Außerdem spricht er über die Faszination für den Trainerjob, die Lockerung der Altersbeschränkung für die Bundesliga und seinen möglichen Nachfolger Youssoufa Moukoko.

Nuri Sahin über ...

... Werder Bremens verkorkste Saison: "Man muss das große Ganze sehen. Wir sind mit ganz anderen Ambitionen in die Saison gegangen. Wir hatten eine ordentliche Saison letztes Jahr. Ich habe vor dieser Spielzeit schon prognostiziert, dass es schwer werden würde, weil ich das Gefühl hatte, dass sich die Liga noch besser aufgestellt hatte - mit den ganzen neuen Trainern zum Beispiel. Nichtsdestotrotz läuft es aber alles andere als zufriedenstellend. Ich suche normalerweise nicht nach Ausreden, doch unser Verletzungspech sucht seinesgleichen. Sowas habe ich in meinen 15 Profijahren noch nicht erlebt. In Dortmund hatten wir für einen kurzen Zeitraum mal sieben, acht Verletzte, aber jetzt waren es zwölf, 13 für gefühlt immer einen Monat. Das hat uns schon aus der Bahn geworfen. Aber Fakt ist auch, dass wir Spieler nicht an unsere Leistungsgrenze gekommen sind. War der eine mal gut drauf, war der andere schlecht. Wir hatten immer diese Schwankungen. Die Situation ist höchst prekär."

... Fluch und Segen der momentanen Zwangspause: "Ich hatte das Gefühl, dass wir in den letzten Wochen, als alles noch normal war, besser trainiert haben, dass die Trainingsqualität allmählich stieg. Da war ich zuversichtlich, dass wir mit einem Sieg einen kleinen Lauf bekommen könnten, den wir zweifelsohne brauchen. Auf der anderen Seite fängt jetzt wieder alles bei Null an im Kopf. Keiner denkt an die sportliche Krise, sondern an die, die die ganze Welt beschäftigt. Das kann vielleicht ein Vorteil sein."

... das Wohlwollen der Bremer Fans: "Das war für mich überraschend. Hut ab, dass die Stimmung nicht gekippt ist, das ist nicht selbstverständlich. Das zeigt die Verbundenheit in dieser Stadt. Wir sind in der Pflicht, dieses Vertrauen zurückzubezahlen."

Nuri Sahin über Florian Kohfeldt: "So eine Krise ist Neuland für ihn"

. .. Kohfeldts Erklärung für seine wenigen Einsätze zuletzt: "Mit mir braucht man da nicht allzu viel zu sprechen. Ich weiß selbst, ob ich gute Leistungen bringe oder nicht. Ich fand, dass ich ordentlich in die Rückrunde gestartet bin, nur haben wir die Siege nicht geholt. Ich bin dann dem Systemwechsel vor dem Pokalspiel ein bisschen zum Opfer gefallen. Das haben wir im 3-4-3 gegen Dortmund gewonnen und daraufhin hat der Trainer daran festgehalten. Wir Spieler sprechen sehr viel mit Flo, er muss mir aber nicht erklären, warum ich spiele oder warum ich nicht spiele."

... Kohfeldts Umgang mit der Abstiegsangst: "Auf diesem Niveau ist so eine Krise Neuland für ihn. Ich erlebe ihn sehr sachlich, selbstkritisch und pflichtbewusst. Flo hat eine sehr enge Bindung zu der Stadt und dem Verein - und du merkst ihm an, wie wichtig es ihm ist. Er dreht jeden Stein um und will unbedingt die Wende. Bei den Telefonaten, die wir zuletzt hatten, klang er sehr positiv."

... seine Notizen über Trainer: "Mich interessiert dieser Beruf extrem. Das hat mit Jürgen Klopp angefangen, ging mit Thomas Tuchel weiter. Ich bin Feuer und Flamme für diesen Beruf und sauge unheimlich viel auf. Ich versuche, aus Interviews oder Dokus etwas rauszunehmen. Bei Flo ist es so, dass ich mir abends nach Sitzungen etwas aufschreibe oder Sprachnotizen mache."

