Außerdem spricht der 58-Jährige über die Herausforderung Geisterspiele und beschreibt, warum so viele Fußballer nur eine Wettkampfpersönlichkeit besitzen.
Herr Fischer, für alle, die Sie noch nicht kennen: Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?
Holger Fischer: Ich habe keine richtige Berufsbezeichnung. Mein Job ist es, Holger Fischer zu sein. Wenn sie zehn Menschen fragen würden, die mit mir zusammenarbeiten, würden sie zehn verschiedene Antworten bekommen. Mir geht es grundsätzlich um drei Themengebiete: Wie komme ich am schnellsten aus der Krise? Wie werde ich erfolgreich? Und wie gehe ich mit den Mechanismen im Profisport um? Persönlichkeitsentwicklung ist für mich ganz entscheidend.
Die Liste der Sportler, die mit Ihnen arbeiten oder gearbeitet haben, ist lang. Erzählen Sie.
Fischer: Zwei der bekanntesten sind sicher Angelique Kerber und Andrea Petkovic. Angie wollte aufhören, als sie zu mir kam. Danach habe ich ihren Weg zur Nummer eins der Welt begleiten dürfen. Andrea galt als Anti-Talent und hat es danach in die Top-10 geschafft. Jessica von Bredow-Werndl hat es im Dressursport in die Weltspitze geschafft.
Und im Fußball?
Fischer: Im Fußball gibt es auch einige Profis, die sich dazu öffentlich bekannt haben. Daniel Caligiuri war damals ein Wackelkandidat bei der zweiten Mannschaft von Freiburg und ist zu einem Führungsspieler auf Schalke gereift. Mit Adam Szalai habe ich von Anfang an zusammengearbeitet. Adam hat in der Zeit zwei Unternehmen in Ungarn aufgebaut neben seiner Fußballerkarriere - es gibt ganz viele Fälle und jeder einzelne ist auf seine Weise etwas Besonderes für mich. Jeder Sportler, jeder Mensch hat seine ganz eigenen Themen und bei jedem habe ich auch selbst wieder dazu gelernt. Aktuell ist es so, dass gerade junge Spieler vermehrt zu mir kommen, die aktiv Unterstützung für den Aufbau ihrer Karriere suchen. Das geschieht aber aus Eigeninitiative und über Spielerberater, eher nicht mit den Vereinen.
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Holger Fischer: "Der BVB war mental klar unterlegen"
Hatten Sie schon bei jedem Bundesliga-Klub einen Spieler sozusagen unter ihren Fittichen?
Fischer: Ja.
Warum machen das immer noch so wenige öffentlich im Jahr 2020?
Fischer: Wir schreiben zwar das Jahr 2020, aber es wird immer noch als Schwäche angesehen von vielen, wenn ich mit einem Coach im psychologischen Bereich zusammenarbeite. Der zweite wichtige Punkt ist, dass einige Menschen im Profifußball kein Interesse an selbstständigen Spielern haben. Weil sie dann Einfluss auf diese Spieler verlieren. Fußballstars sind goldene Kühe, die gemolken werden. Wenn die Spieler sich aber in ihrer Persönlichkeit zu stark entwickeln und selbst Entscheidungen treffen, kann das gefährlich sein, weil die Spieler Dinge dann auch mal kritisch hinterfragen. Deshalb sieht mich der eine oder andere in dieser Branche vielleicht auch kritisch. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass es teilweise nicht einfach ist für die Verantwortlichen. Es gibt inzwischen so viele Coaches, da hast du als Manager eines Bundesligisten jeden Tag einen Stapel an Bewerbungen auf dem Tisch. Und ein paar davon geht es vor allem um das eigene Wohl. Sprich: um Geld.
Jetzt haben wir momentan mit der Coronakrise eine besondere Zeit, mit der auch Sportler lernen müssen umzugehen. Wie könnte sich diese Zeit aus Ihrer Sicht auswirken?
