Henning Berg war 23 Jahre alt, als er im Januar 1993 vom norwegischen Verein Lilleström SK zum Premier-League-Klub Blackburn Rovers wechselte. Für ihn war der Transfer ein Kulturschock. Aber nicht der, den er erwartet hatte.

"Ich war aus Norwegen nicht die besten Trainingsbedingungen gewöhnt, aber was ich in Blackburn vorfand, hat mich dann doch überrascht", erzählt er gegenüber SPOX und Goal . "Der Klub hatte keine eigenen Trainingsplätze, stattdessen haben wir in einem städtischen Park trainiert. Wir mussten uns im Stadion umziehen und dann mit unseren eigenen Autos in Trainingsklamotten zu diesem Park fahren. Mal haben wir auf dem einen Platz gespielt, mal auf dem anderen. Aber sie waren alle nicht die besten - und ich glaube, abends haben auch noch irgendwelche anderen Mannschaften darauf gespielt."

Blackburn Rovers' rasanter Aufstieg zum PL-Klub

Berg kam in einen Klub, der schneller wuchs als seine Infrastruktur und das lag an Jack Walker. Geboren in Blackburn machte er aus dem Familienbetrieb Walkersteel einst den größten Stahlhersteller Englands. Als er ein Vermögen von umgerechnet rund 900 Millionen Euro angehäuft hatte, beschloss er, sich seiner Leidenschaft zu widmen: den Blackburn Rovers. Er werde Manchester United "billig aussehen lassen", tönte Walker, der den Weltklub aus dem rund eine Stunde südlich gelegenen Manchester hasste.

Im Januar 1991 übernahm er schließlich die Rovers, die damals in der zweiten Liga gegen den Abstieg kämpften. Der Klassenerhalt gelang, und daraufhin verpflichtete Walker den langjährigen Liverpool-Spieler und -Trainer Kenny Dalglish als neuen Trainer. Er führte die Rovers in seiner ersten Saison zum Aufstieg und somit direkt in die neugeschaffene Premier League. Erstmals seit 26 Jahren waren sie wieder erstklassig - und Walker begann zu investieren.

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Shearers Transfer lohnte sich in zweierlei Hinsicht

Mit dem künftigen Kapitän Tim Sherwood (23) und Stuart Ripley (24) kamen zwei aufstrebende Mittelfeldspieler und außerdem der wohl begehrteste Stürmer Englands: der 21-jährige Alan Shearer. 4,5 Millionen Euro zahlten die Rovers für ihn an den FC Southampton und brachen damit den englischen Ablöserekord.

Es war ein Transfer, der sich in zweierlei Hinsicht lohnen sollte: Nicht nur wegen Shearers 114 Treffern in vier Spielzeiten, sondern auch wegen seiner Einstellung. "Seine Schussgenauigkeit, sein Kopfballspiel und seine Laufwege waren genial. Aber das wäre alles nicht zum Vorschein gekommen, wenn er nicht so klar im Kopf gewesen wäre", sagt Berg. "Er hat niemals an sich gezweifelt und war sich vor jedem Spiel sicher, dass er treffen wird. Mit diesem Vertrauen in seine eigene Stärke war er ein super Vorbild für alle anderen."

Gute Stimmung und direktes Spiel

Rechtsverteidiger Berg selbst kam im darauffolgenden Winter und so schlecht die Trainingsbedingungen bei seiner Ankunft waren, so gut war die Atmosphäre in der Mannschaft. "Es herrschte von Anfang an eine perfekte Mischung aus Siegermentalität und Spaß", erinnert sich Berg. "Auch außerhalb des Platzes haben wir uns alle gut verstanden. Es gab keine Grüppchenbildungen, sondern ein großes Gemeinschaftsgefühl und dafür war der Trainer verantwortlich." Genau wie für die Zusammenstellung der Mannschaft.

