Karsch erklärt auch, warum sie die lange Entscheidungsfindung des IOC für gut befindet. Allerdings betont die Bayerin, dass sie durch ihre Zusammenarbeit mit der Bundeswehr entspannter mit der Coronakrise umgehen kann als manche ihrer Kollegen.

Frau Karsch, was ging Ihnen als erstes durch den Kopf, als das IOC die Verschiebung der Olympischen Spiele in der vergangenen Woche beschloss?

Monika Karsch: Wir Athleten haben alle auf diese Entscheidung gewartet. Und sie war erwartbar, weil alternativlos. Es ist die beste Lösung. Trotzdem war es ein komisches Gefühl, als die Verschiebung dann feststand.

Einige Athleten und Athletinnen hätten sich eine frühere Entscheidung des IOC gewünscht. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Karsch: Bis zum Wochenende habe ich noch ganz normal trainiert. Wir wussten ja auch nicht, ob das IOC die Spiele nur um zwei Monate verschiebt. Mental war es extrem schwer, weil du weißt, dass du nichts weißt. Mit vollem Elan zu trainieren, war schon schwierig.

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Monika Karsch: "Ich fand die Handhabe des IOC sogar ganz gut"

Der deutsche Athletensprecher Max Hartung (Säbelfechten, Anm. d. Red.) erzählte gar von Schlafstörungen. Wie sind Sie mit der Hängepartie umgegangen?

Karsch: Bei uns war die internationale Olympiaqualifikation so gut wie durch. Ich hatte meinen Quotenplatz im letzten April schon geholt. Es stand zwar noch die interne Quali aus, aber das ist eine ganz andere Hausnummer. Diesen Quali-Druck einiger Kollegen zu spüren und nicht richtig trainieren zu können, stelle ich mir furchtbar vor. Das ist eine ganz schlimme Situation. Trotzdem sehe ich die vermeintlich späte Verschiebung nicht so kritisch wie andere Athleten. Ich fand die Handhabe sogar ganz gut.

Inwiefern war sie gut?

Karsch: Wenn das IOC vor acht Wochen etwas entschieden hätte, wären die Spiele womöglich in den Herbst verschoben worden, was nach heutigem Stand schon wieder unrealistisch erscheint. Es war richtig, so lange zu warten und mit mehr Wissen zu entscheiden.

Wie haben Sie die Kommunikation des IOC mit den Athletinnen und Athleten wahrgenommen?

Karsch: Zunächst war ich überhaupt nicht zufrieden, weil wir gar keine Infos erhielten. IOC-Präsident Thomas Bach wandte sich schließlich mit einer E-Mail an uns und es gab eine Telefonkonferenz des DOSB. Das war sehr informativ, man hatte nach diesem Gespräch viel Verständnis dafür, warum das so eine Hängepartie ist. Das war gut, aber überfällig. Andererseits ist die Kommunikation schwierig. Organisatorisch wird das eine riesige Herausforderung. Das nächste Jahr ist bereits voll mit Wettkämpfen, in allen Disziplinen. Dazu kommen infrastrukturelle Probleme. Die Wohnungen des Olympischen Dorfs sind ab Oktober verkauft. Da hängt unglaublich viel dran, deswegen hat die Entscheidung auch so lange gedauert. Die gute Nachricht ist, dass die Spiele nicht ausfallen, sondern verschoben werden.

Monika Karsch über die finanziellen Folgen der Verschiebung

Dennoch hat die Verschiebung teilweise drastische Folgen. Viele Olympia-Disziplinen, wie auch das Schießen, rücken nur alle vier Jahre in den Fokus. Welche finanziellen Probleme zieht die Verschiebung nach sich?

Karsch: Andere Athleten oder Teams, die hauptsächlich von Sponsoren abhängig sind, müssen natürlich jetzt ganz anders wirtschaften. Da fallen ja nicht nur Sponsorengelder, sondern auch Prämien weg. Davon bin ich glücklicherweise nicht so sehr betroffen.

Sie haben auch Sponsoren.

Karsch: Ich habe schon Sponsoren, aber leben könnte ich davon noch lange nicht. Meine Sponsoren helfen mir primär mit Wissen und Manpower. Das sind meine Munitionsfirma, mein Fitnessstudio, das RFZ, mein Physiotherapeut. Das sind meine wichtigsten Sponsoren. Finanzielle Unterstützung bekomme ich nur von wenigen Sponsoren. Damit steht oder fällt aber nichts. Was sonst kein großer Vorteil für mich ist, ist in der aktuellen Phase auch kein großer Nachteil.

