Wir schreiben den 25. Spieltag der Premier-League-Saison 2015/16: Der FC Liverpool führt vermeintlich komfortabel gegen den Vorletzten der Tabelle, den AFC Sunderland. Dass Adam Johnson und Jermain Defoe die Reds durch einen späten Doppelschlag schocken und einen Punkt von der Anfield Road entführen, verkommt zur Nebensache.
Denn in der 77. Minute hatten rund 10.000 Zuschauer das Stadion organisiert und vorzeitig verlassen, um ihren Unmut über die geplante Anhebung der Ticketpreise zum Ausdruck zu bringen. Dies Kartengebühren für die Haupttribüne sollten in der neuen Saison von 56 auf 77 Pfund erhöht werden, was die Fans zu Sprechchören wie "You greedy bastards, enough is enough" ("Ihr habgierigen Bastarde, genug ist genug"), veranlasste.
Es folgte die Forderung von Teammanager Jürgen Klopp, eine "Lösung für das Problem" zu finden, zudem verwies dieser auf die Bedeutung der Fans. Die Fenway Sports Group (FSG), in deren Besitz sich der FC Liverpool befindet, hielt schließlich eine Dringlichkeitssitzung ab, lenkte ein und verkündete in einer Mitteilung, einen "Fehler" begangen zu haben: "Wir waren davon getrieben, den LFC zurück an die Spitze zu führen. Der zugehörige Plan für die Tickets war falsch. Wir möchten uns für die Umstände entschuldigen."
Durch einen umfassenden Maßnahmenkatalog, der unter anderem für ein gleichbleibendes Preisniveau der Tickets für die nächsten zwei Jahre, den Wegfall der Topspiel-Zuschläge und vergünstigte Eintrittskarten für Schüler und Jugendliche sorgte, schaffte es die FSG, die Liverpooler Anhängerschaft zu beruhigen.
FC Liverpool: Inanspruchnahme der Kurzarbeit nicht der erste Fehler der FSG
Parallelen zur Entwicklung der vergangenen Woche, gut vier Jahre später, sind unverkennbar: Da nämlich leistete sich die Klubführung den nächsten gravierenden Fauxpas - so die Meinung in weiten Teilen der Bevölkerung. Der FC Liverpool gab bekannt, das Notfall-Programm der Regierung, das sogenannte Coronavirus Job Retention Scheme, in Anspruch.
Um die eigenen Kassen zu entlasten, sollten so etwa 200 Angestellte 80 Prozent ihres Gehaltes vom Staat erhalten. Dass der Verein die fehlenden 20 Prozent zum regulären Einkommen ausgleichen wollte, konnte einen Sturm der Entrüstung nicht verhindern. Die Ex-Spieler Jamie Carragher und Dietmar Hamann sprachen wahlweise davon, dass "jeglicher Respekt verloren" gegangen sei und das Handeln "der Moral und den Werten dieses Klubs" widersprächen.
"Warum nutzt ein Klub, der mehr als 100 Millionen Pfund umsetzt, ein Regierungsprogramm für seine Mitarbeiter", verwies ein anonymer Mitarbeiter bei der BBC auf die rasant angestiegen Gewinne der vergangenen Jahre und stellte klar: "Der Klub bezeichnet die Mitarbeiter als Familie. Ich fühle mich nicht wie ein Familienmitglied."
In der Tat mutet es moralisch äußerst fragwürdig an, dass ein Klub, der in der Bilanz der (so erfolgreichen) Saison 2018/19 einen Umsatz von 627 Millionen Euro (Anstieg um 92 Millionen) und einen Gewinn von circa 50 Millionen Euro vor Steuern verbuchte, auf ein staatliches Programm zurückgreifen will, dass für die Ärmsten bestimmt ist, die sich Tag für Tag abmühen müssen.
Ein Klub, der in der abgelaufenen Saison über 182 Millionen in neue Spieler investierte (und gleichzeitig durch Transfers nur 41 Millionen einnahm), Superstars wie Mohamed Salah, Roberto Firmino und Sadio Mane mit neuen, lukrativen Verträgen ausstattete, neun neue Werbepartner anwarb und derzeit eine dreistellige Millionensumme in ein neues Trainingszentrum und den Stadionausbau investiert.
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FC Liverpool: Champions-League-Sieg, Rekordeinnahmen, Kurzarbeit?
So war es nur Hohn und Spott für alle Kritiker, dass sich die Reds - angeführt von Klopp und Kapitän Jordan Henderson - in einem ausführlichen Dankes-Video vor allen verneigten, die in dieser so schweren Krise im Gesundheitswesen für die gebeutelte englische Bevölkerung da seien.
Laut Informationen des Liverpool Echo setzte eine Kehrtwende bei der FSG und Liverpool-CEO Moore erst dadurch ein, dass Moore von Bürgermeister Joe Anderson persönlich kontaktiert worden sei. Dieser drückte sein Missfallen über das Vorgehen des Klubs aus, ehe Moore am Montagabend folgende Worte auf der Homepage an die Fans richtete:
"Wir glauben, dass wir letzte Woche zu dem falschen Schluss gekommen sind. Unsere Absicht war und ist es, sicherzustellen, dass die gesamte Belegschaft in dieser beispiellosen Zeit so weit wie möglich vor Entlassung und/oder Verdienstausfall geschützt wird." Ziel sei es nun, "alternative Betriebsmethoden zu finden, um nicht das staatliche Hilfsprogramm zu beanspruchen".
Neben dem Druck vom Bürgermeister und der Tatsache, dass fast zeitgleich die beiden Klubs aus Manchester bekanntgaben, das Kurzarbeits-Programm nicht in Anspruch zu nehmen, lassen auch einige von Moores Worten Zweifel zurück, ob tatsächlich vom Eingestehen eines Fehlers gesprochen werden kann.
Moore verwies nämlich ebenso darauf, dass es "große Unsicherheit und Sorgen bezüglich der Gegenwart und Zukunft" des Klubs gebe und Szenarien vorherrschen, die mit "massiven Einnahmerückgängen und Verlusten" einhergingen. Eine Arbeitsweise wie zuvor, so Moore, sei deshalb nicht mehr möglich und es gehe vielmehr darum, den "unvermeidbaren Schaden zu begrenzen".
Tottenham, Newcastle und Co. greifen zu staatlichen Maßnahmen
Doch mit dem Gedankenspiel Kurzarbeit ist der Liverpool Football Club nicht allein: Mit Tottenham Hotspur - immerhin gemeinsam mit den Reds 2019 im Champions-League-Finale -, Norwich City, Newcastle United und dem AFC Bournemouth haben bereits weitere Ligarivalen verkündet, ihre Angestellten in den Zwangssrcaub zu entsenden und staatliche Hilfen zu nutzen. Liverpool - wenngleich der finanziell am besten aufgestellte Klub aus dieser Gruppe - hat dieses Vorgehen zumindest korrigiert.
Und auch zahlreiche weitaus vermögendere Privatunternehmen auf der britischen Insel haben bereits genau das getan, was auch der FC Liverpool angedacht hatte: eine Regierungsmaßnahme auf legitime Weise zu nutzen.
Durch den Verzicht konnten sich die Reds für den Moment positiv aus dem Shitstorm befreien, auch beim zuvor erzürnten Carragher kam der Kurswechsel gut an. Auf Twitter lobte er Moore und sprach von der "Richtigstellung eines großen Fehlers". Erinnerungen an den Ticket-Ärger von vor gut vier Jahren bleiben dennoch zurück.