"Walker hat das Geld für Transfers zur Verfügung gestellt, Dalglish bei der Spielerauswahl aber allen Entscheidungsfreiraum gelassen", erzählt Berg. Und das sollte sich lohnen. "Er hat auf dem Transfermarkt sehr schlau agiert und nur Spieler geholt, die sich gegenseitig besser machten und perfekt zur Philosophie passten." Und die Philosophie lautete: Aus einer organisierten Defensive heraus schnell und direkt nach vorne spielen. "Direkt sogar für damalige englische Verhältnisse", sagt Berg und lacht.

Große Investitionen in kluge Transfers

Gleich in der ersten Premier-League-Saison 1992/93 landeten die Rovers auf Platz vier, in der darauffolgenden folgte ein lange offener aber letztlich verlorener Titelkampf mit Manchester United und Platz zwei. Im Laufe dieser Saison kam mit Tim Flowers ein neuer Stammkeeper und danach der 21-jährige Stürmer Chris Sutton für 7,5 Millionen Euro. Der nächste englische Ablöserekord. Die Rovers investierten viel Geld, aber sie investierten es klug.

Das Zusammenspiel zwischen Sutton und Shearer etwa funktionierte sofort perfekt. Sutton and Shearer, SAS war geboren! Kamen die Angriffe über die linke Seite, kombinierten sich der oft hinterlaufenden Außenverteidiger Graeme Le Saux und Eigengewächs Jason Wilcox in den Strafraum und setzten das Sturmduo dort in Szene. Kamen die Angriffe über rechts, wurden Sutton und Shearer mit maßgenauen Flanken von Ripley bedient.

Berg über Walker: "Er war wie ein Großvater für uns"

Die Rovers etablierten sich in der Saison 1994/95 von Beginn an in der Spitzengruppe und übernahmen Anfang Dezember erstmals die Tabellenführung. Da die Mannschaft im FA Cup, League Cup und UEFA Cup frühzeitig scheiterte, lag der Fokus bald ausschließlich auf der Meisterschaft.

Gleichzeitig verbesserten sich die Trainingsbedingungen: Die Rovers übersiedelten vom städtischen Park in ein neu errichtetes Trainingszentrum. "Dort gab es sechs, sieben fantastische Plätze", schwärmt Berg. Gezahlt hat dafür natürlich Walker, der außerdem einen Um- und Ausbau des Stadions Ewood Park in ein etwas mehr als 30.000 Zuschauer fassendes reines Sitzplatzstadion vorantrieb.

Walker war omnipräsent. "Vor den Spielen kam er oft in die Kabine, um mit uns zu sprechen. Er war echt witzig und wir haben viel mit ihm herumgescherzt", sagt Berg. 65 Jahre war Walker damals alt und "ein bisschen wie ein Großvater für uns". Einmal hätte er sogar die ganze Mannschaft in sein Haus auf der Insel Jersey eingeladen, erzählt Berg: "Wir waren zwei Tage dort, haben mit ihm gegessen und sind am Abend gemeinsam ausgegangen."

Titelgewinn in Liverpool, Party in Preston

Trainer Dalglish und die Spieler erfüllten Walker dafür seinen größten Wunsch und machten seine Rovers im Mai 1995 zum Meister - doch nicht ohne großes Zittern. Der zunächst komfortable Vorsprung an der Tabellenspitze auf Manchester United war aufgrund einiger Patzer vor dem abschließenden Spieltag auf zwei Punkte zusammengeschrumpft. Die Rovers waren bei Dalglishs Ex-Klub Liverpool zu Gast, United bei West Ham United.

Torschützenkönig Shearer traf mit seinem 34. Saisontor zwar früh zur Führung, doch Liverpool drehte das Spiel und erzielte in der 90. Minute den Siegtreffer. Die Rovers mussten somit auf Schützenhilfe von West Ham hoffen. "Es war eine emotionale Achterbahnfahrt: Zunächst waren wir am Boden zerstört, aber etwa fünf Sekunden nach dem Gegentor begannen unsere Fans wie verrückt zu jubeln", erinnert sich Berg, der rechts hinten wie immer durchspielte. Das Spiel in London war zu Ende, United nicht über ein 1:1 hinausgekommen und die Rovers erstmals seit 1914 und vier Jahre nach einem Fast-Abstieg in die dritte Liga englischer Meister.