... den künftigen Trainer Nuri Sahin: "Ich will niemandem ähnlich sein, sondern meinen eigenen Weg finden. Klopp ist das Maß aller Dinge. Ich fand aber auch Peter Bosz, Tuchel an der Taktiktafel oder Brendan Rodgers Trainingseinheiten megainteressant. Bei Flo gefällt mir das Positionsspiel besonders gut. Jetzt habe ich mir die Nummer von Julian Nagelsmann besorgt, den ich irgendwann anrufen werde. Bei ihm gefällt mir das "Steil-Klatsch-Spiel" so gut. Ich versuche jedes Buch über Pep Guardiola lesen. Ich weiß nicht, ob ich ein guter oder schlechter Trainer sein werde, aber ich weiß, dass ich den Beruf lieben werde."

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... das Besondere an Jürgen Klopp: "Dass er so normal ist. Ich glaube, dass es unglaublich schwer ist, als Jürgen Klopp am Boden zu bleiben. Ich habe ihn ja auch in einer Krisensaison erlebt und er vergisst nie, Mensch zu sein. Das ist seine größte Stärke. Und dazu kommt seine Qualität natürlich als Fußballtrainer."

... Dominanz und Gegenpressing: "Dieser Mix ist wichtig, weil du auf lange Sicht anders keine Chance hast. Liverpool ist aktuell vielleicht die beste Mannschaft. Zu Beginn von Klopps Zeit wurden sie nur auf Gegenpressing reduziert, doch sie haben eine Entwicklung gemacht. Jetzt legen sie sich die Gegner zurecht, weil sie es müssen. Was Barcelona 2008, 2009 gespielt hat, war das Maß aller Dinge - und die hatten beides, Ballbesitz und Gegenpressing."

Neue Altersgrenze? Sahin: "Keine gute Regel"

... den Wechsel zu Real Madrid 2011: "Ich unterschrieb damals einen Sechs-Jahres-Vertrag und war mir sicher, dass ich mindestens einmal die Champions League gewinnen würde. Ich war damals Balljunge hinterm Tor, als Borussia gegen Real gespielt hat. Ich werde nie vergessen, wie Roberto Carlos einen Diagonalball genau auf die Brust von Figo gespielt hat und der den Ball mit seiner Eleganz runtergenommen hat. Da hat es mich einfach gepackt. Genauso, wie es mein Traum war, mit Dortmund Meister zu werden, war es mein Traum für Real Madrid zu spielen. Für einen anderen wollte ich Dortmund nicht aufgeben."

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... Herabsetzung der Altersgrenze in der Bundesliga auf 16 Jahre: "Keine gute Regel. (lacht) Es ist ja klar, dass mich irgendwann jemand übertreffen wird. Ich hoffe, dass es einer von Borussia sein wird, möglicherweise Youssoufa, mit dem ich in Kontakt stehe und der mich immer wieder anruft und um Rat fragt. Für die Bundesliga war es wichtig, dass die Regel im Hinblick auf den europäischen Vergleich gefallen ist. Man muss natürlich abwägen, ob man so einen Jungen da reinschmeißt oder nicht. Bei Moukoko ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auf dem Niveau ankommt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es einem Jungen guttut, wenn er nur einmal mitspielt und dann wieder weg vom Fenster ist. Bei mir ist es gutgegangen, ich bin seit 15, 16 Jahren dabei, aber es gibt auch viele Spieler, die machen ein paar Spiele und sind dann weg. Das ist psychologisch sehr schwierig. Genauso ist es bei Spielern, die kurz davor stehen, Profi zu werden, es aber nicht schaffen. Die fallen in ein mentales Loch. Ich könnte mir vorstellen, dass es für einen 16-Jährigen besonders schwer ist."

... Erinnerungen an seinen Start in die Profikarriere: "Ich kann mich an die ersten zwei, drei Wochen nicht erinnern. Das war ein Schnelldurchlauf von Gefühlen. Ich hätte gerne etwas davon in eine Flasche gefüllt, um etwas davon zu haben, aber ich habe das Gefühl nicht mehr. Es war nicht zu schnell, aber sehr schnell."

Nuri Sahin: Leistungsdaten Saison 2019/2020

Wettbewerb Spiele Tore Vorlagen Minuten pro Spiel Bundesliga 16 0 3 79 DFB-Pokal 1 0 1 90