Ihnen kommt zugute, dass Sie bei der Bundeswehr angestellt sind. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit im Detail?

Karsch: Das stimmt. Ich bin Soldatin. Nach zwei Monaten Grundausbildung wurde ich in die Sportfördergruppe aufgenommen. Die offizielle Version ist, dass man 30 Prozent militärischen Dienst macht und 70 Prozent für seine Sportart freigestellt ist.

Und die inoffizielle Version?

Karsch: Viel vom militärischen Dienst ist durch die Bundeswehr-Lehrgänge schon abgedeckt. Ansonsten kann man sich wirklich auf den Sport konzentrieren. Der Trainingsplan, den der Bundestrainer erstellt, ist gleichzeitig mein Dienstplan. Ich habe super Bedingungen und werde bezahlt wie jeder andere Soldat. Ein kleiner Haken daran ist, dass man nur Einjahresverträge für die Sportfördergruppe bekommt. Je nach Leistungsentwicklung oder Verletzungspech wird dann um ein Jahr verlängert oder nicht. Es wird nicht nach Fleiß, sondern Erfolg abgerechnet.

Monika Karsch: Erfolge bei Europameisterschaften

Wettbewerb Gold Silber Bronze EM Sportpistole Einzel 2 - 1 EM Sportpistole Team 2 1 - EM Standard Mixed 1 - - EM Luftpistole Einzel 1 2 - EM Luftpistole Team - 1 -

Monika Karsch über Vergleiche "mit dem Fußballgott"

Viele assoziieren mit der Bundeswehr in erster Linie eine Armee und Krieg. Wollten Sie schon immer zur Bundeswehr?

Karsch: Ich war zuvor Krankenschwester. Den Job mochte ich sehr, nur schafft man es nicht in den Spitzensport, wenn man im Schichtbetrieb 40 Stunden arbeiten muss. Würde man zehn Stunden arbeiten, ginge es vielleicht, nur kann man davon nicht leben. Deutschland fördert den Sport eben über die Bundeswehr. 45 Prozent der Medaillen in Rio wurden von Sportsoldaten gewonnen. Man kann von Spitzensportlern nicht erwarten, alles aus eigener Tasche zu bezahlen. Dann würde es keinen Spitzensport geben. Für meine Silbermedaille in Rio habe ich 15.000 Euro bekommen. Eine Olympische Medaille ist aber ein Lebenswerk. Das ist viel Geld, ja, aber lange kann man davon auch nicht leben.

Schnell schießen einem die Gehälter von Profifußballern in den Kopf.

Karsch: Wenn man sich ständig mit dem Fußballgott vergleicht, ist es schon traurig, aber damit muss man sich abfinden. Man muss diese Vergleiche auch gar nicht immer innerhalb des Sports ziehen. Wenn ich in einen beliebigen Beruf so viel Zeit und Liebe stecken, dem alles unterordnen würde, würde ich auch deutlich mehr Geld verdienen. Aber ich bin es nicht gewöhnt, auf großem Fuß zu leben. Das Finanzielle hat nie eine vordergründige Rolle gespielt, sondern der Spaß und das Können.

Schießen wird immer wieder belächelt und teilweise sogar als Sportart in Frage gestellt. Welche Reaktionen erleben Sie am häufigsten?

Karsch: Ich habe meine linke Hand immer in der Hosentasche. Das fällt den meisten immer als erstes auf. (lacht) Das sieht lässig aus. Aber die Hand in der Hosentasche dient einfach nur der Fixierung, sodass ich unnötige Bewegungen vermeide. Ich brauche mich als Athletin vor keiner anderen Sportart verstecken, aber ich kann eben nicht so tolle Bilder präsentieren.

Wie meinen Sie das?

Karsch: Da ist kein Blut, kein Schweiß, ich bin bei Interviews nach den Wettkämpfen nicht außer Atem. Den riesigen Aufwand dahinter sieht man nicht. Ich stehe ja "nur" da und muss die Waffe, die "nur" ein Kilo wiegt, hochheben.

