Bruce Bowen gehörte zu den unwahrscheinlichsten NBA-"Stars" seiner Zeit. Nachdem der Small Forward im Jahr 1993 nicht gedraftet wurde, verdingte er sich zunächst über mehrere Jahre in Frankreich und auch in der (damaligen) D-League, bevor er den Sprung in die NBA schaffte. Auch hier verlief jedoch nicht alles glimpflich: Bei seinem ersten Team, den Miami Heat, absolvierte Bowen im Alter von 26 Jahren auf einem 10-Tages-Vertrag sogar nur ein einziges Spiel.
Es folgten Stationen in Boston, Philadelphia und abermals Miami, bevor Bowen 2001 in San Antonio landete, wo sich sein Glück endgültig wendete. Unter Anleitung von Head Coach Gregg Popovich entwickelte Bowen sein Spiel weiter und wurde zum Prototyp eines 3-and-D-Spielers: Vorne beschränkte er sich auf Dreier, hinten war er einer der besten Verteidiger der gesamten Liga.
Acht Jahre in Folge wurde Bowen in eins der All-Defensive Teams gewählt, noch wichtiger dürften die drei Meisterschaften gewesen sein, die er an der Seite von Tim Duncan, Tony Parker und Co. gewinnen konnte. Bowen startete fünf Jahre in Folge in 82 Spielen und erarbeitete sich einen Ruf als elitärer Verteidiger, der allerdings auch stets am Rande der Legalität agierte.
Im September 2009 beendete Bowen seine Karriere, 2012 zogen die Spurs seine Nr.12 unter die Hallendecke. Seither arbeitete er unter anderem als Highschool-Coach in San Antonio sowie als TV-Analyst für Fox Sports West sowie als globaler Botschafter der NBA. In dieser Rolle trafen SPOX und DAZN den heute 48-Jährigen in Paris zum Gespräch.
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Mr. Bowen, da Sie zu Ihrer Zeit einer der besten Verteidiger der Liga waren, hätten wir gern ein paar Einschätzungen von Ihnen zu aktuellen Moves und Spielern. Beginnen wir mit dem Stepback-Dreier von beispielsweise James Harden oder Luka Doncic - wie würden Sie diese Bewegung verteidigen?
Bruce Bowen: Es ist natürlich leicht, jetzt zu sagen, dass ich es so und so gemacht hätte und dass das richtig gewesen wäre. Es sind ja doch einige Jahre vergangen, seitdem ich selbst auf diesem Level mitgespielt habe. Aber was ich grundsätzlich denke bei den heutigen Spielern, die so viele und besondere Skills haben: Man kann ihnen nicht eine Richtung geben und denken, sie wären dort weniger effektiv. Wenn beispielsweise jemand Harden die rechte Hand anbietet oder Luka die linke Hand ... sie sind darauf vorbereitet. Ich glaube, es geht darum, frontal zu verteidigen, ihnen zu zeigen, dass sie nur schwer an dir vorbeikommen werden. Wenn man ihnen von Anfang an einen kleinen Nachteil anbietet, dann macht es das nur schwerer. Das würde ich nicht machen, denn es ist schwer genug. Ich würde versuchen, vor ihnen zu bleiben und wachsam zu sein, wann der Stepback kommt, ob nach links oder nach rechts.
Wie sähe Ihr Ansatz gegen Giannis Antetokounmpo aus? Werfen lassen und hoffen, dass er verfehlt?
Bowen: Nein, man lässt ihn nicht einfach werfen, auch weiter draußen muss er sich unwohl fühlen. Giannis muss man über mehrere Ballbesitze verteidigen, immer dran bleiben. Viele der großartigen Spieler haben Konter-Bewegungen, er gehört auch dazu. Wenn er seinen Spin-Move anbringt, endet da nicht die defensive Possession, sondern man muss mitgehen und wissen, wie sein zweiter und dritter Move aussehen wird. Er ist so lang und hat eine solche Energie, dass man nur eine Chance hat, wenn man da mitzieht. Und dann versucht man natürlich, rund um die Zone eine Mauer aufzubauen, damit er nicht durchkommt, weil das seine größte Stärke ist. Aber wie gesagt, auch draußen muss er den Verteidiger spüren.
