SPOX und Goal haben mit Mukhtar über seinen ungewöhnlichen Werdegang, große Träume und die positiven Effekte im Ausland gesprochen.

Herr Mukhtar, wie ist das Leben in Nashville, Tennessee, in Zeiten der Corona-Pandemie?

Hany Mukhtar: Es geht. Noch haben wir keine komplette Ausgangssperre. Einkäufe dürfen gemacht werden, aber sich ohne Grund im Freien aufzuhalten, ist nicht mehr so einfach erlaubt. Seit Mitte März trainieren wir auch nicht mehr. Das ist hart.

Mit wem verbringen Sie die Zeit zu Hause?

Mukhtar: Meine Eltern waren bis zu meinem Geburtstag am 21. März bei mir. Ansonsten lebe ich in meinem Appartement in Nashville Downtown allein. Das ist aber auch nicht schlimm, das war in Lissabon und Kopenhagen auch so. Eigentlich wollten mich jetzt Freunde besuchen kommen, aber das fällt leider aus. Ich jammere deswegen nicht, weil es momentan in dieser Zeit einfach wichtigere Dinge gibt, als Freunde zu treffen.

Wie sieht der Alltag dann aus?

Mukhtar: Ich trainiere jeden Tag auf dem Fitnessrad, absolviere dazu Krafttraining. Bis vor kurzem war ich auch noch täglich draußen joggen. Aber jetzt ist es ratsam, weitestgehend zuhause zu bleiben. Dort spiele ich sehr gern Playstation. Wegen der Zeitverschiebung ist es normalerweise schwieriger, mit Freunden und Kollegen in Deutschland online zu daddeln. Aber da viele ebenfalls ans Homeoffice gebunden sind, stehen die schon mal in der Nacht auf und wir zocken dann zum Beispiel Fifa.

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Mukhtar: "Zwei meiner Teamkollegen haben ihre Wohnung verloren"

Was war das erste Aha-Erlebnis in Nashville?

Mukhtar: Das Wetter hat mich überrascht. Es gibt hier häufiger Naturkatastrophen. Vor zwei Wochen wütete ein Tornado und zwei meiner Teamkollegen haben ihre Wohnung verloren. Zu dieser Jahreszeit ist das wohl normal. Ich habe mir dann gleich eine Warn-App heruntergeladen. Die hat letztens wie wild geblinkt und getönt, obwohl es auf lautlos gestellt war. Ich habe dann gleich einen Mitspieler angerufen und der hat Entwarnung gegeben: Der Tornado war fünf Kilometer von uns entfernt.

Wie war das bei den anderen Stationen im Ausland?

Mukhtar: In Lissabon herrscht eine ganz besondere Lebensqualität. Es ist total angenehm, wenn man nach einem anstrengenden Training noch an den Strand fahren kann, ohne dafür stundenlang im Auto zu sitzen oder in der Sonne am Pool zu liegen. Da wird Julian Weigl gerade eine sehr schöne Zeit haben. Salzburg war ein krasser Gegensatz. Eine kleine, aber sehr schöne Stadt und drumherum die Berge und Wälder. Gerade im Winter spektakulär. In Kopenhagen ist mir die Offenheit, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft der Dänen am meisten in Erinnerung geblieben. Alle sind interessiert und es wirkt alles sehr harmonisch in dieser Stadt. Aber egal wo: Am Ende ist man nur aus einem Grund da und wenn es sportlich nicht läuft, ist man immer unzufrieden.

Nashville hat Sie als Designated Player verpflichtet. Davon darf jedes Team nur drei im Kader haben, weil sie mehr verdienen dürfen, als das Salary Cap vorsieht. Ist das Druck?

Mukhtar: Nein, für mich ist das eine Ehre, dass ich der erste Designated Player der Vereinsgeschichte bin. Das Projekt hat mich total überzeugt. Hier soll etwas Großes entstehen und im ersten Heimspiel hat man mit 60.000 Zuschauern gesehen, dass MLS-Fußball in Nashville angenommen wird. Leider war unser Start mit zwei Niederlagen nicht so toll, obwohl wir eigentlich beide Partien dominiert haben.