Um den Mythos zu begraben: Wie sieht Ihre durchschnittliche Trainingswoche aus?

Karsch: Ich trainiere meistens sechs Tage die Woche, zwei- bis dreimal pro Tag. Die Schießeinheiten dauern bis zu vier Stunden. Vier Stunden lang volle Körperspannung und Konzentration. Danach braucht der Kopf zwei Stunden, sich für die zweite Session zu erholen. Dazwischen mache ich Krafttraining oder gehe laufen. Dazu kommen Regenerationseinheiten, Life Kinetik oder Mentaltraining. Sechs Stunden Training pro Tag sind völlig normal.

Worauf kommt es im Schießen aus athletischer Sicht an?

Karsch: Ich bin eine ziemlich schlechte Läuferin. (lacht) Aber für meinen Ruhepuls ist das unabdingbar. Wichtig sind eine gute Grundfitness, eine ausgeprägte Rumpfmuskulatur für die Stabilität und eine starke Schulterpartie. So habe ich einen guten Muskeltonus und muss nicht jede Bewegung aktiv ansteuern. Die Kraft darf kein limitierender Faktor sein. Die Waffe wiegt zwar nur ein Kilo, aber du musst sie eben 60-mal anheben - immer so feinkoordiniert wie beim ersten Schuss.

Luft- vs. Sportpistole: Die Disziplinen im Vergleich

Luftpistole Merkmal Sportpistole max. 1500 Gramm Gewicht max. 1400 Gramm min. 500 Gramm Abzugsgewicht min. 1000 Gramm 10 Meter Entfernung 25 Meter

Monika Karsch über Technik-Training und Taktik im Schießsport

Ihre Disziplinen sind die Luft- und die Sportpistole. Beide werden einhändig im Stehen abgefeuert. Was ist der Unterschied?

Karsch: Das Abzugsgewicht. Bei der Luftpistole muss man 500 Gramm drücken, um einen Schuss abzugeben, bei der Sportpistole sind es 1000 Gramm.

Müssen Sie den Zeigefinger dafür extra trainieren?

Karsch: Das nennt sich Abzugstraining, aber das ist reines Techniktraining. Bei der Luftpistole liegt das Abzugsgewicht bei 500 Gramm, bei der Sportpistole bei 1000. Wenn du die 1000 Gramm in einem Zug durchreißen würdest, würde sich die ganze Hand bewegen. Du nimmst also peu a peu etwas weg, sodass du am Ende nur noch 80 Gramm abziehen musst. Das muss man trainieren.

Sie schießen, seit Sie elf Jahre alt sind. Wie kann man sich auf Ihrem aktuellen Niveau technisch noch verbessern?

Karsch: Es gibt ein Technik-Leitbild im Sportschießen. Der technische Ablauf besteht aus 35 Punkten. Zum Beispiel, dass man zu Beginn zwei Atemzüge macht. Wenn man nur ein bisschen schneller atmet als sonst, wird man automatisch unruhiger. Es gibt verschiedene Messmethoden, mithilfe derer man eingeschlichene Fehler wieder ausmerzen kann. Aber das kann durchaus mehrere Monate dauern, das ist viel Detailarbeit.

Neben Athletik und Technik kommt es im Sportschießen auch zu großen Teilen auf taktisches Gespür an. Was bedeutet Taktik im Schießen?

Karsch: Es dauert manchmal, bis man in seinen Rhythmus kommt. Wenn du anfangs aber zu viel Zeit und Energie verbrauchst, um dich in den Wettkampf zu arbeiten, fehlt dir das am Ende des Wettkampfs. Es ist schwer den ganzen Wettkampf über Vollgas zu geben, ein Wettkampf dauert 40 bis 75 Minuten - je nach Disziplin. Daher muss man ihn phasenweise aufbauen. Taktik im Schießen bedeutet, auf verschiedene Probleme mehrere Reaktionen parat zu haben - mental sowie strategisch.

Wie kann ein solches Problem aussehen?

Karsch: Ich war eine ganze Weile lang abgelenkt von meinen Nachbarinnen am Schießstand, weil sie entweder emotional reagierten, hektisch oder laut waren. Das ist, als säße man im Büro und die Kollegin tippt vergleichsweise laut mit ihrer Tastatur. Wenn man sich darauf einlässt, ist man einfach nicht mehr bei sich. Die richtig guten Wettkämpfe sind die, in denen ein Problem auftritt, auf das du erfolgreich reagierst.

