spieler die Champions League gewonnen und ist Weltmeister geworden. Er war vielleicht nicht der größte Techniker, wusste aber als Stürmer immer, wo er stehen musste. Er ist nicht umsonst einer der torgefährlichsten Milan-Spieler aller Zeiten. Er vermittelt uns seine Erfahrungen bestmöglich und gibt die Einstellung, die er früher an den Tag gelegt hat, an uns weiter.

Welche Rolle spielte er bei Ihrem Wechsel zu Benevento?

Kragl: Auch Parma und SPAL aus der Serie A hatten Interesse bekundet. Vor allem, weil ich ein freier Spieler war und keine Ablöse gekostet hätte. Aber Pippo hat mich angerufen. Da war ich ein bisschen perplex, habe mich aber gefreut, dass er sich persönlich gemeldet hat. Das ist im Fußballbusiness nicht selbstverständlich. Ich wusste, dass sein Interesse echt war, weil Pippo mich schon verpflichten wollte, als er noch Bologna-Trainer war. Das Problem war: Foggia, mein damaliger Klub, hat drei Millionen Euro für mich gefordert, die Bologna nicht aufbringen konnte. Pippos zweiter Versuch hat also besser funktioniert (lacht).

Können Sie sich an eine besondere Ansprache erinnern?

Kragl: Er ist der Kabine kein großer Zampano. Er sagt klipp und klar, dass wir die Sachen, die wir im Training durchgehen, umsetzen sollen. Natürlich kommen auch von ihm die altbekannten Sprüche: "Diskutiert nicht mit dem Schiedsrichter" oder "lasst Euch nicht auf Provokationen ein." Aber im Grunde weiß er, dass wir als Mannschaft variabel sind und jeder Gegner Schwierigkeiten bekommt. Jeder Spieler bei uns verfügt über eine hohe fußballerische Intelligenz. Das habe ich während meiner Karriere bislang selten erlebt, auch in Deutschland nicht. Da macht jeder sein eigenes Ding.

In Deutschland, genauer gesagt in Wolfsburg, hat für Sie alles angefangen. Wie wurde der VfL auf Sie aufmerksam?

Kragl: Ich habe bei einem kleinen Verein, dem TSV Wolfsburg, angefangen, danach bin ich zum TV Jahn gewechselt. Mit beiden Mannschaften haben wir regelmäßig gegen den großen VfL gewonnen. Irgendwann wollte der VfL sich es nicht mehr gefallen lassen, gegen die kleinen Vereine hergespielt zu werden. Frank Plagge, damals Wölfe-Jugendtrainer, hat mich dann überzeugt, zum VfL zu wechseln. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals für diesen Klub spielen würde.

Warum nicht?

Kragl: Weil ich den VfL früher gehasst habe. Die Jugendspieler waren unfassbar arrogant. Die meisten Eltern haben sich ebenfalls für etwas Besseres gehalten. Während wir kaum Klamotten vom Verein bekamen, stolzierten die VfL-Jungs hochnäsig mit ihren schicken Anzügen an uns vorbei. Ekelhaft! Ich wollte nie dorthin wechseln.

Wie hat Frank Plagge Sie dennoch überzeugt?

Kragl: Frank hat mich angerufen und gesagt: "Olli, wenn Du wirklich Profi werden willst, solltest Du zum VfL wechseln." Er hat mir gezeigt, dass beim VfL eben nicht nur arrogante Spinner herumlaufen und mir ein gutes Konzept vorgelegt. Deshalb habe ich eingelenkt.

Wie sah dieses Konzept aus?

Kragl: Frank hat eine C-Jugend-Mannschaft aufgebaut, die mit 12- und 13-Jährigen, also jüngeren Spielern, gespickt war. Das Konstrukt lief damals als C3 beim VfL, wir haben uns aber schon mit den älteren Jahrgängen gemessen. Das hat mich damals weitergebracht.

Wie ging es beim VfL weiter?