Bundesliga-Rückkehr? Mukhtar will auf der Zehn spielen

Offiziell gehören Sie zu den Stars der MLS. Tritt man da selbstbewusster in der Kabine auf?

Mukhtar: (lacht) So ist es nicht. Aber es ist etwas anderes, ob man als 18-jähriger Perspektivspieler ohne viele Einsätze von Hertha BSC zu Benfica Lissabon in die Kabine kommt, oder als Stammspieler und Spielmacher mit viel Erfahrung von Bröndby Kopenhagen in ein ambitioniertes Team wie hier in Nashville. Insgesamt war die Eingewöhnung eh einfach, da alle im Team neu sind und die Situation für jeden gleich.

Wurden Sie von den Teamkollegen schon auf Ihren EM-Titel mit der deutschen U-19-Nationalmannschaft 2014 angesprochen, als Sie im Finale das entscheidende Tor gegen Portugal geschossen habe?

Mukhtar: Nein, das ist im Ausland überhaupt kein Thema. Das hat mich weder in Kopenhagen noch in Lissabon jemand gefragt. Um ehrlich zu sein, ist das immer nur Thema bei deutschen Journalisten. (lacht)

Immerhin haben Sie mit Stars wie Joshua Kimmich, Julian Brandt oder Niklas Stark im Team gestanden, die im Gegensatz zu Ihnen in der Bundesliga für Furore sorgen.

Mukhtar: Das stimmt, aber mein Karriereweg verläuft nun mal ein bisschen anders. In Berlin werde ich oft gefragt, warum ich damals nicht bei Hertha geblieben bin, weil nach meinem Abgang wenig später Pal Dardai kam, der auf viele Talente gesetzt hat. Aber daran denke ich nicht. Ich verdiene mit meinem Hobby Geld und darf so viele schöne Länder erleben. Wer kann das schon von sich behaupten? Ich bin total zufrieden und glücklich mit meiner Karriere.

Sollen denn noch ein paar mehr Bundesliga-Einsätze als die zehn aus der Saison 2013/14 dazukommen?

Mukhtar: Das weiß ich jetzt noch nicht. Aber in der Bundesliga wird eigentlich nicht mehr mit dem klassischen Zehner gespielt. Da spielen dann zwei offensive Achter. Von daher gäbe es für mich aktuell nicht so viele Optionen.

Beobachten Sie noch, was bei Hertha alles passiert, wie zuletzt die Posse um das Tagebuch und den Abgang von Jürgen Klinsmann?

Mukhtar: Ganz ehrlich: Ich habe von der Sache fast nichts mitbekommen. Aber insgesamt ist das sehr schade. Denn im Winter habe ich mich noch über die vielen Neuzugänge gefreut. Bei den großen Namen wäre es schön, wenn es mal wieder mit dem internationalen Fußball klappen würde. Das hätte eine Stadt wie Berlin verdient.

Was würden Sie jungen Spielern mit Ihrem Wissen von heute mit auf den Weg geben?

Mukhtar: Die jungen Spieler müssen lernen, sich durchzubeißen und sich nicht nur auf das Talent verlassen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und nur das zählt am Ende, wenn man sich durchsetzen will. Dazu gehört es auch, im Training immer etwas mehr zu machen, als andere. Das ist harte Arbeit.

Was hat bei Ihnen den Ausschlag für eine Wende zum Guten gegeben?

Mukhtar: In Kopenhagen war Rodolph Austin mein Nachbar. Ein erfahrener, jamaikanischer Nationalspieler, der zuvor bei Leeds United ein Star war. Wir haben fast jeden Abend zusammen gegessen und uns unterhalten. Er meinte: ‚Hany, wenn Du selbst nicht an Dich glaubst, dann wird niemand auf der Welt an Dich glauben.' Das hat mich berührt und fortan geprägt. Nur mit dieser Einstellung kommt man im Fußballgeschäft weiter. Nur wenn man seinen eigenen Stärken vertraut, vertraut auch ein Trainer darauf.

