Im Interview mit SPOX und Goal spricht der 53-Jährige über seine "einzigartige" Negativ-Erfahrung in Hannover und erklärt, wie die Coronakrise seine Suche nach einem neuen Trainer-Job beeinträchtigt. Außerdem blickt Doll zurück: auf seine Zeit bei Borussia Dortmund und seine legendäre Wut-Pressekonferenz, eine besondere Saison mit dem HSV und Zeiten, in denen er Existenzängste und einen Faible für den Dalai Lama hatte.
Herr Doll, das Coronavirus legt den Fußball lahm - und damit auch Ihre Suche nach einem neuen Job als Trainer. Wie haben sich Ihre Planungen nach Ihrem Aus bei APOEL Nikosia im Dezember durch die Krise verändert?
Thomas Doll: Ich wollte bis zur Sommerpause bei ein paar deutschen Vereinen hospitieren und anschließend schauen, was ich mache. Wenn mir jemand aus der Sportwelt aktuell leidtut, dann sind es aber nicht wir, die im Fußballgeschäft arbeiten. Fußballer sind jede Woche im Fernsehen zu sehen. Athleten und Trainern anderer Sportarten, die kaum eine Bühne bekommen, geht es deutlich schlechter. Die haben sich jahrelang voller Elan auf die Olympischen Spiele vorbereitet und müssen jetzt noch über ein Jahr warten, um sich zu präsentieren. Das finde ich sehr schade.
Sie leben mit Ihrer Frau in Budapest, abgeschnitten von einem Großteil Ihrer Familie. Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um?
Doll: Es macht mich traurig, meine Eltern nicht sehen zu können. Sie sind beide über 80 und mein Vater leidet an Demenz. Zum Glück ist meine Schwester in ihrer Nähe und greift ihnen beispielsweise mit Einkäufen unter die Arme. Aber natürlich stimmt mich die Situation sehr nachdenklich. Meine 21-jährige Tochter lebt in Norditalien, also mitten im Epizentrum der Pandemie. Die Situation dort kann man nicht mit der hier in Ungarn vergleichen.
Wie vertreiben Sie sich die Zeit?
Doll: Ich mache viel Sport, habe mithilfe eines Fahrradergometers meiner Frau innerhalb eines Monats schon acht Kilo abgenommen. Wir gehen auch gerne spazieren, wenn das Wetter es zulässt, und sprechen viel. Das ist doch etwas Schönes! Man kann in diesen Tagen über Dinge sprechen, die im hektischen Alltag zu kurz kommen, mit Bekannten telefonieren, die man selten hört, und sogar das eine oder andere neue Hobby für sich entdecken.
Zum Beispiel?
Doll: Ich habe neulich mit ein paar alten Kumpels wie Ulf Kirsten, Thomas Finck, Theo Schneider oder "Katze" Zumdick an einer Jonglier-Challenge teilgenommen, um einem Jungen aus meiner Heimatstadt Malchin eine kleine Freude zu bereiten. Außerdem unterstütze ich meine Frau mehr in der Küche, lese Bücher und höre Hörbücher
Für welche Bücher interessieren Sie sich?
Doll: Ich bin ein Fan von Krimis. Zuletzt habe ich mir ein Hörbuch von John Grisham heruntergeladen.
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Doll: "Ich wollte nach meiner Karriere nicht in ein Loch fallen"
Nichts über den Buddhismus, mit dem Sie sich zu Ihrer Zeit als Spieler beschäftigt haben?
Doll: Aktuell nicht. Irgendwo liegen noch ein paar Bücher und CDs, aber mit Ende 20 hat mich das Thema Buddhismus mehr interessiert als heute.
Warum?
Doll: In erster Linie wegen meiner vielen Verletzungen. Ich hatte in der Reha so viel Zeit, dass ich mir viele Bücher über spirituelle Themen gekauft habe. Ich habe einige Werke von Eckhart Tolle und später auch Bücher über den Dalai Lama gelesen. Ich wollte neue Denkweisen kennenlernen, mit denen ich als Ostdeutscher bis zur Wende nie konfrontiert wurde. Es war für mich speziell in Bezug auf meine Verletzung wichtig, herauszufinden, wie man mit unvorhergesehenen Situationen umgehen kann. Gerade als Fußballer lebt man in einer Scheinwelt, aus der man durch Verletzungen schneller rausgerissen werden kann, als einem lieb ist. Jeder Fußballer stellt sich sowieso irgendwann in seiner Karriere mindestens einmal die Frage: Was mache ich eigentlich, wenn der ganze Spaß vorbei ist? Für mich war es deshalb wichtig, vorbereitet zu sein. Ich wollte nach meiner Karriere nicht in ein Loch fallen.
Hatten Sie zu jener Zeit Existenzängste?