Bruce Bowen im Karriere-Interview: "Dirk hat diesen Kampf angenommen"
Grundsätzlich scheint es etwas schwerer zu werden, effektiv zu verteidigen, zumindest trendet das Scoring ligaweit nach oben. Gefällt Ihnen dieser schnelle Stil mit vielen Punkten?
Bowen: Mir gefällt das schnelle Tempo sehr gut. Aber ich denke, dass so viel Fokus auf die Offensive gerichtet wird, dass einige Teams die Defensive vernachlässigen. Nicht alle natürlich; es gibt sehr gute Defensiv-Teams in der NBA, weil diese Teams verstehen, dass man keinen Titel gewinnt, wenn man nur punkten kann. In den Playoffs funktioniert es nicht, wenn du einfach nur versuchst, immer irgendwie mehr Punkte aufzulegen, aber nicht verteidigen kannst - das war schon immer so und ist auch heute noch so. Deswegen denke ich, dass manche Teams ihren Fokus stärker auf die Defensive richten sollten. Man muss dort Prinzipien lehren und das braucht Zeit, deswegen braucht es dabei auch Geduld und das Verständnis, dass es wichtig ist, diese Arbeit zu investieren.
Wie würden Sie sich in der heutigen Liga schlagen? Sie waren damals sehr physisch unterwegs, das wäre heute wohl schwierig ...
Bowen (unterbricht): Aber es wäre nicht zu schwierig. Es ist nie zu schwierig. Wenn man über die besten Athleten spricht, dann zeichnet sie fast alle aus, dass sie sich anpassen können. Es gibt fast jedes Jahr größere Anpassungen, die man in diesem Spiel machen muss. Das ist Pflicht: Wenn du dich nicht anpassen kannst, schaffst du es nicht in der NBA. Das war mir aber immer klar. Deswegen denke ich auch, dass ich heute gut zurechtkommen würde. Man passt sich den anderen Umständen und Regeln an und braucht dafür vielleicht eine gewisse Zeit, aber dann kann man weitermachen.
Wer ist Ihrer Meinung nach derzeit der beste Flügelverteidiger der Liga?
Bowen: Schwer zu sagen, wer momentan der Beste ist. Ich mag auf dem Flügel immer noch vor allem die Spieler, die sehr aggressiv draufgehen. Kawhi Leonard zum Beispiel, der mit zwei Defensive Player of the Year-Awards logischerweise zu den besten gehört. Aber grundsätzlich Spieler, die mit viel Energie verteidigen. Avery Bradley ist zum Beispiel auch jemand, dem ich gerne zusehe. Das sind Spieler, die verstehen, dass sie die Energie des Offensivspielers ebenfalls aufbringen müssen, und die damit einen Unterschied für den Ausgang des Spiels darstellen können.
Wenn es heute einen Spieler gibt, gegen den Sie unbedingt mal antreten wollen würden - wer wäre das?
Bowen: Doncic. Ich liebe seine Spielgeschwindigkeit. Er denkt, während er spielt, und er ist intelligent genug, diese Kombination zu meistern. Wenn man solche Spieler sieht, dann erkennt man diese Herausforderung und denkt darüber nach, wie man einen Einfluss ausüben kann, indem man ihnen bestimmte Dinge, bestimmte Fähigkeiten wegnimmt. Das ist umso schwieriger bei Spielern, die so klug sind wie er. Das hätte mich sehr gereizt.
Die Stationen von Bruce Bowen in der NBA
Zeitraum Team Spiele Punkte FG% 3FG% Steals Miami Heat 1996-1997 1 0 0 0 0 Boston Celtics 1997-1999 91 4,5 37,9 31,8 1,2 Philadelphia 76ers 1999 42 1,4 35,6 50,0 0,2 Miami Heat 1999-2001 109 6,9 36,6 35,5 0,9 San Antonio Spurs 2001-2009 630 6,4 42,1 40,5 0,8