"Und der Tag wird kommen, an dem wir alle unsere Gläser heben, durch die Decke schweben, mit nem Toast den hochleben lassen, auf den Ersten, der es packt, den Mutigsten von allen", singt Marcus Wiebusch, Sänger der Hamburger Indie-Rock-Band Kettcar, in seinem epochalen "Der Tag wird kommen", der das Schwulsein als Profifußballer thematisiert und die damit verbundenen Schwierigkeiten umreißt. Die ehrenwerte Hoffnung, der Appell: Es sollte in der heutigen, in der aufgeklärten Gesellschaft keine Rolle spielen, ob ein Fußballspieler homo- oder heterosexuell ist.
- FA-Boss rät schwulen Fußballern von Outing ab
- Die größten Premier-League-Skandale: Porno, Koks und Kung-Fu-Fighting
Und dennoch hat sich in Deutschland noch kein aktiver Profi geoutet, der prominenteste seiner Zunft, der seine Homosexualität öffentlich machte, Thomas Hitzlsperger, tat dies nach seiner Karriere. Doch warum ist es immer noch tabu - gerade im Fußball -, dazu zu stehen? "Außenminister, Popstars, Rugbyspieler zeigen doch, dass es geht", weiß Wiebusch. Den ersten, den besungenen "Mutigsten von allen" gab es bereits vor 27 Jahren in England: Justin Fashanus Coming-out und die daraus resultierenden Konsequenzen dienen seit jeher leider eher als abschreckende Präzedenz.
Tod in der Garage und Abschiedsbrief
Ein Hinterhof im Londoner East End, dunkelrotes Backsteingemäuer stemmt sich hoffnungslos gegen das Unkraut, das den alten Mörtel bewuchert. Eine wuchtige gelbe Stahltür, der Rost blüht, darüber ein Erker mit dünnen Fensterscheiben, die hellblaue Farbe blättert ab. Ein unscheinbares Fleckchen Erde im industriell geprägten Stadtteil Shoreditch.
Am 3. Mai 1998 findet die Polizei im Inneren des Gebäudes, hinter der gelbgestrichenen Stahltüre, Fashanus Leiche. Der Ex-Profi hängt, mit einem Elektrokabel um den Hals, an einem Holzbalken. Selbstmord. Unweit des Fundortes hatte sich der Sohn nigerianischer Eltern noch Stunden zuvor gut gelaunt, wie damals befragte Zeugen beteuern, im Gay-Club "Chariots" gezeigt.
Monate nach Fashanus Tod wird ein Abschiedsbrief gefunden:
" Wenn irgendjemand diese Notiz findet, bin ich hoffentlich nicht mehr da. Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart. Ich will sagen, dass ich den Jungen nicht vergewaltigt habe. Er hatte bereitwillig Sex mit mir, doch am nächsten Tag verlangte er Geld. Als ich nein sagte, sagte er: 'Warte nur ab!' Wenn das so ist, höre ich Euch sagen, warum bin ich dann weggerannt? Nun, nicht immer ist die Justiz gerecht. Ich fühlte, dass ich wegen meiner Homosexualität kein faires Verfahren bekommen würde. Ihr wisst, wie das ist, wenn man in Panik gerät. Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben. Ich hoffe, der Jesus, den ich liebe, heißt mich willkommen. Ich werde zumindest Frieden finden. "
© getty
Vorwurf der Vergewaltigung und Scotland Yard
Mit dem "Jungen", auf den sich Fashanu bezieht, ist der damals 17-jährige Donald H. gemeint, den Justin während seiner Zeit als Trainer bei Maryland Mania in den USA kennenlernt. Fashanu streut das Gerücht, er sei der Besitzer des Vereins, genießt die Bewunderung, die ihm entgegenschlägt. So auch die Reverenz Donalds, der nach einer alkohol- und marihuanageschwängerten, exzessiven Party in Fashanus Haus aber behauptet, der Ex-Profi habe sich an ihm vergriffen. Zwei Tage nach dem angeblichen Vorfall wird Fashanu von der Polizei überrascht, die Beamten fragen den verdutzten Engländer, ob er schwul sei und ob er Sex mit dem Teenager gehabt hätte. Fashanu verneint und wird aus Mangel an Beweisen nicht in Gewahrsam genommen.
Allerdings hat die Presse Wind von den Vorwürfen bekommen, die Donald medienwirksam gegen Fashanu erhebt. Immer wieder streuen die Gazetten, dass per internationalem Haftbefehl nach dem einstigen Wunderknaben gefahndet werde, sogar Scotland Yard sich an der Suche beteilige. Aus Angst vor den Behörden türmt Fashanu zurück nach England, nimmt kurzerhand den Mädchennamen seiner Mutter "Lawrence" an - und fasst nur wenige Tage später den Entschluss, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Kurz nach dem Suizid stellt sich heraus, dass es sich bei den unzähligen Berichten über eine angeblich globale Ermittlung gegen Fashanu um Falschmeldungen handelt, der Fall von den amerikanischen Behörden längst zu den Akten gelegt worden war.
