Anfang 2015 war Mourad Meghni zurück. Dort, wo einst alles begann, in der Pariser Banlieue Champs-sur-Marne. Allerdings ganz anders, als er es sich mal erträumt hatte. Nicht als gefeierter Star, nicht als französischer Nationalspieler, als Champions-League-Sieger und genialer Spielmacher. Nein, ganz und gar nicht. Der nun 30-Jährige war vollkommen unscheinbar wieder am Ort seiner Wurzeln.

Anderthalb Jahre, nachdem Meghni seine Fußballschuhe vorerst an den Nagel gehängt, sein Engagement beim katarischen Klub Lekhwiya im Sommer 2013 beendete hatte, schloss er sich dem Futsal-Team seiner Heimat-Vorstadt an. Dritte Liga, auf schnödem Parkett statt auf glänzendem, sattem Grün in den sagenumwobenen Stadien dieser Fußball-Welt.

Rückkehr in ein "normaleres Leben"

"Es tut gut, in ein etwas normaleres Leben zurückzukehren", sagte Meghni seinerzeit. "Ich weiß nicht, ob ich Lust habe, noch einmal von hier wegzugehen." Worte, die man gut verstehen kann, wenn man seine Geschichte kennt. Mit 13 Jahren verließ er seine Hochhaussiedlung, seine Familie, seine Freunde, mit denen er von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang im Innenhof oder irgendwo auf der Straße kickte. Sein Talent war überbordend, sein Ballgefühl extraklasse. "Mein Bruder hat mir alles beigebracht", sagte er als 16-Jähriger zu Le Parisien.

Die Jungs, mit denen er spielte, waren im Schnitt fünf Jahre älter. Früh musste er also lernen, sich durchzusetzen. Der Art, wie Meghni Fußball spielte, merkte man das an. Auf engstem Raum klebte ihm der Ball am Fuß, verzwickteste Situationen löste er spielerisch auf. Und hatte dabei immer die Gabe, Kompliziertes leicht aussehen zu lassen.

Auserkoren zum "kleinen Zidane"

Fortan wurde das 50 Kilometer südwestlich von Paris, im Internat des berühmten Leistungszentrums des französischen Fußballverbands in Clairefontaine von ihm gefordert. Dass die Distanz nach Hause nicht so groß war, kam Meghni zugute, er entwickelte sich prächtig - und hatte bald nicht nur unter Insidern einen ganz besonderen Ruf, wurde als "kleiner Zidane" auserkoren.

Die Parellelen waren da. Wie Zidane ist Meghni algerischer Herkunft, wie Zidane wuchs er in einfachen Verhältnissen auf. Und sein Spielstil ähnelte tatsächlich Frankreichs WM-Helden von 1998. Die Beweglichkeit, die Eleganz, die perfekte Ballführung, die raumgreifende Übersicht. Meghnis Weg schien vorgezeichnet.

Als jener Zidane Les Bleus im Finale gegen Brasilien zum Titel führte, war Meghni 14 Jahre alt. Er sollte derjenige sein, der künftig derart Fantastisches für die Grande Nation auf den Rasen zaubert. "Ich habe mich nie für Zidane gehalten", erklärte der Gescheiterte später bei FranceFootball . Dennoch musste er mit der enormen Erwartungshaltung umgehen. Weil schier jeder andere in Frankreich ihn dafür hielt.

Früh weg aus Frankreich - zu früh?

Irgendwie wirkt es daher passend, dass eine der ersten einschneidenden Entscheidungen, die Meghni in seiner Karriere traf, der sehr frühe Schritt raus aus Frankreich war. Mit 16 nahm er ein Angebot aus Italien an, ging zum FC Bologna. Ob es falsch war, so früh ins Ausland zu wechseln, wurde Meghni später oft gefragt.

Die Krux: Da AS Cannes, der Klub, bei dem er während seiner Zeit in Clairefontaine offiziell unter Vertrag stand, aus der Ligue 2 abstieg und man unsicher war, ob das dortige Nachwuchsleistungszentrum aufrecht erhalten werden könne, musste Meghni wechseln. Zu einem französischen Klub durfte er allerdings aufgrund einer Klausel in seinem Kontrakt nicht gehen. "Ich war also quasi gezwungen, ins Ausland zu gehen", erklärt er.

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Der Hype wird groß, ganz groß - zu groß?

Der Hype nahm dadurch noch mehr zu. TV-Sender drehten Reportagen. Über den Jungen aus dem Ghetto, der es - so war die allgemeine Prognose - bis ganz nach oben schaffen wird. Sie filmten ihn in seinem Block, lässig tänzelte der Ball auf seinen pechschwarzen Sneakern. Ringsum trist-graue Hochhäuser, seine Kumpels, die vorwiegend aus Nord- und Westafrika stammten. Meghni, schwarze Jogginghose und in Anlehnung an Juan Sebastian Veron, eines seiner Idole, Argentinien-Trikot tragend, sah zwar nicht so aus wie einer. Aber er war definitiv der Star in seiner Banlieue.