Kragl: Ich habe ungefähr zwei Jahre unter Frank gespielt und während meiner Zeit in der VfL-Jugend gemerkt, dass ich großes Potenzial habe. Ich wurde auch in die Niedersachsenauswahl berufen, für die U-Nationalmannschaft hat es aber leider nie gereicht. Toni Kroos oder Konstantin Rausch waren in meinem Jahrgang noch ein bisschen besser (lacht). Als ich 16 Jahre alt war, wollte Wolfsburg mich nicht mehr haben und ich war kurz davor, wieder zu einem Dorfverein zu wechseln, in dem meine Kumpels gespielt haben.

Was passierte stattdessen?

Kragl: Ich habe zwei Jahre lang in der B2 gespielt, weil ich für die B1 angeblich zu schlecht war. Dann kam Christian Benbennek und übernahm die A-Jugend-Bundesligamannschaft. Er hat dem damaligen Jugendleiter Peter Jansen klargemacht, dass er mich unbedingt halten möchte. Am letzten Spieltag kam Peter Jansen auf mich zu, nachdem ich gegen Hannover 96 ein geiles Freistoßtor geschossen hatte. Er sagte: "Olli, komm bitte mal in mein Büro." Als ich nach dem Duschen bei ihm auftauchte, legte er mir einen Zweijahresvertrag für die U19 vor. Das war damals übrigens ein Novum beim VfL, weil noch nie ein B2-Spieler sofort den Schritt in die A-Jugend geschafft hat. Das war ein geiles Gefühl! 2008 standen wir im sogar Endspiel um die deutsche Meisterschaft in der heimischen VW-Arena. Das haben wir leider gegen Freiburg verloren. Nach den beiden A-Jugend-Saisons wurde Benbennek entlassen. Er ist dann nach Braunschweig gegangen.

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Oliver Kragl: "Pablo, leck mich am Arsch. Ich hau ab!"

Sie folgten ihm nach Braunschweig. Was war der Grund für Ihren Abschied aus Wolfsburg?

Kragl: Der VfL hätte mich gerne gehalten. Ich war als 17-Jähriger für die Amateurmannschaft vorgesehen und hätte bis zu 3000 Euro im Monat verdienen können. Ein stolzes Gehalt, vor allem in diesem Alter. Aber mir hat nicht gefallen, dass der Verein Christian Benbennek, denjenigen, der mich gepusht hat, so scheiße behandelt. Deshalb wollte ich weg. Pablo Thiam, der unter anderem für die zweite Mannschaft beim VfL verantwortlich war, hat mir noch zweimal eine Gehaltserhöhung angeboten. Aber ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen und sagte: "Pablo, leck mich am Arsch. Ich hau ab!"

Wie wurden Sie als Wolfsburger in Braunschweig aufgenommen?

Kragl: Sehr gut, da gab es keine Probleme (lacht). Ich habe zunächst für die Amateure unter Benbennek in der Oberliga gespielt. Weil es allerdings bei den Profis in der 3. Liga nicht gut lief, hat Trainer Torsten Lieberknecht mich nach nur sechs Monaten in die erste Mannschaft geholt. Das war eine tolle Geschichte für mich.

Lassen Sie uns teilhaben!

Kragl: Ich war damals noch Auszubildender bei VW. Freitagmittags klingelte mein Telefon, als ich in voller Montur, also in Latzhose und Stiefeln, an meiner Maschine stand. Manager Marc Arnold meldete sich und bat darum, meinen Chef zu sprechen. Ich dachte: "Scheiße, was ist denn jetzt los?" Ich ging zu meinem Chef, gab ihm das Telefon und ging wieder zurück an die Arbeit. Nach zwei, drei Minuten kam mein Boss und sagte: "Olli, Du musst nach Hause. Braunschweig hat bereits mit der Personalabteilung abgeklärt, dass Du bei den Profis mittrainieren sollst." Ich bin sofort nach Hause, habe meine Sporttasche gepackt und bin dann mit dem Zug von Wolfsburg nach Braunschweig gefahren.