Fischer: Die Spreu wird sich durch die Coronakrise vom Weizen trennen, ganz klar. Nehmen wir das Beispiel der Geisterspiele, die uns ja bevorstehen werden. Die Fußballer kennen diese Situation ja gar nicht. Die Fußballer kennen nur das Gefühl, von einem vollen Stadion nach vorne gepusht zu werden. Sie kennen nur diese Energie, diese Emotionen. Und die sind elementar für ihre Leistungsfähigkeit. Jetzt haben wir aber keine Fans im Stadion. Den Spielern fehlt die Droge - was passiert also dann mit ihnen? Wer ist intrinsisch so motiviert, das Spiel unbedingt gewinnen zu wollen? Spielst du für die Fans und fürs Geld? Oder ist dein größtes Ziel, dein eigenes Leistungsoptimum zu erreichen? Das PSG-Dortmund-Spiel war ein guter Vorgeschmack. In Geisterspielen kommen einige Qualitäten viel mehr zum Tragen als andere - der BVB war mental klar unterlegen.
Wie schwierig ist das Leben in Isolation für die Psyche eines Sportlers, der plötzlich kein Ziel mehr vor Augen hat?
Fischer: Es hat natürlich etwas von Knast. Nicht nur für Profisportler, für jeden von uns. Aus dem Nichts begegnest du auf brutale Weise dir selbst. Du bist gezwungen, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Wer bin ich eigentlich? Was kann ich eigentlich? Das ist aber auch eine riesengroße Chance. Du kannst plötzlich Dinge machen, die du normalerweise nie machen könntest und dich dadurch als Mensch entwickeln. Du kannst also das machen, worum es im Leben geht.
Holger Fischer: "Sind sie am Wochenende scheiße, ist ihr Leben auch scheiße"
Aber viele Fußballer haben doch genau das nie gelernt, oder?
Fischer: Das stimmt. Das ist das große Problem. Viele Fußballer sind darauf nicht vorbereitet. Der Großteil der Spieler ist komplett abhängig vom Erfolg - weil sie auch davon abhängig gemacht werden. Wenn sie am Wochenende gut sind und eine gute Note bekommen, ist ihr Leben gut. Sind sie am Wochenende scheiße, ist ihr Leben auch scheiße. Es gibt gar keinen Unterschied zwischen ihrem Beruf und ihrem Persönlichen. Das Selbstwertgefühl wird durch ein Fremdwertgefühl ersetzt. Fremdwertgefühl heißt, dass ich es allen recht machen will, für sie Leistung bringen will. Ich entferne mich von mir selbst.
Viele Sportler haben also nur eine ausgeprägte Wettkampfpersönlichkeit.
Fischer: Ja. Viele dieser Stars haben ein aufgesetztes Selbstwertgefühl. Sie identifizieren sich nicht über sich selbst, sondern über Erfolg, Ansehen, Geld. Ich sollte mein Selbstwertgefühl immer darauf aufbauen, was ich bin. Nicht darauf, was ich tue. Die Sportler müssen sich als Mensch definieren, nicht als Fußballer oder Tennisspieler. Aber das ist ein schwerer Weg. Man muss wissen: Um so etwas zu verändern, muss ich aktiv in meine Gedankenstrukturen eindringen. Machst du das nicht, wirst du von deinen Gedanken bestimmt. Und zwar negativ. Alles Negative, Ängste, Unsicherheiten, all das kommt immer ganz von alleine. Für alles Positive muss ich aber bewusst Input geben. Gerade für die jüngere Generation ist das umso wichtiger.
Warum gerade für die Jüngeren?
Fischer: Weil wir in der Hirnforschung Belege dafür haben, dass sich neuronale Strukturen im Gehirn fortlaufend verändern und anpassen. Konkret heißt das, dass die jüngere Generation inzwischen eine Hirnstruktur hat, die viel mehr Input braucht, als es früher noch erforderlich war. Die meisten haben in ihrem Kopf aber vor allem Fußball und der Rest liegt teilweise brach. Auch deshalb ist es gerade eine interessante Zeit.