Doll: Ja, die hatte ich aber auch schon in meiner Jugend in der DDR. Ich wusste ja nicht, ob ich eines Tages die Möglichkeit bekommen würde, Profi zu werden. Ich durfte nicht immer mit zu Turnieren in den Westen, weil wir dorthin Kontakte hatten. Meinem Vater, der in der Politik in Malchin tätig war, wurde einmal sogar der Job gekündigt, als ein Paket aus dem Westen bei uns ankam. Deshalb bin ich heute sehr froh, ein Leben in Freiheit zu haben. Das sollte jeder sein. Es waren damals harte, ungewisse Zeiten. Sie haben mich aber auch abgehärtet für meine Karriere als Spieler und später auch als Trainer.
Doll: "Schlaudraff? Man muss ja keinen Wein trinken"
Gerade das vergangene Jahr war ein ernüchterndes für Sie. Sie wurden im Sommer erst bei Hannover 96 entlassen und wenige Monate später auch bei APOEL Nikosia.
Doll: Das kann man so sagen. Vor allem das, was ich am Ende in Hannover erlebt habe, war ziemlich einzigartig - im negativen Sinne.
Erzählen Sie.
Doll: Ich kann ja verstehen, dass man nach einem Abstieg einen Neuanfang machen will. Das ist vollkommen okay. Aber dass weder Jan Schlaudraff noch Martin Kind es auf die Reihe bekommen haben, sich bei mir zu melden und mich über meine Entlassung zu informieren, finde ich merkwürdig.
Sie erfuhren also zuerst von den Medien von Ihrem Aus?
Doll: Sozusagen. Ich bin ja schon etwas länger im Geschäft und mir war klar, dass es nach einer sportlich mangelhaften Rückrunde nicht weitergehen würde. Abgesehen davon: Ich finde es richtig, nach einem Abstieg einen Schnitt zu machen, einen neuen Trainer und auch einige neue Spieler zu holen. Trotzdem hat es etwas mit Respekt und Demut zu tun, sich am Ende einer Saison wie Erwachsene zusammenzusetzen und die Zukunft zu besprechen. Man muss ja keinen Wein zusammen trinken. Insofern habe ich mich über die Art und Weise meines Abschieds sehr geärgert, weil ich ja auch einige vernünftige Leute in Hannover kennengelernt habe und ein gutes Verhältnis zur Mannschaft hatte. Gerade von Herrn Schlaudraff hätte ich erwartet, dass er zum Hörer greift und meine Nummer wählt.
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Warum?
Doll: Er wurde im April, also ein paar Wochen vor dem Saisonende, zum Sportchef ernannt und bekam praktisch einen Freifahrtschein. Er war bei allen Mannschaftssitzungen und Trainingseinheiten dabei. Den Trainer dann nicht vernünftig zu verabschieden, zeigt mir, wie so manch einer in diesem Geschäft tickt. Ich bin zum Glück anders. Mir war es bei all meinen Vereinen immer wichtig, im Guten auseinander zu gehen.
So auch 2008, als Sie Borussia Dortmund ein Jahr vor Ihrem Vertragsende in gegenseitigem Einvernehmen verließen und dabei sogar auf Ihr Restgehalt verzichteten. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit in Dortmund?
Doll: Ich verbleibe mit dem Positiven. Man darf nicht vergessen: Als ich im März 2007 nach Dortmund kam, stand der Verein dicht vor dem Abstieg. Es war zwei Minuten vor zwölf, intern herrschte Untergangsstimmung. Wir hatten neun Spiele Zeit, den Bock umzustoßen und ich bin froh, dass wir das geschafft haben. In meiner zweiten Saison hatten wir dann einige Verletzungssorgen. Außerdem war der eine oder andere Spieler sicherlich schon über seinem Zenit. Den BVB damals kann man nicht ansatzweise mit dem BVB von heute vergleichen.
In jener zweiten BVB-Saison kam es auch zu Ihrer legendären Wut-Pressekonferenz, bei der Sie scharfe Kritik an der Berichterstattung der Medien übten. Würden Sie diese PK heute noch einmal so machen?
Doll: Natürlich nicht. Das war aus der Emotion heraus. Jeder weiß, dass ich ein emotionaler Typ bin. Aber ich würde heute ruhiger und sachlicher bleiben. In diesem Moment dachte ich mir einfach: Es geht nicht, wie über meine Mannschaft berichtet wird, deshalb verteidige ich sie.
Doll: "Vor Hummels ziehe ich den Hut"
Ihre Pressekonferenz wird oft in einem Atemzug mit der von Giovanni Trapattoni genannt.
Doll: Ich weiß, viele konfrontieren mich noch heute damit, obwohl es so lange her ist. Auf Platz eins der Wutreden werde ich es trotzdem nie schaffen. Den darf Herr Trapattoni gerne behalten.
