Dieser Artikel erschien erstmals am 5. März 2020.

Ein Diego Armando Maradona sitzt natürlich nicht auf einer gewöhnlichen Trainerbank, er sitzt auf einem Thron. Weiße Lehne versehen mit seinen Initialen und dem Logo seines Arbeitgebers Gimnasia La Plata. Die Hände abgestützt auf den gepolsterten Armlehnen in blau und den Blick starr nach vorne gerichtet. Gerichtet auf das trostlose Spektakel, das sich auf dem grünen Rasen bietet.

Mitte Januar, Gimnasia bestreitet gerade sein zwölftes Ligaspiel unter Trainer Maradona. Velez Sarsfield aus dem rund 60 Kilometer nordwestlich gelegenen Buenos Aires ist zu Gast und kämpft zu diesem Zeitpunkt noch um den Titel, Gimnasia wie meist seit dem Wiederaufstieg in die Superliga 2013 gegen den Abstieg. Und das scheint beide Mannschaften zu hemmen. Torchancen oder wenigstens Strafraumszenen gibt es kaum, dafür umso mehr Fouls.

Aber geht es bei Gimnasia wirklich noch darum, was auf dem Platz passiert? Eher nicht. Bei Gimnasia dreht sich alles um den Mann auf dem Thron, um Diego Armando Maradona. Den Nationalheiligen, der die argentinische Nationalmannschaft 1986 zu ihrem zweiten Weltmeistertitel geführt hatte.

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Maradona und Gimnasia: Relikte der Vergangenheit

Nachdem Maradona seinen Trainerposten beim mexikanischen Zweitligisten Dorados de Sinaloa nach einjähriger Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen abgegeben hatte, wurde er Anfang September vergangenen Jahres überraschend neuer Trainer von Gimnasia. "Ich fühle mich wie im Himmel", sagte er bei seiner Vorstellung.

Kein Wunder, wurde Maradona auch nicht wie ein irdischer Trainer empfangen, sondern wie ein göttlicher Messias. Tausende Menschen kamen zu seiner Vorstellung, es gab eine Pyroshow und gigantische Luftkissen-Installationen mit seinem Trikot. Während ihn die Fans besangen humpelte Maradona über den Platz, noch immer angeschlagen von einer Knie-Operation.

Maradona wirkte wie ein Relikt aus der Vergangenheit und passt damit ideal zu seinem neuen Verein. Gimnasia war mal wichtig, ganz früher sogar am wichtigsten. 1887 gegründet gilt der Klub als der älteste Amerikas. Zunächst wurde aber nicht Fußball gespielt, Fechten (Esgrima) und Turnen (Gimnasia) standen auf dem Programm. Daher der vollständige Vereinsname: Club de Gimnasia y Esgrima La Plata. Bald aber mischte Gimnasia auch im Fußball mit. Seine größte Zeit erlebte der Klub unter Präsident Juan Carmelo Zerillo, 1929 holte er seinen ersten und einzigen Meistertitel.

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Das durchsichtige Stadion im Wald

Zu dieser Zeit wurde auch das bis heute bespielte Stadion errichtet, das mittlerweile Zerillos Namen trägt. Es steht nur wenige hundert Meter entfernt von der topmodernen Arena des deutlich erfolgreicheren Lokalrivalen Estudiantes de La Plata und bietet ein nostalgisches Kontrastprogramm.

Die kleine Haupt- und Gegentribüne mit Sitzschalen werden begrenzt von zwei riesigen unverkleideten Stehplatz-Stahlrohrtribünen, die sich von den Kurven bis weit hinein in die Längsseiten ziehen. Wer dahinter steht, kann zwischen den ansteigenden Reihen durchschauen. Man sieht die Füße der Fans, außer wenn sie hüpfen. Dann verschwinden sie immer wieder kurz, um zurückzukehren und wieder zu verschwinden.

El Bosque, der Wald, wird das rund 24.500 Fans fassende Stadion gerufen, weil es sich mitten in einem bewaldeten Park befindet. Vor dem Spiel gegen Velez herrscht hier ein reges Treiben. Ein heißer Sommertag neigt sich seinem Ende zu, allerorts duftet es nach Grillfleisch. Choripan wird verspeist, eine in Argentinien beliebte Bratwurst, umschlossen von Brot, garniert mit Salat, Gemüse und Saucen.