Das Ende eines tragischen Lebens, das so verheißungsvoll begonnen hatte: Im Alter von 19 Jahren sorgt der Youngster in Diensten von Norwich City auf der Insel für mächtig Furore, als er gegen den FC Liverpool einen Pass seines Mitspielers mit dem rechten Außenrist technisch anspruchsvoll annimmt, sich um einen Kontrahenten herumwindet und die Kugel mit einem herrlichen Linksschuss im Eck versenkt.
© getty
Tor der Saison 1979/80
Auf einen ausufernden Jubel verzichtet der Mann mit der Nummer neun, dreht sich herum, ohne eine Miene zu verziehen und streckt den Zeigefinger gen Himmel. Ganz so, als sei es das Normalste der Welt. Eine Szene, die Fashanu quasi von einer Sekunde auf die andere zum gefragten Superstar avancieren lässt. Der kunstvolle Treffer wird von der britischen Sendung "Match of the Day" zum Tor der Saison 1979/80 gewählt.
Im Anschluss wechselt Fashanu zum Europapokalsieger Nottingham Forest, der mehr als eine Million Pfund an die Canaries überweist. Ein Novum zu ebenjener Zeit, noch nie hatte zuvor ein Verein aus England eine derart stattliche Summe für einen schwarzen Fußballer ausgegeben. Der Mittelstürmer sonnt sich im medialen Licht, gibt zahlreiche Interviews, lässt sich für Modemagazine ablichten und gibt an, "in zwei Jahren berühmt sein und sehr, sehr viel Geld haben" zu wollen.
Schnelle, teure Autos, kostspielige Klamotten und Luxusrestaurants nehmen fortan einen beträchtlichen Teil in Fashanus Leben ein, wobei die Formkurve aus sportlicher Sicht nach unten zeigt. Für Forest erzielt der Neuzugang während seiner ersten Saison in 35 Spielen lediglich drei magere Treffer, glänzt mehr neben als auf dem Fußballplatz. Sein Trainer zu diesem Zeitpunkt, der gemeinhin als jähzornig geltende Brian Clough, tobt an der Seitenlinie, wenn Fashanu abermals einen Ball verliert.
Trainer beleidigt Fashanu als "Schwuchtel"
Noch wütender wird der Coach allerdings, als er davon erfährt, dass Fashanu offenbar in den einschlägigen Schwulen-Bars der Stadt verkehrt. In der Kabine beschimpft Clough seinen Schützling daraufhin als "Schwuchtel" und wirft ihn aus dem Kader. Doch der Angreifer will sich nicht mit der Suspendierung abfinden, taucht trotzdem beim nächsten Training auf. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, weil Mitspieler und Trainer Fashanu des Feldes verweisen wollen, Clough dieses Vorhaben sogar mit Tritten forciert haben soll. Weil sich Fashanu dennoch stur zeigt und mittrainieren will, wird die Polizei gerufen, die den Ausgebooteten letztlich vom Vereinsgelände führt.
Erst viele Jahre später, in seiner 2002 erschienenen Biografie "Walking on Water", gibt sich Clough reumütig, gibt sogar zu Protokoll, mitverantwortlich für den Freitod seines ehemaligen Spielers zu sein. Er schreibt: "Ich war für ihn verantwortlich, denn er fiel in meinen Zuständigkeitsbereich als Trainer, aber ich habe ihm nicht geholfen."
Fashanu allerdings findet seit dem Vorfall nicht mehr in die Spur, 1983 setzt ihn eine schwerwiegende Knieverletzung außer Gefecht, die damit verbundenen Kosten für Operation und Reha sind immens. Versuchte Comebacks bei unterklassigen Vereinen in den USA und Kanada tragen nicht die erhofften Früchte, zwischenzeitlich eröffnet der früher hochgelobte Emporkömmling eine Schwulen-Bar in Los Angeles. Später überredet ihn ein Freund, der protestantischen Fundamentalistengruppe "Born-again Christians" beizutreten, die Homosexualität kategorisch ablehnen.
Indoktriniert vom reaktionären Weltbild der Gemeinschaft, bewegt sich Fashanu weiterhin in der Schwulenszene, mit dem Unterschied, dies nicht mehr fröhlich, frei und unbedacht tun zu können, fühlt er sich aufgrund seiner neuentdeckten Nähe zu Jesus und dessen angeblicher Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen doch schuldig. In der Annahme, schwere Sünde zu begehen, zerreißt es Fashanu innerlich. Dann fasst er einen folgenschweren Entschluss.
