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Der Name des Klubs kommt so dekadent daher wie die Ära, die er maßgeblich prägte: Club Deportivo Los Millonarios. Der Sportklub der Millionäre. 1946 gegründet, 1949 erstmals kolumbianischer Meister, 1952 nach einem 4:2-Sieg im Estadio Santiago Bernabeu gegen Real Madrid inoffiziell zum besten Klub der Welt ernannt.

Sie riefen die Millonarios das blaue Ballett und der Auftakt des Tanzes war ein nationaler Streit. Mitte der 1940er herrschte im kolumbianischen Fußball Chaos. In Ermangelung einer nationalen Liga duellierten sich die besten Vereine des Landes lediglich in öffentlich kaum beachteten Freundschaftsspielen. Die Spieler waren zwar offiziell Amateure, wurden von ihren Klubs jedoch schwarz bezahlt.

So konnte es nicht weitergehen und natürlich ging es so auch nicht weiter. Eine Gruppe Fußballfunktionäre sagte sich vom nationalen Verband Adefutbol los, gründete den Konkurrenz-Verband Dimayor (Division Mayor del Futbol Colombiano) und schuf eine professionelle nationale Liga. Unter den zehn Gründer-Klubs waren auch die Millonarios aus der Hauptstadt Bogota, der Namen damals jedoch lediglich ein hehres Versprechen. Ohne große mediale Beachtung startete die neue Liga im August 1948 in ihre erste Saison, die Independiente Santa Fe für sich entschied.

Der Eklat zwischen Dimayor und Adefutbol

Anfang 1949 kam es dann zum unausweichlichen Eklat zwischen den beiden Parallel-Verbänden: Dimayor verweigerte Spielerabstellungen seiner Klubs an die von Adefutbol kontrollierte kolumbianische Nationalmannschaft für die im April startende Copa America. Adefutbol überzeugte daraufhin den Dimayor-Verein Atletico Junior als Ersatz-Nationalmannschaft zur Copa America zu reisen - woraufhin der Klub zunächst für zwei Jahre vom Ligabetrieb ausgeschlossen wurde.

Gleichzeitig meldete Adefutbol die Entwicklungen dem Weltverband FIFA, der kurzerhand beide Verbände bestrafte: Er verweigerte der neuen Profiliga Dimayor die internationale Anerkennung und schloss die kolumbianische Nationalmannschaft von allen internationalen Wettbewerben aus. Für Adefutbol ein harter Schlag, für Dimayor der Aufruf zu Anarchie und Goldgräberstimmung. El Dorado war geschaffen.

Der verrückte Millonarios-Präsident Alfonso Senior

Völlig unabhängig von den Regularien des internationalen Transfermarkts konnten die Bosse der Dimayor-Klubs nun machen, was sie wollten. Transferfenster? Egal! Ablösesummen an andere Vereine? Egal! Gehaltsobergrenzen? Egal! Und der erste, der all diese Möglichkeiten erkannte, war Millonarios-Präsident Alfonso Senior. Umgehend schickte er seinen argentinischen Spielertrainer Carlos Aldabe nach Buenos Aires, wo die Fußballprofis gerade ohnehin streikten. Sein Auftrag: Die besten Spieler verpflichten.

Aldabe also kontaktierte Adolfo Pedernera von Huracan. Er war ein Superstar seiner Zeit und einst Teil der legendären River-Plate-Mannschaft, die Mitte der 1940er Jahre insgesamt vier Meistertitel geholt hatte und La Maquina, die Maschine, gerufen wurde. Ob er denn Interesse hätte? Er hatte aber nur zu seinen Bedingungen: Pedernera verlangte damals utopische 5.000 Dollar Handgeld und ein jährliches Gehalt von 500 Dollar. Alfonso Senior stimmte zu.

"Die anderen Vereinsbosse haben mich für verrückt erklärt", sagte er später. "Aber schon beim ersten Heimspiel haben wir Tickets für insgesamt 18.000 Dollar verkauft. Siebenmal mehr als bei einem normalen Heimspiel." Es war der Auftakt eines in Kolumbien nie dagewesenen Fußballhypes.

Die medial zuvor weitestgehend ignorierte Liga bestimmte auf einmal die Titelseiten der Zeitungen, die Fans strömten überall ins Stadion, wo die Millonarios mit Pedernera auftraten, und Präsident Alfonso Senior verpflichtete mit Mittelfeldspieler Nestor Rossi und Stürmer Alfredo Di Stefano gleich zwei weitere berühmte Argentinier.