Den Hunger nach Maradona-Verehrung stillen die Fans mit entsprechenden Trikots, die Nummer zehn ist auf ihren Rücken omnipräsent - genau wie auf den Wänden rund um das Stadion in Form von Graffitis. Für die Spieler interessiert sich hier niemand, Trikots mit ihren Namen sieht man kaum. Nicht einmal vom prominenten Neuzugang Lucas Barrios, dem ehemaligen Stürmer von Borussia Dortmund.

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Jubel von den gegnerischen Fans und ein zweitägiger Rücktritt

Barrios feiert gegen Velez sein Debüt für Gimnasia, das Spielfeld betritt er mit seinen neuen Kollegen durch ein riesiges aufgeblasenes Wolfsmaul, das als Spielertunnel dient. Gimnasia ist schließlich El Lobo, der Wolf. Erfolgreich gewildert haben die Wölfe unter Maradona aber nur bedingt. Nach dem Spiel gegen Velez ging es immerhin etwas bergauf. Vor dem letzten Spieltag belegt Gimnasia in der 24er-Liga nach zwei Siegen in Folge Platz 19, der Abstiegskampf ist noch nicht gewonnen.

Seit Maradonas Amtsübernahme gewann die Mannschaft sechs von 17 Ligaspielen. Eines davon im Oktober mit 4:0 auswärts bei den Newell's Old Boys aus Rosario, für die Maradona zum Ende seiner Karriere einst fünf Pflichtspiele bestritten hat. Grund genug für den Klub, seine Fantribüne nach Maradona zu benennen. Und für die Fans, Maradona bei seinem Gastauftritt mit Gimnasia mit einer Choreographie zu begrüßen und trotz der heftigen Niederlage der eigenen Mannschaft zu bejubeln.

Kurz darauf aber trat Maradona aufgrund von Unstimmigkeiten mit der Vereinsführung überraschend von seinem Traineramt zurück - nur um seine Entscheidung zwei Tage später zu revidieren. "Ich bin glücklich, dass ich hier Coach bleibe", verkündete Maradona.

Ob Coach aber das richtige Wort ist? Verantwortlich für die Trainingsarbeit soll hauptsächlich Maradonas 42-jähriger Assistent Sebastian Mendez sein, ein ehemaliger Innenverteidiger. Das gibt Maradona die Freiheit, sich auch um andere Anliegen zu kümmern. Kurz vor dem Heimspiel gegen Velez etwa flog er für einige Tage nach Venezuela, um dort seinem Freund Nicolas Maduro beizustehen. Der sozialistische Präsident befindet sich in einem erbitterten Machtkampf mit der Opposition. Bei einem öffentlichen Auftritt riefen sie gemeinsam: "Venceremos!" Wir werden siegen!

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Maradona lässt das Zelt lachen und den Motor schweigen

Trotz akuter Zweifel der lokalen Presse kehrte Maradona zwar rechtzeitig zum Heimspiel gegen Velez aus Venezuela nach La Plata zurück, sein Siegesversprechen hält er jedoch nicht ein. Das 0:0 ist aber immerhin genug, um seine Einschätzungen zum Spiel zu bekommen. "Nach Niederlagen spricht er nämlich nie", sagt ein Lokaljournalist.

Maradona also erscheint zur Pressekonferenz, die in einem weißen Zelt auf einem Tennisplatz hinter einer der beiden Stahlrohrtribünen abgehalten wird. Die Räumlichkeiten im Stadion reichen für den Journalisten-Andrang nicht aus. Vereinsmitarbeiter helfen Maradona auf das provisorische Podium, die Show beginnt und sie folgt einem klaren Schema: Maradona wird gefragt. Maradona macht einen Scherz. Das Zelt lacht und dann auch Maradona, weil er sich über das lachende Zelt sichtlich freut.

Als ein Autofahrer draußen auf einmal seinen Motor aufheulen lässt, schreit Maradona: "Ruhe! Hier läuft eine Pressekonferenz!" Gehört haben kann der Fahrer den Tadel wohl nicht, der Motor aber verstummt trotzdem sofort. Was Maradona sagt, das zählt. Er ist bei Gimnasia gleichzeitig weniger und mehr als ein Trainer.

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