© getty
Fashanus Outing für 80.000 Pfund
Am 22. Oktober 1990 wird ganz England in Aufruhr versetzt, als Fashanus Foto völlig aus dem Nichts auf der Boulevardzeitung The Sun zu sehen ist, daneben prangen fettgedruckte Buchstaben, die die Schlagzeile "Eine Million teurer Fußballstar: ‚Ich bin schwul!'" ergeben. "Ich dachte, wenn ich mich in der schlimmsten Zeitung oute und dann stark bleibe, gäbe es nichts mehr, was noch zu sagen wäre", begründet der mittlerweile 29-Jährige seinen Schritt, zu dem er sich eigenen Angaben zufolge nur wenige Tage vorher entschlossen habe, weil sich ein guter Freund umgebracht hatte, der aufgrund seiner Homosexualität von der eigenen Familie verstoßen worden war. Nebenbei streicht Fashanu dafür, dass er der Sun die Exklusiv-Rechte an der Story liefert, satte 80.000 Pfund ein.
Bei seinem Bruder John, jener Tage aufstrebender Profi beim FC Wimbledon, stößt das Coming-out auf wenig Zustimmung. Vielmehr versucht er, Justin das Bestreben, sich öffentlich, in der auflagenstärksten Zeitung des Landes zu "bekennen", auszureden, bietet ihm sogar das gleiche Geld wie die Sun an, wenn er darauf verzichtet. Im Interview mit The Voice schießt John anschließend gegen Justin: "Mein schwuler Bruder ist ein Ausgestoßener".
Dass es nachfolgend wider Erwarten doch noch einiges zu sagen geben würde, ahnt Justin offenbar nicht. Von Regenbogenpresse bis hin zu den seriösen Medien reißen sie sich um den ersten geouteten Fußballprofi, reichen Fashanu herum, der bereitwillig Auskunft über Sex mit Popstars, Politikern, Schauspielern und Mannschaftskameraden gibt, sich in seiner Rolle offenkundig gefällt.
Lügen für leichtes Geld
"25 Prozent meiner Fußball-Kollegen sind schwul" oder "Im Fußball ist einer AIDS-Infektion Tür und Tor geöffnet", erzählt er. Justins Redseligkeit kommt nicht überall gut an, eher wird er im Königreich für sein Getratsche kritisiert. Dass er es bei seinen spektakulären Geschichten nicht immer mit der Wahrheit hält, kommt 1994 raus. Fashanu gibt zu, den englischen Abgeordneten Stephen Milligan, mit dem er ein vermeintliches Verhältnis habe, gar nicht zu kennen: "Ich habe gelogen, um an leichtes Geld zu kommen."
Frei nach dem Motto "wer einmal lügt, dem glaubt man nie mehr", kühlt das Medien-Interesse an Fashanu, der sich langsam wieder seinem eigentlichen Beruf widmen will, ab. Er heuert bei Trelleborgs FF in Schweden an, wechselt nur einen Monat später zum schottischen Erstligisten Hearts of Midlothian, wo er nach einem halben Jahr entlassen wird, weil Fashanu "dem Verhalten eines professionellen Fußballers nicht würdig" gewesen sei, heißt es vonseiten der Nachrichtenagenturen. Der Verein erklärt indes, Fashanu sei zwei Tage in Folge unentschuldigt dem Training ferngeblieben.
Dann das Wagnis in den USA, zunächst als Spieler bei Atlanta Ruckus, ab 1998 eben als Coach bei den bereits erwähnten Maryland Mania, wo er mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert in die Heimat flüchtet und leblos in der Garage am Fairchild Place aufgefunden wird.
© getty
Der Fußball als rückständiges Phänomen
Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich selbst als Vorreiter sah, als Kämpfer betrachtete, die konservativen Strukturen einer verstaubten Gesellschaft zu erschüttern. Fashanu wollte aufrütteln, andere dazu animieren, es ihm gleichzutun. Nur nahm er bei seinem ehrsamen Unterfangen immer wieder falsche Abzweigungen, Wege, die in Lügen und fragwürdiger Selbstinszenierung endeten.
Über 27 Jahre nachdem einer, der bis heute Mutigste von allen, nicht länger mit der Bürde des Versteckspielens leben wollte, hat die Toleranz in allen Teilen von Gesellschaft und Kultur Einzug erhalten. Doch bildet der Fußball als "Sport für echte Männer" noch eine der wenigen Enklaven, wo Homosexualität traurigerweise totgeschwiegen wird. Und so wird sich der ein oder andere aktive schwule Fußballer, der nach wie vor einen Mantel des Schweigens über seine Sexualität legt, denken: "Du weißt nicht, wie das ist, wenn man immer eine Maske trägt, immer aufpassen muss, wer man ist, wie man lebt. Aber ja, es wird besser und der Tag ist in Sicht. Einer wird es schaffen, aber ich bin es nicht."