Außerdem erklärte Leibenath, warum sich das Risiko mit Killian Hayes gelohnt hat und warum Ulm davon profitieren könnte, wenn der junge Franzose im NBA Draft 2020 ausgewählt wird .
Herr Leibenath, das Coronavirus hat den Sport weltweit vorerst lahmgelegt. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag momentan aus?
Thorsten Leibenath: Wir haben vielfältige Aufgaben. Wir müssen zum einen sehen, wie wir unsere Kosten reduziert bekommen. Dazu haben wir viele Gespräche mit Spielern und Agenten geführt und sind auch zu guten Lösungen gekommen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass die Saison eventuell weitergespielt wird und gleichzeitig müssen wir auch schon schauen, wie der Kader für die kommende Saison aussehen könnte. Das ist ein Thema, mit dem man sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin befassen müsste, denn gegen Ende der Hauptrunde ist man schon etwas intensiver in die Planung der nächsten Saison involviert. Hier in Ulm kommen jetzt noch ein paar zusätzliche Aufgaben hinzu, da wir recht bald in unseren neuen Orange Campus ziehen, das bringt weitere Herausforderungen mit sich. Langweilig wird uns hier also nicht, auch ohne Spielbetrieb.
Vor kurzem wurde bekannt gegeben, dass nach den Mitarbeitern des Vereins auch Spieler und Coaches auf Gehalt verzichten würden. Wie viel Überzeugungsarbeit musste dafür geleistet werden?
Leibenath: Die Bereitschaft dazu war bei allen Beteiligten groß. Mein Eindruck ist, dass die Mitarbeiter der Geschäftsstelle da vorausgegangen sind und damit auch die sportlichen Akteure sensibilisiert haben. Die Coaches haben das dann auch schnell und gut aufgenommen. Somit war es nicht mehr schwierig, die Spieler ebenfalls zu überzeugen.
Sie selbst arbeiten noch vom Büro in Ulm aus. Wie sieht es mit den Spielern aus?
Leibenath: Wir waren liberaler als einige andere Vereine. Wir haben vom ersten Tag, also vom 12. März an, gesagt: Wenn ihr zu euren Familien wollt, werden wir euch keine Steine in den Weg legen. Wir erwarten nicht, dass ihr hier vor Ort seid, sondern ihr sollt euch dort aufhalten, wo ihr euch am wohlsten fühlt. Momentan gibt es hier ohnehin nicht die Möglichkeit, Team-Training aufrechtzuerhalten. Deswegen haben wir klar gesagt, dass wir die mentale Gesundheit priorisieren und die Spieler bei ihren Liebsten sein sollen, wenn ihnen das gut tut. Es gab durchaus auch Spieler, die gesagt haben, dass sie gerne hier bleiben wollen, auch wenn sie nicht aus Deutschland sind, aber viele sind schnell und unbürokratisch abgereist.
Stichwort mentale Gesundheit, da das Thema momentan natürlich sehr viele Menschen betrifft: Was kann man momentan als Verein für die Spieler tun?
Leibenath: Ich würde es zu hoch aufhängen, wenn ich sagen würde, dass wir in der Hinsicht momentan eine große Rolle im Leben des Spielers spielen. Wir versuchen, verfügbar zu sein, die Spieler, die momentan noch hier sind, kommen auch regelmäßig zum Trainieren und können sich fit halten. Man kann zwar höchstens in Zweiergruppen arbeiten und muss sämtlichen Kontakt vermeiden, aber das ist dennoch möglich und das wollen wir bereitstellen. Es ist aber nicht so, dass wir jeden Tag jeden Spieler anrufen und fragen, was wir tun können, damit es ihnen gut geht. Sie wissen, dass sie sich jederzeit melden können, ohne dass wir uns aufdrängen wollen. Ich bin kein Psychologie-Experte, aber wir werden uns immer bemühen, dass wir in jeder Situation entsprechende Lösungen finden können.
Wie sieht die Arbeit der Coaches momentan aus?
Leibenath: Sie findet überwiegend von Zuhause aus statt. Das traf vorher zwar auch schon auf einen Teil ihrer Arbeit zu, momentan sind sie jedoch fast ausschließlich im Home Office. Genau wie die Spieler sollen sie bei ihren Familien sein, es hat aber schon jeder von ihnen Aufgaben bekommen. Beispielsweise geht es jetzt darum, Spiele zu analysieren, sich weiterzubilden, kommende Aufgaben zu planen und so weiter. Da haben sie jede Menge zu tun. Die Geschäftsstellen-Mitarbeiter sind überwiegend im Büro, weil das für die Koordination wichtig ist, aber das ist bei den Coaches nicht nötig.