Wie haben Sie sich geschlagen?

Kragl: Das war ganz komisch, ich war quasi noch ein kleiner Junge. Ich kannte die meisten Spieler überhaupt nicht. Es lief ganz gut, nach dem Training habe ich mich schnell umgezogen, um meinen Zug zu bekommen. Plötzlich sagte Marc Fitzner: "Du darfst noch nicht gehen, der Trainer hat den Kader für das morgige Spiel noch nicht bekanntgegeben." Ich war natürlich nicht davon ausgegangen, dass ich dabei bin, immerhin hatte ich lediglich einmal mittrainiert. Ich konnte es nicht glauben, als mein Name tatsächlich an der Tafel stand. Ich habe sofort meinen Vater angerufen, um ihm zu sagen, dass ich dabei bin. Meinen Zug habe ich natürlich verpasst, aber das war mir egal.

Wie lief der Spieltag ab?

Kragl: Mein Vater hat mich morgens in aller Frühe nach Braunschweig gefahren. Dort traf sich die Mannschaft in einem Hotel, wir aßen gemeinsam zu Mittag, bevor die Besprechung für das Spiel gegen Carl Zeiss Jena anstand. Torsten Lieberknecht enthüllte die Aufstellung. Linksaußen: Kragl. Ich dachte, ich träume. Ich bekomme gerade eine Gänsehaut, wenn daran denke (lacht). Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt noch nie vor so vielen Menschen gespielt. 13.000 Zuschauer waren gekommen. Der Verein hatte nicht einmal ein Foto von mir, das auf der Anzeigetafel hätte gezeigt werden konnte, als die Aufstellung durchgegeben wurde. Alle Leute im Stadion haben sich gefragt: "Wer zum Teufel ist der Typ?" Ein Azubi-Kollege, der bei den Braunschweiger Ultras aktiv war, stand im Block und konnte nicht fassen, dass ich auf dem Platz stehe. Beim Stand von 0:1 bediente mich Benjamin Fuchs mit einer geilen Flanke, ich verarbeitete den Ball mit der Brust und knallte ihn unten links ins Netz. Kurz vor Schluss hat Dennis Kruppke per Elfmeter sogar noch den Siegtreffer erzielt. Alle haben mich gefeiert, es war wirklich unglaublich. Am nächsten Tag erschien in der Bild-Zeitung ein großer Artikel über mich.

Was stand in diesem Artikel?

Kragl: "Ausgerechnet ein Wolfsburger Junge lässt Braunschweig jubeln." Mit einem Mal war ich also etwas bekannter und beim nächsten Heimspiel gegen Jahn Regensburg tauchte auch ein Bild von mir auf der Anzeigetafel auf. Die Zuschauer, die zwei Wochen zuvor noch nie etwas von mir gehört hatten, brüllten meinen Namen lauter als alle anderen. Wieder lagen wir 0:1 zurück, Kruppke traf erneut per Elfmeter und ich schoss das 2:1. Das war das nächste traumhafte Erlebnis. In den anschließenden Spielen war ich ein fester Bestandteil der Mannschaft und größere Vereine erkundigten sich nach mir.

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Oliver Kragl: "Braunschweig hat mich scheiße behandelt"

Welche Vereine zum Beispiel?

Kragl: Gladbach hatte Interesse, auch Hoffenheim fragte an. Auf einmal hatte ich jeden Tag hunderte Berater am Telefon. Dann warf mich eine Verletzung leider zurück. Das war extrem bitter.

Mit welcher Verletzung hatten Sie zu kämpfen?

Kragl: Ich zog mir einen Meniskusriss zu, was im Normalfall nicht sonderlich schwerwiegend ist. Aber in meinem Knie sammelte sich immer wieder Flüssigkeit, sodass ich schließlich sechs Monate ausfiel. Wer weiß, wo ich gelandet wäre, wenn der Heilungsprozess besser verlaufen wäre. Als ich wieder fit war, wurde ich zurück in die zweite Mannschaft abgeschoben, was ich ziemlich traurig fand.