Der Kaufrausch von Kolumbien

Mittlerweile fanden die Verantwortlichen der anderen Klubs Alfonso Seniors Vorgehen nicht mehr verrückt, sondern nachahmenswert. Millonarios größter Rivale im Titelkampf Deportivo Cali verpflichtete mit Valentino Lopez, Guillermo Barbadillo, Luis Salazar, Maximo Mosquera und Manuel Drago innerhalb kürzester Zeit fünf peruanische Stürmer und schuf somit El Rodillo Negro. Die schwarze Dampfwalze. Beide Vereine beendeten die Saison punktgleich und so kam es zu einem Finale mit Hin- und Rückspiel, das die Millonarios gewannen und sich somit zum Meister von 1949 kürten.

In der Folge ahmten immer mehr Klubs das Vorgehen der Millonarios nach, die meisten holten sich gleiche eine Reihe Spieler aus einer Nation. Nuevo Cucuta Deportivo verpflichtete acht Spieler der uruguayischen Weltmeistermannschaft von 1950, Deportivo Pereira die besten verfügbaren Paraguayer und das nur kurze Zeit nach dem vermeintlichen Zwei-Jahres-Ausschluss wieder begnadigte Atletico Junior einige Brasilianer, unter anderem den legendären Heleno de Freitas.

Der Kaufrausch beschränkte sich jedoch nicht nur auf Südamerika: Nach und nach zog es auch europäische Spieler in die aufstrebende Liga. Deportivo Samarios holte gleich 15 Ungarn, darunter mit Gyula Zsengeller einen Superstar der 1930er und 1940er Jahre. Der Club Independiente Santa Fe verpflichtete die Engländer George Mountford und Neil Franklin von Stoke City sowie Charlie Mitten von Manchester United und Deportes Caldas den litauischen Keeper Vytautas Krisciunas, der auf dem Weg zum sensationellen Meistertitel 1950 zum Erfolgsgaranten werden sollte.

Aber schon in der darauffolgenden Saison holten sich die Millonarios um Torschützenkönig Di Stefano und längst mit weiteren prominenten Nationalspielern aus aller Welt verstärkt den Titel zurück. Mittlerweile umfasste die Liga 18 Vereine, 287 der 440 Spieler waren Legionäre. Die Stadien waren ausverkauft und die Spiele weniger Spiele als viel mehr Gesellschaftsevents. Berühmtheiten und solche, die das gerne werden würden, füllten die Tribünen. Es war der Höhepunkt des Hypes.

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Der Pacto de Lima und das Ende von Dimayor

Während die Begeisterung in Kolumbien für die neue Liga stetig stieg, wuchs gleichzeitig die weltweite Wut auf die Entwicklungen. Bei der FIFA, weil die Dimayor-Vereine Abstellungen ihrer Spieler für Länderspiele verweigerten und somit vielen Nationalmannschaften ihre wichtigsten Spieler fehlten. Und vor allem bei den abgebenden Vereinen, weil sie ihre besten Spieler reihenweise verloren, noch nicht einmal Ablösesummen kassierten - und nichts dagegen tun konnten.

Im Oktober 1951 kam es schließlich zu einem Kompromiss zwischen Dimayor und FIFA, dem Pacto de Lima. Dimayor bekam die offizielle Kontrolle über den kolumbianischen Ligabetrieb und die Vereine durften ihre Spieler bis Vertragsende oder maximal 1954 behalten, mussten sie aber anschließend ohne Ablösesummen an ihre vorherigen Arbeitgeber zurückgeben. Gleichzeitig kehrte Kolumbien in die FIFA zurück.

Die Millonarios nutzen die verbliebenen Jahre mit ihren Stars, um 1952 und 1953 zwei weitere Meistertitel zu gewinnen und dazwischen nach Europa zu reisen, wo sie im Estadio Santiago Bernabeu Real Madrid mit 4:2 besiegten. Viele der übrigen Klubs gerieten ob der Abgangswelle und des nahenden Endes des Hypes in Finanzprobleme, gingen in Konkurs oder fusionierten. Und ab 1954 versank der kolumbianische Fußball wieder in unbeachteter Mittelmäßigkeit.

Kolumbiens Meister der El-Dorado-Zeit

Saison Meister 1948 Independiente Santa Fe 1949 CD Los Millonarios 1950 Deportes Caldas 1951 CD Los Millonarios 1952 CD Los Millonarios 1953 CD Los Millonarios 1954 Atletico Nacional