Thorsten Leibenath: "Mir kann keiner sagen, ob die EM stattfindet"
Wie groß ist die Unsicherheit im Verein? Es sind derzeit überall Untergangsszenarien zu hören - auch im Fußball, der finanziell in Deutschland ja eigentlich viel stärker dastehen sollte.
Leibenath: Es herrscht schon eine Unsicherheit, weil man einfach nicht weiß, wie sich das Ganze weiterentwickeln wird. Mir kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen, ob Anfang August die Spieler kommen werden, um sich auf die kommende Saison vorzubereiten. Mir kann keiner sagen, ob es nächste Saison Nationalmannschaftsfenster geben wird oder ob die Europameisterschaft stattfindet. Das sind alles Unsicherheiten. Ich habe den Eindruck, dass unser Verein auch für eine schwer einzuschätzende Krise gut aufgestellt ist. Die Corona-Krise wird die Sportwelt jedoch insgesamt erschüttern. Viele Vereine werden kurzfristig Probleme bekommen, weil Einnahmen ausbleiben, aber die Kosten nicht in dem Maße schnell genug gesenkt werden können. Da ist es auch unerheblich, ob das Budget eine Million Euro beträgt oder 100 Millionen bei einem Fußball-Verein - dieser hat ja auch höhere Ausgaben.
Viele Vereine haben diese Rücklagen wohl nicht in dem Maße. Gibt es zwischen den Teams und vielleicht auch der Politik schon einen Austausch, wie man die Situation bewältigen kann?
Leibenath: Ich bin bei uns nicht im kaufmännischen Bereich tätig, daher kann ich das nicht im Detail beantworten. Ich rede mit meinen Kollegen im sportlichen Bereich bei anderen Vereinen, wir sitzen ja alle im selben Boot. Aber ob es schon Planungen etwa für einen Rettungsschirm oder dergleichen seitens der Politik gibt, das kann ich nicht beantworten.
Für Sie als Sportdirektor: Mit wie vielen Szenarien müssen Sie derzeit kalkulieren?
Leibenath: Es sind schon einige. Sollte die Saison weitergehen etwa: Sind alle Spieler in der Lage, mitzumachen, oder spricht aufgrund von Einreisebeschränkungen oder vertraglichen Situationen etwas dagegen? Was passiert, wenn wir nicht mit dem gleichen Kader weiterarbeiten können? Haben wir Alternativen? Wir haben welche aufgrund unseres Nachwuchsprogrammes und unserer Doppellizenz-Spieler. Wir müssen uns aber eben auch bereits jetzt damit befassen, was passiert, wenn wir die Saison nicht beenden können. Ich finde es gut, dass zum jetzigen Zeitpunkt alles dafür versucht wird, die Saison zu Ende zu spielen, weil es wichtig ist und sich dadurch viele Fragen erübrigen. Sollte es aber nicht möglich sein, kommen viele Fragen auf. Wer ist Meister, wie sieht die Abschlusstabelle aus, zählen alle Spiele - ich hoffe einfach, dass wir solche Fragen sportlich beantworten können.
Die meisten Verträge laufen für gewöhnlich bis Ende Juni. Sollte es später weitergehen, müsste man diese Deals alle neu strukturieren?
Leibenath: Mit genau solchen Fragen müssen wir uns bereits jetzt befassen, ja. Wenn Verträge angepasst werden, müssen wir auch über die Laufzeit sprechen, weil es sein kann, dass wir zum Beispiel noch im Juli Basketball spielen. Es gibt dafür einfach keinen Präzedenzfall, deswegen steht all dies momentan auf dem Prüfstand.
Das gilt insbesondere auch für Killian Hayes, der sich nun zum NBA Draft angemeldet hat . Der erwartete Schritt, oder?
Leibenath: Er hat bei uns einen Dreijahresvertrag unterschrieben. Die realistischen Szenarien waren, dass er sich nach dem ersten oder zweiten Jahr für den Draft anmelden wird, es war aber jetzt noch nicht hundertprozentig absehbar, dass es nach dem ersten Jahr passieren wird. Er hat eine tolle Entwicklung hingelegt und jetzt für sich die Entscheidung getroffen, dass der Zeitpunkt reif ist, dieses Jahr schon in den Draft zu gehen.
Die Turnover-Anfälligkeit fiel immer wieder auf. Ist das etwas, was er aus seinem System bekommen wird?
Leibenath: Die wenigsten Vereine hätten diesen Schritt gewagt, den wir gewagt haben, einem 18-Jährigen die Verantwortung auf der Aufbau-Position zu geben. Deswegen hat er sich ja auch für uns entschieden. Wir haben ihm diesen Posten gegeben und es ihm auch erlaubt, Fehler zu machen. Nach den ersten drei, vier Spielen haben viele gerufen, dass wir auf der Position nachverpflichten müssen und ihn ins zweite Glied schicken, aber genau das haben wir nicht gemacht.