Braunschweig stieg 2011 in die zweite Liga auf, Sie machten jedoch zwei Schritte zurück und wechselten in die Regionalliga zu Germania Halberstadt. Was war der Grund?

Kragl: Ganz einfach: Braunschweig wollte mich nicht mehr und hat mich scheiße behandelt. Das wollte ich mir nicht bieten lassen.

Nach einem Jahr bei Halberstadt ging es weiter zu Babelsberg 03 zurück in die 3. Liga.

Kragl: Mein Förderer Benbennek war Trainer in Babelsberg. Er wusste, dass ich eine schlechte Phase durchgemacht hatte und wollte mir helfen. Ihm war klar, dass ich kein Spieler für die Regionalliga war. Ich muss generell sagen, dass er mir immer gut zugeredet hat. Er ist bis heute einer der besten Trainer, die ich je hatte. Dank ihm habe ich mich wieder gefangen und von 36 möglichen Pflichtspielen 31 für Babelsberg gemacht. Es ging also wieder bergauf.

2013, nach einer Saison bei den Filmstädtern, folgte Ihr erster Wechsel ins Ausland. Der SV Ried holte Sie aus der deutschen Drittklassigkeit in die österreichische Bundesliga. Wie kam es dazu?

Kragl: Ried-Präsident Stefan Reiter rief mich an und signalisierte konkretes Interesse. Ich habe das Ganze als nächsten Schritt gesehen, weil ich erstmals in meiner Karriere in einer ersten Liga spielen durfte. Ich glaube, in Ried konnte ich wirklich auf mich aufmerksam machen.

In Ried haben Sie unter anderem mit dem heutigen Wolfsburg-Trainer Oliver Glasner zusammengearbeitet. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Kragl: Oliver ist ein super bodenständiger und lustiger Typ. Ich kann über ihn ausschließlich Gutes berichten. Er leitet jedes Training mit Begeisterung und steht immer unter Strom, wenn es um Fußball geht. Aus meiner Sicht ist er verdientermaßen mittlerweile Bundesligatrainer in Deutschland.

Hat er Sie im Vorfeld seines Wechsels zum VfL kontaktiert?

Kragl: Nein, das nicht. Aber ich habe ihn in Wolfsburg getroffen, kurz bevor er seinen Vertrag beim VfL unterschreiben sollte. Er saß mit seinem kompletten Trainerteam im Sausalitos und ich habe mich dazugesellt. Wir haben kurz gequatscht. Ich habe ihm viel Glück in Wolfsburg gewünscht und ihm gesagt: "Wenn Du Probleme auf der linken Seite haben solltest, kannst Du mich holen" (lacht).

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Oliver Kragl: "Red Bull könnte morgen Ronaldo kaufen"

Wie würden Sie das Niveau in der österreichischen Bundesliga einschätzen?

Kragl: Die Unterschiede innerhalb der Liga sind riesig. Red Bull Salzburg hat dem amtierenden Champions-League-Sieger Liverpool an der Anfield Road alles abverlangt und in Neapel unentschieden gespielt, auch Rapid Wien ist nach wie vor ein großer Verein. Auf der anderen Seite gibt es Klubs wie Ried oder Admira Wacker, die nicht das Geld haben, um mit Salzburg mitzuhalten. Red Bull könnte wahrscheinlich morgen Ronaldo kaufen, wenn sie wollten. Ich denke, dass Salzburg in der deutschen Bundesliga eine gute Rolle spielen könnte, die kleineren Vereine würden wahrscheinlich in der zweiten Liga rumgurken.

Sie haben das Potenzial von Salzburg bereits angesprochen. Sadio Mane wurde bei den Roten Bullen groß. Welche Erfahrungen haben Sie mit ihm als Gegner gemacht?