In Dortmund wurden Sie durch Jürgen Klopp ersetzt. Am 19. April 2008, dem Tag des Pokalfinals gegen den FC Bayern, machten bereits Gerüchte über Klopps Verpflichtung die Runde. Wie gingen Sie damit um?
Doll: Es ist nicht angenehm, kurz vor einem so wichtigen Spiel so etwas zu hören, aber vom Verein hat sich dazu niemand bei mir gemeldet. Aki Watzke und ich haben uns erst nach der Saison zusammengesetzt und entschieden, dass ein Neuanfang für den BVB das Beste wäre. Mein Fokus liegt immer auf dem Hier und Jetzt und man hat im Finale gesehen, dass die gesamte Mannschaft voll auf der Höhe war. Leider haben wir in der Verlängerung knapp mit 1:2 verloren, sonst wäre es eine schöne Versöhnung nach all den schlechten Spielen in der Bundesliga gewesen.
Welche Spieler haben Sie aus Ihrer Zeit beim BVB besonders in Erinnerung?
Doll: Dede, ein ganz feiner Fußballer. Dann waren da noch Alex Frei und Mladen Petric, zwei richtig gute Jungs. Und wir hatten natürlich auch ein paar junge Spieler mit großem Potenzial. Mats Hummels zum Beispiel. Dem hätten viele so eine Weltkarriere damals wohl nicht zugetraut.
Warum?
Doll: Ich kann mich noch erinnern, als wir uns vor seiner Verpflichtung ein U23-Spiel von ihm bei Bayern angesehen haben. Herrmann Gerland testete ihn damals im defensiven Mittelfeld. Er mochte es, Innenverteidiger hin und wieder etwas weiter vorne einzusetzen, weil es für diese Spieler ja eher ungewöhnlicher ist, mit dem Rücken zum Gegner zu stehen. Das war sehr interessant zu sehen. Mats hat das gut gemacht, aber er war eben noch sehr jung und körperlich einfach noch nicht so weit. Als er dann zu uns nach Dortmund kam, hatte er mit Christian Wörns und Robert Kovac zwei alte Hasen vor sich. Es war also nicht einfach für ihn, aber er ist geduldig geblieben und hat sich zu einem der besten Innenverteidiger der Welt entwickelt. Davor ziehe ich den Hut.
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Doll: "Habe mich in meiner Karriere oft überraschen lassen"
Wer war der beste Spieler, den Sie jemals trainiert haben?
Doll: Ich will niemandem Unrecht tun, vor allem beim HSV hatte ich viele klasse Spieler wie Sergej Barbarez, David Jarolim oder Paule Beinlich. Am meisten beeindruckt hat mich aber Rafa van der Vaart. Der hatte von allen das feinste Füßchen. Was Rafa in der Saison 2005/06 gespielt hat, war außergewöhnlich. Es war eine schöne, besondere Saison für den HSV.
Heute spielen die Hamburger in der 2. Liga. Können Sie sich vorstellen, eines Tages noch einmal für den HSV zu arbeiten?
Doll: Diese Frage stellt sich aktuell für mich nicht. Erstens ist Dieter Hecking beim HSV Trainer, zweitens bringe ich mich nicht selbst woanders ins Gespräch. Wenn sich für mich irgendwann noch einmal die Möglichkeit ergeben sollte, nach Deutschland zurückzukehren, dann würde ich mich darüber freuen. Andererseits arbeite ich auch gerne im Ausland. Man kann sich am Ende nicht immer aussuchen, wo die Reise hingeht. Ich habe mich in meiner Karriere oft überraschen lassen. So zum Beispiel auch von APOEL Nikosia. Die haben mich vier Tage vor einem Spiel in der Champions-League-Qualifikation kontaktiert. Manchmal geht es sehr schnell.
Nach 15 Pflichtspielen in Nikosia war aber schon wieder Schluss - und das, obwohl Sie nur eines davon verloren haben.
Doll: Das hatte keine sportlichen Gründe. Ich werde erst darüber sprechen, wenn ein wenig Gras über die Sache gewachsen ist. Seit meiner Entlassung Anfang Dezember wurde schon wieder dreimal der Trainer gewechselt. Ich denke, dass die Leute in Zypern mein Trainerteam und mich positiv in Erinnerung behalten werden. Allein aus wirtschaftlicher Sicht. Mit der Qualifikation für die Europa League hat der Verein wichtige Einnahmen erzielt.
Die Trainer-Stationen von Thomas Doll
Verein Zeitraum Hamburger SV U19 2001 - 2002 Hamburger SV II 2002 - 2004 Hamburger SV 2004 - 2007 Borussia Dortmund 2007 - 2008 Genclerbirligi Ankara 2009 - 2010 Al-Hilal 2011 - 2012 Ferencvaros Budapest 2013 - 2018 Hannover 96 2019 APOEL Nikosia 2019