Wenige Monate nach jenen Aufnahmen erfuhr seine junge Laufbahn den vorläufigen Höhepunkt. Im September 2001 gewann Meghni mit Frankreich die U17-WM in Trinidad und Tobago, auf dem Weg zum Titel schalteten die kleinen Bleus unter anderem Brasilien und Argentinien aus, schlugen im Finale starke Nigerianer klar mit 3:0. Meghni war dabei einer der Schlüsselspieler, glänzte als Gestalter, als Zehner, erzielte in fünf WM-Einsätzen einen Treffer.

"Alle sprachen von De Rossi und mir"

Und auch in Bologna lief es anfangs gut. "Damals sprach auf Nachwuchsebene in Italien jeder nur von Daniele De Rossi und mir", erinnert sich Meghni. De Rossi avancierte bei der Roma zur Legende, absolvierte über 100 Länderspiele für die Squadra Azzurra, wurde 2006 Weltmeister. Eine Karriere, von der Meghni im Rückblick nur träumen kann.

Es hakte schon am Durchbruch in Bologna. Seine technischen Fähigkeiten, seine Übersicht und fußballerische Brillanz begeisterten. Doch es mangelte an der richtigen Einstellung. "Als ich als Teenager nach Bologna ging, kam ich, um den Unterschied auszumachen. Ich dachte, das würde reichen", sagt Meghni - und gesteht: "Vielleicht habe ich mich ein bisschen zu sehr auf mein Talent verlassen."

Zwar gab er immerhin noch als 18-Jähriger sein Serie-A-Debüt, hatte hier und da ein Glanzlicht zu bieten. Nachhaltig etablieren konnte er sich beim italienischen Mittelmaß-Klub allerdings nie. Der Sprung vom Junioren- in den Männerfußball fiel ihm schwer, das Physische machte ihm zu schaffen. "Ich hätte viel mehr an meiner Schnelligkeit arbeiten müssen", bereut er. "Das war es, was mir am meisten gefehlt hat."

2005 ließ er Bologna zunächst hinter sich. Die Zweifler waren während seiner Zeit dort immer lauter geworden. Mit 16 hätte er, wie er später kundtat, auch zu Manchester United gehen können. Ob das besser für Meghni gewesen wäre? Müßig, darüber zu philosophieren.

Seine einjährige Leihe nach Sochaux, in die französische Heimat, zu der ihm Raymond Domenech riet, der ihn einst in Jugend-Nationalteams betreute, brachte nicht den gewünschten Effekt. 2006 zurück in Bologna wurde Meghni immerhin Stammspieler, wechselte im Sommer 2007 zu Lazio Rom.

Mourad Meghni im Steckbrief

geboren 16. April 1984 in Paris Größe 1,80 m Position offensives Mittelfeld starker Fuß rechts Stationen Bologna, Sochaux, Lazio, Umm-Salal, Lekhwiya FC, CS Constantine

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Das Pech beginnt

Nun, mit 23, schien er doch noch so weit zu sein. Voller Tatendrang wollte das stagnierende Supertalent die Hauptstadt erobern. Immerhin 41 Serie-A-Einsätze verzeichnete er in seinen ersten beiden Jahren bei Lazio, spielte viermal Champions League. Er hatte die große Fußball-Welt gesehen, zumindest ansatzweise. Doch fortan ging es so richtig bergab. Diesmal nicht nur wegen fehlender Professionalität, sondern vor allem wegen großem Pech.

Verletzungen warfen ihn weit zurück, 2010/2011 konnte er wegen eines Patellasehnen-Teileinrisses kein einziges Pflichtspiel absolvieren. Entnervt ging er 2011 nach Katar, um fernab des großen Leistungsdrucks zumindest noch gutes Geld zu verdienen. Erfüllen konnte ihn das nicht, 2013 beendete Meghni seine Karriere vorerst. Mit 29, erneut von Blessuren geplagt.

Den Abstecher zum Futsal hatte der mittlerweile 36-Jährige übrigens schnell vorerst wieder ad acta gelegt. Im Sommer 2015 kehrte er noch einmal auf den großen Platz zurück, heuerte bei CS Constantine an. Erste algerische Liga. Immerhin. In der Heimat seines Vaters, für deren Nationalelf er zwischen August 2009 und Januar 2010 neun Länderspiele bestritt.

Zwei Jahre lang kickte er für Constantine, hatte aber mehr mit Verletzungen zu kämpfen, als dass er spielte. Zumindest zeigte er noch einmal seine Klasse, in 19 Einsätzen für den Klub gelangen ihm sechs Tore. Dann, im Sommer 2017, machte Mourad Meghni endgültig Schluss mit Profi-Fußball.

Heute ist er zurück in seinem Pariser Vorort, in Champs-sur-Marne. Letztes Jahr begann er, beim Achtligaklub Val-de-France hin und wieder mitzukicken. Er spielt zwar auch wieder Futsal, vermisste aber das Elf gegen Elf. "Ich habe ein paar Freunde bei Val-de-France, mein Sohn spielt hier in der U11", erklärte er im September vergangenen Jahres. Nach zwei Jahren ohne Partie auf dem großen Feld sei es konditionell "sehr hart" gewesen.

Das Schöne: Meghni hat den Spaß am Fußball niemals verloren. Er, über den sie einst Reportagen im Block drehten, der wie Zidane werden sollte, das allerdings nicht einmal annähernd schaffte. "Ich lerne immer noch, auch in der achten Liga", sagt er. "Ich habe immer aus Spaß gespielt. Und ich muss geliebt werden, um zu spielen."