Kragl: Er war mehrfach mein Gegenspieler. Einmal hat er mich mächtig zerlegt, Salzburg hat uns mit einer 0:5-Packung nach Hause geschickt. In den anderen Spielen habe ich mich etwas besser angestellt. Aber man hat schon damals gesehen, wohin Sadios Reise gehen würde und dass er ein absoluter Ausnahmespieler ist. Er ist schnell, technisch hervorragend und weiß immer, wo er hinlaufen muss. Er wird nicht umsonst bei Liverpool vergöttert.

Wie haben Sie ihn neben dem Platz erlebt?

Kragl: Ich habe Sadio als sehr ruhigen, höflichen Menschen wahrgenommen. Dazu passt auch ein beeindruckendes Interview, das er vor einiger Zeit gegeben hat. Er sagte, dass ihm Luxusautos oder teure Uhren überhaupt nicht wichtig seien. Er spendet stattdessen viel Geld an sein Heimatland und versucht, den Menschen dort zu helfen. Das zeigt, was für ein feiner Kerl Sadio ist.

Nach zweieinhalb Jahren endete Ihre Zeit in Ried. Sie heuerten als 25-Jähriger beim Serie-A-Klub Frosinone an. Würden Sie sich als Spätzünder bezeichnen?

Kragl: Früher hieß es, dass man im Alter von 27 oder 28 auf dem Höhepunkt seiner Karriere sei. Unter heutigen Gesichtspunkten gehört man als 25-Jähriger fast schon zum alten Eisen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich schon früher in einer Top-Liga gelandet wäre, wenn ich mich bei Braunschweig nicht verletzt hätte. Mir haben vielleicht zudem das nötige Glück und die richtigen Kontakte gefehlt. Aber ganz ehrlich? Wenn ich heute bei einem Klub wie Milan als Linksaußen spielen würde, würde es niemandem negativ auffallen.

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Italien-Legionär Kragl über sein Tor gegen Donnarumma

Ihr erstes Spiel für Frosinone war ziemlich ernüchternd. Vor heimischer Kulisse setzte es ein 1:5 gegen Napoli und Sie wurden nach 60 Minuten ausgewechselt. Was ging Ihnen durch den Kopf?

Kragl: Es mag komisch klingen, aber ich war glücklich. Natürlich war es mir nicht egal, dass wir eine Klatsche kassieren, aber ich stand erstmals in der Serie A auf dem Platz - und dann gleich gegen Napoli, die mit Jungs wie Dries Mertens, Gonzalo Higuain oder Marek Hamsik bei uns aufschlugen. Das Rückspiel in Neapel haben wir wieder mit vier Toren Unterschied verloren und ausgerechnet gegen uns hat Higuain den Serie-A-Rekord mit 36 Saisontreffern aufgestellt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, weil ich in diesem Spiel einen Freistoß aus 35 Metern an die Latte gesetzt habe. Den müssen Sie sich ansehen, was für ein Strich. In dem Video sieht man, wie Higuain an mir vorbeiläuft. Er sagte: "Toller Freistoß" und ich erwiderte: "Aber leider kein Tor."

Ein anderer toller Freistoß gelang Ihnen in San Siro, die Kugel schlug aus 40 Metern ein.

Kragl: Wahnsinn! Gegen Milan war das, Donnarumma stand im Tor. Ich habe beim Jubeln eine Kontaktlinse verloren, weil ich Tränen in den Augen hatte. Ich habe als Kind mit meinem besten Freund Andrea mit Milan auf der PlayStation gespielt - und dann gelingt mir in San Siro dieses Ding.

Wenn man sich bei YouTube ein Best-of-Video von Ihnen anschaut, wird schnell deutlich, dass Ihr linker Fuß mächtig Power hat. Wie haben Sie sich einen solchen Schuss antrainiert?