Was passiert mit den Spielern, die das jetzt nicht gut bewältigen können?
Fischer: Sie werden keine Leistung bringen. Wenn ich es ganz hart formulieren wollte, würde ich sagen, dass durch Corona im Sport eine Selektion stattfindet. Auch innerhalb einer Mannschaft wird es spannend zu sehen sein, wie sich Hierarchien verschieben. Viele Hierarchien innerhalb eines Teams sind ja auch aufgesetzt und nicht natürlich gebildet worden. Aber jetzt wird sich zeigen, wer wirklich die Leader sind. Das wird alles rausgefiltert, wenn die äußeren Einflüsse wegfallen.
Sie haben einmal gesagt, dass alle Weltklasse-Athleten hochbegabt sind.
Fischer: Mit Hochbegabung meinte ich nicht, dass die in der Schule nur Einser schreiben. Es gibt sehr viele verschiedene Intelligenzen, Hochbegabung hat viele Facetten. Was alle gemeinsam haben, ist aber eine andere Denkstruktur. Oft sind Hochbegabte ja schwierige Menschen, in positiver aber auch in negativer Hinsicht. Menschen, die ein bisschen anders ticken.
Haben diese in der Coronakrise dann auch einen Vorteil?
Fischer: Nur wenn die Hochbegabung auch gefördert wird in dieser Zeit. Sonst bringt sie ihnen nichts. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn Sie einen Ferrari haben, aber nur in 30er-Zonen fahren können, geht das Ding irgendwann aufgrund von Unterforderung kaputt. So ist es bei Spitzensportlern auch. Da drohen dann keine Burnouts, sondern Boreouts. Langeweile aufgrund anhaltender Unterforderung.
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Hoger Fischer: "Ich bin davon überzeugt, dass Spieler überraschend wegkippen werden"
Kann es sein, dass sich Weltranglisten in der Zeit nach Corona anders entwickeln? Dass plötzlich andere Spieler stärker werden?
Fischer: Das würde mich nicht überraschen. Ich bin davon überzeugt, dass Spieler überraschend wegkippen werden, bei denen man das nicht gedacht hätte. Und dass andere dafür plötzlich da sein werden, bei denen man das nicht erwartet hätte. Starke Persönlichkeiten werden nach vorne kommen.
Was raten Sie denn Sportlern, die sich aktuell wie in einem schlechten Science-Fiction-Film fühlen?
Fischer: Das wichtigste Ziel sollte es sein, sich Aufgaben zu suchen. Sich vor allem für Neues zu öffnen. Spaß für etwas Neues zu entwickeln. Das kann das Erlernen einer neuen Sprache sein, oder der Beginn eines Fernstudiums. Oder eben ein neues Hobby im Sportbereich. Aber irgendwas muss angepackt werden. Je vielfältiger du außerhalb des Platzes aufgestellt bist, desto einfacher fällt es dir, auf dem Rasen oder dem Court Leistung zu bringen. Weil es dann nicht mehr die Rolle spielt, ob du eine Fünf bekommen hast in den Medien.
Abschließend: Es wird viel darüber gesprochen, wie eine Saison zu Ende gebracht werden könnte. Eventuell müssten auch viele Spiele innerhalb kürzester Zeit absolviert werden. Wäre das ein Problem?
Fischer: Da sehe ich überhaupt keine Schwierigkeit, selbst drei oder vier Spiele in einer Woche wären kein Problem. Wie lange ich brauche, um mich zu regenerieren, hängt ganz entscheidend von den äußeren Faktoren ab. Wir sehen das auch immer bei Einzelsportlern, die ein Grand Slam im Tennis oder ein Major im Golf gewinnen. Danach treffen manche von ihnen ein paar Wochen keinen Ball mehr, weil sie so ausgelaugt sind. Genauso ist es, wenn ich vor 80.000 Zuschauern spiele und da meine Droge kriege. Fällt das aber alles weg, regeneriere ich auch viel schneller.