Haben Sie deshalb den Hashtag #teamdreambig in Ihrem Instagram-Profil?

Mukhtar: Ja, das #teamdreambig habe ich mir dazu ausgedacht. Und der größte Traum, den man verwirklichen kann, ist erst einmal immer der nächste. Ich versuche jeden Tag, in meiner Entwicklung einen großen Schritt vorwärts zu machen.

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Auf Instagram nennen Sie sich auch Prince. Warum?

Mukhtar: Als Berliner Junge bei der Hertha habe ich zu Kevin-Prince Boateng aufgeschaut. Seine Karriere ist faszinierend. Dann haben mich in der Jugend viele Prince gerufen. Es wurde so eine Art Kosename. Ich habe das damals auf Facebook in meinem Profil benutzt und bei Instagram weiter übernommen.

Hatten Sie sonst noch Vorbilder?

Mukhtar: Als kleiner Junge haben mich immer die Stars fasziniert, die etwas Besonderes mit dem Ball konnten. So wie Ronaldinho und Zinedine Zidane. Denen habe ich sehr gerne zugeschaut.

Mukhtar erzählt witzige Tattoo-Anekdote

Und mit wem haben Sie am liebsten zusammengespielt?

Mukhtar: Jonas von Benfica Lissabon. Wenn ich über ihn rede, bekomme ich gleich wieder Gänsehaut. Er war nicht der schnellste oder dribbelstärkste oder dynamischste Spieler. Aber bei ihm wusste man nie, was mit seinem feinen Fuß als Nächstes kommt, womit er einen überrascht. Es machte einfach immer Spaß, ihm beim Spielen zuzuschauen.

Haben Sie auch einen Gegenspieler, der Sie beeindruckt hat?

Mukhtar: Philipp Lahm hat mich total beeindruckt. Ich habe zwar nur zwei Mal kurz gegen ihn gespielt. Er hatte zuvor Jahre lang als rechter Verteidiger gespielt. Dann kommt Pep Guardiola zum FC Bayern, setzt ihn im defensiven Mittelfeld ein und Lahm tritt da so auf, als hätte er nie auf einer anderen Position gespielt. Dass er auch eher klein und wendig war, so wie ich, hat mir auch gefallen. Insgesamt macht es mehr Sinn, sich von Spielern mit ähnlicher Statur etwas abzuschauen.

Welches Erlebnis war nach dem EM-Titel das schönste Ihrer Karriere?

Mukhtar: Das war eine kuriose Aktion eines Fans nach meinem Siegtreffer in der Schlussminute im Derby 2018 gegen den FC Kopenhagen. Der hat sich doch glatt meinen Torjubel auf die rechte Brust tätowieren lassen. Ich habe ihn angeschrieben und getroffen und ihm ein signiertes Trikot sowie meine Fußballschuhe geschenkt.

Hany Mukhtar: "Der Umgang mit den Medien war ein kleiner Schock"

Was erwarten Sie sich nun von der Zeit in Nashville?

Mukhtar: Ich bin nicht nach Nashville gewechselt, um Urlaub zu machen und nur ein wenig zu kicken. Dream big - ich will mit Nashville eine Ära für den Verein prägen. Spielerisch finde ich das Niveau in der MLS übrigens sehr gut, vor allem offensiv. Es sind ein paar mehr Räume da, das kommt mir zugute. Und wenn man sich mal die Tore an jedem Spieltag anschaut, sind gefühlt neun von zehn Traumtore. Das ist der Wahnsinn.

Was ist in der MLS noch anders als in den anderen Ligen?

Mukhtar: Der Umgang mit den Medien war ein kleiner Schock. Wir sind keine fünf Minuten in der Kabine und auf einmal wird eine Horde Journalisten reingelassen. Einige Spieler standen nur in Unterhose rum. Aber die waren das ja teilweise schon alle gewohnt. So läuft das in den USA. Ich dusche jetzt extra immer ein bisschen länger. Ich werde von unserer Medienabteilung auch noch ein wenig geschützt. Unser Kapitän Dax McCarty übernimmt den Hauptpart meist.