Kragl: Ich glaube, das ist eine Gabe. Ich weiß einfach genau, wie ich den Ball treffen muss, ich habe mir im Laufe der Jahre die perfekte Technik angeeignet. Meine Oberschenkel sind zwar nicht so breit wie die von Roberto Carlos, aber mein Schuss ist fast genauso hart. Stellen Sie sich einmal vor, ich hätte Roberto-Carlos-Oberschenkel - ich glaube, dann würde der Ball platzen (lacht).

Ihre nächste Station, im Sommer 2017, war Crotone. Warum sind Sie dort nur ein halbes Jahr geblieben?

Kragl: Davide Nicola, der aktuell den FC Genua trainiert, wollte mich unbedingt haben. Obwohl ich mich in meinen letzten Monaten bei Frosinone erneut am Meniskus verletzt hatte. Nach meinem Wechsel zu Crotone schmerzte mein Knie aber immer noch regelmäßig, ich kam einfach nicht in Tritt. Die Verantwortlichen haben mir meine Probleme aber nicht abgekauft und mich der Lüge bezichtigt. Ich bin zweimal in die Klinik gefahren und habe den Ärzten gesagt, dass sie mein Knie aufmachen sollen. Sie haben festgestellt, dass bei meiner OP offenbar etwas schiefgelaufen war. Als ich zurückkehrte, lief es zunächst gut. Dann hatte Nicola keinen Bock mehr und hat den Klub verlassen.

Warum?

Kragl: Er wollte sich von der Führungsetage nicht mehr vorschreiben lassen, wen er aufzustellen hat. Auf Nicola folgte Walter Zenga, der bei Inter Mailand zur Torwartikone wurde. Das war ein richtiges Arschloch. Er hat mir immer wieder versprochen, dass er mich spielen lässt, aber sein Versprechen nie gehalten. Zenga hat mich nur verarscht. Vielleicht haben ihm einfach die Eier gefehlt, sich gegen die Vereinsbosse durchzusetzen. Ich behaupte, dass ich mich selbst gut einschätzen kann - und in dieser Mannschaft hätte ich spielen müssen. Wenn Crotone Franck Ribery auf der linken Außenbahn gehabt hätte, hätte ich keine Ansprüche gestellt. Aber das war natürlich nicht der Fall. Am letzten Spieltag vor den Winterferien durfte ich gegen Milan noch ein paar Minuten spielen und habe mich empfohlen. Ich habe mich gefreut, weil ich nach der Pause durchstarten wollte. Zwei Tage später war ich in Dubai und mein Berater rief an. Er informierte mich darüber, dass Crotone mich loswerden wolle. Ich habe gesagt: "Alles klar, f**** Euch, ich bin sofort weg!"

Harte Worte.

Kragl: Ich habe damals ein Wut-Interview gegeben und geriet in die Schlagzeilen. Das hat mich aber nicht gestört. Ich weiß, was ich kann und lasse mich nicht verarschen.

Kragl über seine Frau Alessia Macari und Selfies bei McDonalds

Ihren nächsten Arbeitgeber schienen Sie mit Ihrem Interview nicht abgeschreckt zu haben. Foggia lieh Sie zunächst für eine halbe Saison aus und verpflichtete Sie im Juli 2018 fest. Gab es damals auch andere Optionen?

Kragl: Ich hatte mehrere Angebote aus der Serie B. Auch Bari war an mir interessiert. Ich bin aber zu Foggia gewechselt, weil der Verein Hilfe benötigte. Foggia war Vorletzter, als ich ankam. Am Ende der Saison verpassten wir nur knapp die Playoffs. Nach der Saison ging mein Trainer Giovanni Stroppa ausgerechnet zu Crotone. Und raten Sie mal, wen er mitnehmen wollte!

Sie?

Kragl: Richtig. Die Klubbosse hatten in der Zwischenzeit meinen Berater kontaktiert. Er sollte mir ausrichten, dass Crotone bereit wäre, mich zurückzunehmen, wenn ich mich für meine Aussagen entschuldige. Das muss man sich einmal vorstellen! Ich habe meinem Berater gesagt, dass ich mich selbstverständlich für gar nichts entschuldige. Ich blieb also bei Foggia, obwohl ich gerne mit Giovanni Stroppa weitergearbeitet hätte. Was dann kam, war sehr ärgerlich.