"Nach dem Spiel sind wir alle zusammen nach Preston gefahren", erzählt Berg. Blackburns Nachbarstadt war mit damals rund 130.000 Einwohnern etwas größer - und verfügte über ein besseres Nachtleben. "Wir sind in ein Restaurant gegangen, in dem wir davor schon für einige Mannschaftsabende waren. Zunächst haben wir uns hingesetzt und gegessen und als wir damit fertig waren, wurde die Musik aufgedreht und alle haben auf den Tischen getanzt. Es war die verrückteste Nacht meines Lebens."

Premier League: Die Abschlusstabelle der Saison 1994/95

Platz Verein Spiele Diff Pkt. 1Blackburn Rovers424189 2 Manchester United 42 49 88 3 Nottingham Forest 42 29 77 4 FC Liverpool 42 28 74 5 Leeds United 42 21 73 6 Newcastle United 42 20 72 7 Tottenham 42 8 62 8 QPR 42 2 60 9 FC Wimbledon 42 -17 56 10 FC Southampton 42 -2 54 11 FC Chelsea 42 -5 54 12 FC Arsenal 42 3 51 13 Sheffield Wednesday 42 -8 51 14 West Ham United 42 -4 50 15 FC Everton 42 -7 50 16 Coventry City 42 -18 50 17 Manchester City 42 -11 49 18 Aston Villa 42 -5 48 19 Crystal Palace 42 -15 45 20 Norwich City 42 -17 43 21 Leicester City 42 -35 29 22 Ipswich Town 42 -57 27

Warum brauchen wir Zidane? Wir haben doch Sherwood!

Auf die verrückteste Nacht von Preston folgte der Kater von Blackburn. "Wir wussten alle sofort, dass das eine einmalige Erfahrung gewesen sein wird", erinnert sich Berg. Und sie sollten rechtbehalten.

Dalglish, in der Meistersaison zu Englands Trainer des Jahres ernannt, übergab den Posten an seinen Assistenten Ray Harford und übernahm selbst das Amt des Sportdirektors. "Harford war inhaltlich einer der besten Trainer, die ich je hatte. Aber wegen seiner Persönlichkeit ist ihm der Übergang vom Co-Trainer zum Boss schwergefallen", sagt Berg.

Auf dem Transfermarkt verfolgten die Rovers unterdessen eine fatale Strategie. "Es kamen hauptsächlich Spieler, die den Kader aber nicht die Startelf besser machten. Die Meisterspieler wurden kaum unter Druck gesetzt", erzählt Berg. Vor allem Walker sah wenig Grund für Veränderungen. Als der damals 23-jährige Zinedine Zidane von Girondins Bordeaux auf den Markt kam, soll Dalglish auf eine Verpflichtung gedrängt haben - doch Walker nur gesagt haben: "Warum brauchen wir Zidane? Wir haben doch Sherwood!"

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In vier Jahren vom Meister zum Zweitligisten

Der Start in die neue Saison misslang gänzlich: In der Champions League beendeten die Rovers ihre Gruppe mit Spartak Moskau, Legia Warschau und Rosenborg Trondheim auf dem letzten Platz; in der Premier League schlitterten sie zunächst in die untere Tabellenhälfte und landeten am Ende auf Platz sieben.

Im Sommer verließen Shearer, der sich trotz des Abwärtstrends erneut zum Torschützenkönig gekrönt hatte, und Sportdirektor Dalglish den Klub. Ein weiterer katastrophalerer Saisonstart ohne Sieg aus den ersten elf Spielen resultierte im Rücktritt von Trainer Harford und im Sommer ging auch Berg. Die meisten Titelhelden hatten den Verein innerhalb kürzester Zeit verlassen und 1999 verließ der Verein schließlich die Premier League.

Ein Jahr später verstarb Walker, der mit seinem Investment von umgerechnet rund 150 Millionen Euro den rasanten Aufstieg erst ermöglicht - und dafür die richtige Zeit erwischt hatte. "Wenn es damals schon das Financial Fairplay gegeben hätte", sagte Dalglish später, "dann wären wir niemals Meister geworden."