Leibenath: "Deswegen ist eine gewisse Kritik verständlich"
Ist es ein kalkuliertes Risiko, dass es erstmal schwierig werden wird, wenn man so viel Verantwortung an einen so jungen Spieler gibt?
Leibenath: Es ist vor allem schade, dass wir jetzt nicht die Früchte ernten können. Ich bin davon überzeugt, dass er im letzten Drittel der Saison nochmal deutlich besser spielen würde als im ersten und auch im zweiten. Bisher würde jeder sagen, dass es ganz gut war, aber dass wir eben nicht auf einem Playoff-Platz stehen - deswegen ist auch eine gewisse Kritik verständlich mit der Entscheidung, ihn zu holen und ihm so eine große Rolle zu geben. Ich bin mir sicher, dass diese Mannschaft die Playoffs erreichen wird und dann auch in den Playoffs noch eine gute Rolle spielt. Ich hoffe sehr, dass wir das noch zu sehen bekommen, auch weil sich spätestens dann zeigen wird, dass sich dieser Schritt mit ihm eben gelohnt hat.
Wie sieht momentan der Kontakt zu ihm aus?
Leibenath: Er hält sich momentan in Florida fit und trainiert dort, was auch Sinn macht, weil er nach seiner Anmeldung zum Draft dort näher an den potenziellen Entscheidungsträgern ist, die sich ihn eventuell in Workouts ansehen können. Combine oder so etwas gibt es momentan ja nicht, aber er ist einfach etwas näher am Geschehen, deswegen unterstützen wir das auch. Der Kontakt ist überwiegend mit dem Agenten, was mich betrifft, aber ich denke, er kommuniziert auch direkt mit seinem Trainer Jaka Lakovic.
Haben Sie eine Einschätzung, wie hoch er gedraftet werden könnte oder sollte?
Leibenath: Das wäre Kaffeesatzleserei. Ich habe einige der anderen Spieler gesehen, aber weiß Gott nicht alle. Gerade bei den College-Spielern kenne ich noch nicht alle. Daher wäre das jetzt noch nicht so glaubwürdig, wenn ich mich da äußern würde. Mein Eindruck ist, dass er sehr gute Chancen besitzt, in der ersten Runde gedraftet zu werden dank dem Potenzial, das er hat, und auch dem, was er in dieser Saison bei uns gezeigt hat. Nicht wenige behaupten, dass er ein Lottery-Pick werden kann, aber man muss bei Europäern manchmal vorsichtiger sein. Da gibt es zwar einerseits den Hype, andererseits werden sie oft dann trotzdem etwas später gedraftet, als man sie erwarten würde. Ich würde nur davon ausgehen, dass er ein Erstrundenpick wird, wenn er drin bleibt.
Der Draft ist ja ohnehin meist ein undurchsichtiges Thema. In diesem Jahr noch stärker als sonst, oder?
Leibenath: Ja genau. Es ist ein sehr schwieriges Jahr, auch dadurch, dass die Workouts nicht in der Form stattfinden können oder stattgefunden haben. Man weiß ja zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht, wann der Draft überhaupt stattfindet und in welcher Form.
Sollte Hayes beispielsweise in der Lottery, also unter den ersten 14 Spielern, gedraftet werden: Was bedeutet das für Ulm als Basketball-Standort?
Leibenath: In der Basketballwelt ist durchaus wahrgenommen worden, welchen Aufwand wir hier in der Nachwuchsförderung betreiben und welchen Mut wir haben, auch Risiken einzugehen. Ein Erstrundenpick aus Ulm würde das Ganze natürlich nochmal verstärken. Ich merke das schon jetzt, wenn es darum geht, Spieler für die nächste Saison zu rekrutieren. Wir sind auf der Landkarte mehr in Erscheinung getreten. Agenten kontaktieren uns mittlerweile mit interessanten Spielern, die man bei uns entwickeln könnte, während früher ich derjenige war, der die Agenten nerven und überzeugen musste. Im Zweifelsfall ging der Spieler damals in die zweite Mannschaft von Barcelona.
Bei Hayes wurden auch bereits Sie vom Agenten kontaktiert, richtig?
Leibenath: Genau, das ging auch da vom Agenten aus. Wir hatten uns schon einen gewissen Ruf erarbeitet und dann eben auch klargestellt, dass wir gewillt sind, diese 20, 25 Minuten Spielzeit als Starter auf der Eins wirklich anzubieten. Das machte kein anderer EuroCup-Teilnehmer.