Es ist Januar im Moda Center zu Portland, in wenigen Minuten spielen die heimischen Trail Blazers hier gegen die Milwaukee Bucks. Das Gäste-Team wartet im Spielertunnel darauf, dass die Türen aufgehen, als auf einmal eine Schlägerei losbricht.

Wesley Matthews schlägt aus dem Nichts auf Robin Lopez ein, bevor dessen Zwillingsbruder Brook einschreitet und den Iron Man in die Enge treibt. Giannis Antetokounmpo schreit, dass er Hilfe suchen wird, und rennt weg, bei seiner Rückkehr hat Matthews den Kampf allerdings schon verloren.

Was sich hier ereignet, ist allerdings kein Zeichen von Team-Dysfunktion oder das Ende einer bis dahin so harmonischen und dominanten Bucks-Saison - im Gegenteil. Es ist einfach nur die neueste Episode vom besten Pregame-Ritual der Liga: Milwaukees WWE-Routine. Ein Ritual, das regelmäßig stattfindet, seinen Ursprung aber tatsächlich in Portland hat.

"Das hat mit Robin und Wes angefangen, als sie gemeinsam bei den Blazers waren", erklärt Brook Lopez das Ritual gegenüber SPOX . "Sie haben hier direkt wieder damit losgelegt und wir haben viele Wrestling-Fans im Team. So hat sich das irgendwie zu dem entwickelt, was es heute ist."

Lopez über WWE-Ritual: "Bisher gab es keine Verletzten"

Mittlerweile wird fast jede Routine vom Social Media-Team der Bucks gefilmt und umgehend veröffentlicht. Dabei sind sich die Beteiligten (Matthews, RoLo und Giannis sind nahezu immer dabei) durchaus bewusst darüber, dass es mit ganz viel Pech auch mal schief gehen könnte, zumal die Routinen laut Lopez "ziemlich spontan" sind.

"Wir sprechen ein, zwei Sachen ab, aber das meiste passiert einfach im Moment. Es wird dann immer etwas völlig anderes, wenn es wirklich losgeht. Bisher gab es aber keine Verletzten", schwört der 31-Jährige. Gerade Giannis spielt nicht nur in dieser Hinsicht mit dem Feuer, auch beim Dunk Contest ließ er sich ja von Pat Connaughton für dessen zweiten Dunk "überspringen."

Andererseits ist die Routine für die Bucks eben auch ein Mittel, um eine gewisse Lockerheit zu wahren inmitten einer langen, kräftezehrenden 82-Spiele-Saison. Es ist ein Spagat, den Fokus zu behalten und gleichzeitig nicht zu früh zu verbissen zu werden, weshalb auch der Humor eine Rolle spielt - und wenn man auf den bisherigen Erfolg der Bucks in dieser Saison blickt, schaffen sie das besser als alle anderen Teams.

Die Bucks: Das dominanteste Team der Liga

Milwaukee hat die mit Abstand beste Bilanz der Liga (49-8) sowie ein Net-Rating (+11,6), das für einen Top-5-Platz in der Geschichte der NBA reichen würde. Die Bucks schlagen ihre Gegner nicht, sie fegen sie aus der Halle - noch nie gingen in dieser Saison zwei Spiele am Stück verloren, die Wiederwahl von Giannis als MVP scheint sehr wahrscheinlich.

33 der 49 Siege wurden mit 10 Punkten Vorsprung oder mehr geholt. Da nach der Pause direkt wieder die ersten drei Spiele gewonnen wurden, steht Milwaukee jetzt schon als Playoff-Team fest, früher hat sich die Teilnahme seit 15 Jahren kein Team mehr gesichert.

Fragezeichen verbleiben dennoch, nachdem Milwaukee auch vergangene Saison das beste Team der Liga war, in den Conference Finals jedoch gegen die Toronto Raptors ausschied - in einer Serie, die knapper war, als es oft dargestellt wird. Die Bucks können den Beweis, dass sie daraus gelernt haben, erst in den Playoffs erbringen, was zu ihrer Dringlichkeit in dieser Saison beiträgt.

"Wir wissen, wo wir hinwollen", sagt Lopez. "Vergangenes Jahr sind die Playoffs für uns offensichtlich nicht so geendet, wie wir das wollten. Wir haben diese Erfahrung gemacht und jetzt wissen wir, was es braucht. Und das bedeutet für uns auch, dass wir nicht nachlassen können. Unser Selbstverständnis muss das eines Meisters sein, auch jetzt in jedem Spiel und jedem Training."