Und zwar?

Kragl: Vor der Spielzeit 2018/19 kam heraus, dass Foggias Präsident Schwarzgeld gewaschen hatte. Aufgrund dessen starteten wir mit minus acht Punkten in die Saison und stiegen mit einem Zähler Rückstand aufs rettende Ufer ab. Danach ging der Verein pleite und ich heuerte bei Benevento an.

In Italien sind Sie nicht nur als Fußballer bekannt, sondern auch wegen Ihrer berühmten Ehefrau Alessia Macari. Sie gewann bei der italienischen Version von Promi Big Brother, hat mehr als eine Million Follower bei Instagram. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Kragl: Als ich in Frosinone gespielt habe, besorgte mir ein Kumpel Alessias Nummer. Dann habe ich ihr bei Whatsapp geschrieben. Auf ein Treffen musste ich aber ein Jahr lang warten.

Sie hat einmal erzählt, dass Sie bei Whatsapp sehr hartnäckig waren. Stimmt das?

Kragl: Absolut (lacht). Ich habe ihr alle paar Wochen geschrieben, um zu testen, ob ich Chancen habe. Ich erhielt nie eine Antwort. Nach einem Jahr hat sie sich tatsächlich mit mir getroffen. Seitdem haben wir uns nicht mehr losgelassen.

Wie hat man sich einen gemeinsamen Stadtbummel oder Restaurantbesuch vorzustellen?

Kragl: In Benevento ist es ziemlich ruhig. Aber als wir noch in Foggia gelebt haben, konnten wir kaum vor die Tür gehen. Sofort kamen die Menschen und wollten Selfies machen. Das ist auf der einen Seite schön, andererseits auch manchmal unangenehm. Vor allem, wenn wir gemeinsam im Restaurant sind und 20 Leute uns umzingeln. Da wird das Essen kalt! Ich war eines Tages alleine bei McDonalds. Die Arbeiter dort kannten mich schon, weil ich häufiger vorbeigeschaut habe. Ich saß in meiner Ecke und plötzlich stürmten 50 bis 60 Fans auf mich zu. Der Restaurantmanager hat ihnen gesagt: "Lasst ihn in Ruhe essen, wenn er fertig ist, kommt er raus und macht Fotos mit Euch."

Kragl: "Natürlich geht es bei uns Fußballern auch ums Geld"

Wie ist es um die Klatsch-und-Tratsch Schlagzeilen in Italien bestellt?

Kragl: Da steht ganz schön oft Blödsinn drin.

Ist der angebliche Streit mit anschließendem Polizeieinsatz während Ihrer Hochzeitsnacht auch Blödsinn?

Kragl: Kompletter Blödsinn. Da wollte sich jemand wichtigmachen und hatte vielleicht die Aussicht auf einen Job bei einer größeren Zeitung.

Wenn Sie Ihre turbulente Karriere Revue passieren lassen: Gibt es etwas, das Sie bereuen?

Kragl: Man weiß nie, wie meine Karriere verlaufen wäre, wenn ich andere Entscheidungen getroffen hätte. Aber es gibt nichts, das ich konkret bereue. Ich bin glücklich verheiratet, lebe in Italien, spiele in der kommenden Saison hoffentlich wieder in der Serie A. Ich verdiene nicht schlecht und bin gesund. Was möchte ich mehr?

Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages wieder in Deutschland zu spielen?

Kragl: Ich werde in wenigen Wochen 30 Jahre alt. Ich muss zwangsläufig an später denken. Wenn ein Klub, egal woher, mir drei Millionen Euro im Jahr zahlen würde, dann würde ich vermutlich zusagen. Ich fühle mich zwar sehr wohl in Italien, bin bei diesem Thema offen und ehrlich. Natürlich geht es bei uns Fußballern auch ums Geld.