Monika Karsch über Tokio: "Eine Medaille bleibt das Ziel"

Sie werden im Dezember 38 Jahre alt. Welche Rolle spielt die Erfahrung im Schießen?

Karsch: Eine riesige Rolle. Du kannst dein Leistungsspektrum viel besser einschätzen, deine Trainingsintensität besser steuern, dich mental besser vorbereiten. Der Erfahrungsschatz steht über der Athletik. Solange es die Augen mitmachen und die Motivation da ist, kann ich auf hohem Niveau schießen.

Sie schießen mit Brillenglas, obwohl Sie für gewöhnlich keine Brille brauchen. Was hat es damit auf sich?

Karsch: Der durchschnittliche Ruheblick ist der auf etwa fünf Meter Entfernung. Kimme und Korn sind aber rund einen Meter entfernt. Also trickst man das Auge aus, indem man es mithilfe einer Brille um etwa 0,25 Dioptrien kurzsichtig macht. Dazu gibt es verschiedene Filter, mithilfe derer man auf Sonneneinstrahlung oder ähnliches reagieren kann. Meinen Augen geht es gut. (lacht)

Dann steht den Spielen in Tokio trotz der Verschiebung nichts im Weg. Inwiefern verändert sich jetzt dennoch Ihr Trainingszyklus?

Karsch: Es gibt noch keinen genauen Plan. Wir haben keine Energie dafür verschwendet, über ungelegte Eier nachzudenken. Wir haben jetzt erstmal Zeit, in den nächsten Wochen wird nichts passieren. Ich will die Pause nutzen, um die Akkus und die Motivation wieder aufzuladen. Ohne zeitnahes Ziel zu trainieren, ist einfach schwierig. Jetzt ist erstmal Familienzeit angesagt. Wir können uns auch um Dinge kümmern, die etwa im Haus oder im Garten zuletzt liegengeblieben sind. Dann wird man sehen, welche Wettkämpfe überhaupt noch stattfinden.

Verändern sich durch die Verschiebung die sportlichen Ziele?

Karsch: Eine Medaille bleibt das Ziel. Wichtig für mich ist, dass die Spiele nicht im Januar stattfinden. Das wäre ein ganz anderer und ungewohnter Saisonaufbau.

Tokio 2021? "Sportlich werden es bestimmt starke Spiele"

Hat die Verschiebung aus sportlicher Sicht auch positive Folgen?

Karsch: Ich habe noch eine offene Rechnung mit der Luftpistole. Mit der Sportpistole gehöre ich zur Weltspitze. Mit der Luftpistole kratze ich "nur" an den Top 15. Das Lustige ist ja, dass ich ursprünglich als Luftpistolen-Spezialistin zur Nationalmannschaft gekommen bin. In der Hinsicht kommt die Verschiebung sogar ein wenig gelegen, sodass ich über den Winter noch verstärkt daran arbeiten kann.

Diskuswerfer Robert Harting glaubt, dass die Qualität bei den Spielen in Tokio unter der Verschiebung leiden wird. Wie schätzen Sie das ein?

Karsch: Vielleicht leidet die Qualität der Spiele an sich darunter. Das Olympische Dorf, das ab Oktober schon verkauft ist, ist nur ein Thema. Aber generell verpufft jetzt natürlich Geld, das schon ausgegeben wurde. Wer weiß, ob finanziell nochmal aufgerüstet wird und die Spiele genauso prunkvoll werden wie geplant. Sportlich werden es aber bestimmt starke Spiele.

Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Karsch: Die, die ihr Karriereende nach Tokio geplant hatten, werden jetzt noch ein Jahr dranhängen. Dazu kommen junge Athleten. Die Masse an potenziellen Olympiateilnehmern ist größer und wird das Niveau hochhalten.

Haben Sie auch über ein mögliches Karriereende nach Tokio nachgedacht?

Karsch: Vom Alter her könnte ich aufhören, muss ich aber nicht. Es sind auf jeden Fall noch vier Jahre drin. Die Spiele in Paris 2024 sind schon noch ein Ziel. Das ist so nah, da könnten Freunde und Familie hinkommen. Das ist eine Motivation.