Die Statistiken von Brook Lopez in der NBA

Zeitraum Team Punkte FG% Versuchte Dreier 3FG% Rebounds Blocks 2008-2017 Nets 18,6 50,6 418 32,8 7,1 1,7 17/18 Lakers 13 46,5 325 34,5 4 1,3 Seit 2018 Bucks 11,8 44,3 764 34,2 4,7 2,3

Brook Lopez sorgt mit Giannis für beste Defense der NBA

Lopez' Rolle dabei ist nicht zu unterschätzen, auch wenn Giannis 90 Prozent der Aufmerksamkeit bekommt und die restlichen 10 für den zweiten All-Star Khris Middleton reserviert sind. Gerade defensiv ist der Center neben Giannis das Herzstück des Teams, einer der Hauptgründe dafür, warum Milwaukee die mit Abstand besten Rim-Protection-Stats der Liga stellt.

Die Bucks-Defense ist interessant: Die beste Verteidigung der Liga erlaubt Gegnern die meisten Dreier pro Spiel, heutzutage eigentlich kontraintuitiv, auch wenn sie dabei überwiegend die "richtigen" Spieler zu Würfen forcieren. Sie konzentrieren sich zudem aber noch stärker auf die unmittelbare Korbnähe und lassen hier weniger zu als alle anderen Teams. Das bezieht sich sowohl auf die Anzahl der Versuche (nur 26,7) als auch die Quote (52,3 Prozent - Platz 2 Toronto erlaubt 57,1 Prozent!).

Lopez ist dabei mittendrin. Früher nicht als sonderlich guter Verteidiger verschrien, zwingt er seinen Gegnern in unmittelbarer Korbnähe in dieser Saison eine um 17,5 Prozent schlechtere Quote als erwartet auf, wenn er der nächste Verteidiger ist. Unter allen Rotationsspielern in der NBA ist nur einer besser: Giannis (-18,3 Prozent).

Über ihre Kombination aus Länge, Athletik und Disziplin zu scoren, ist unheimlich schwierig. "Wir versuchen einfach, uns gegenseitig zu helfen. Ich weiß immer, dass Giannis mir den Rücken stärkt, wenn ich irgendwo aushelfe, und andersrum ist es genau so", erklärt Lopez, der den Raum unheimlich gut abdeckt und allein physisch schon eine massive Hürde darstellt. Dank dieser elitären Absicherung können auch die Wings wie Middleton oder Eric Bledsoe unheimlichen Druck auf gegnerische Ballhandler ausüben.

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Vom Brett-Center zum Splash Mountain

Offensiv hat Lopez ebenfalls eine große Entwicklung hinter sich, die ihn über die Jahre immer weiter weg vom Korb gebracht hat. Bei den Brooklyn Nets wurde er 2013 als wohl versiertester Lowpost-Center der Liga zum einzigen Mal All-Star, bei den Bucks nimmt er eine völlig andere Rolle ein.

Nachdem er bereits 2016/17 in Brooklyn sein Spiel nach außen verlagerte, nimmt er in Milwaukee seit seiner Ankunft erstmals mehr Dreier als Zweipunktwürfe. Alles richtet sich danach, Giannis so viel Platz wie möglich zu verschaffen, deswegen ist Lopez mittlerweile "Splash Mountain" - auch wenn er in der laufenden Saison bisher nur 29,4 Prozent trifft (18/19: 36,5).

Lopez ist ein Paradebeispiel für die Wandlungsfähigkeit eines NBA-Spielers: In seinen ersten acht NBA-Jahren nahm er kombiniert ganze 31 Dreier (drei Treffer), vergangene Saison alleine waren es 512 Stück. Dass seine ehemals größte Stärke dabei nur noch selten gefragt ist, stellt für Lopez kein Problem dar - zumindest kein großes.

Brook Lopez: "Man könnte den Post mehr featuren"

"Man könnte den Post mehr featuren, denke ich", sagt Lopez zu SPOX . "Aber ich bin da sicherlich auch etwas voreingenommen. Es hängt einfach damit zusammen, wie das Team aufgebaut ist. Man will so spielen, dass die größten Stärken maximal gefördert werden. Was immer uns dabei hilft, zu gewinnen."

Die größte Stärke ist in dem Fall der Drive von Antetokounmpo, für den so viel Platz wie möglich geschaffen werden soll. Deswegen ist bei Milwaukee oft kein Spieler in Korbnähe positioniert. Dass Lopez die Post-Fähigkeiten nach wie vor hat, könnte im Hinblick auf eventuelle Playoff-Spiele, in denen Giannis mal eine Mauer vorfindet, aber durchaus noch wichtig werden.

Derzeit beschränken sich Lopez' Post-Ausflüge überwiegend auf Situationen, in denen der Gegner klein spielt und den größten Verteidiger auf Antetokounmpo abstellt. Hat Lopez ein Mismatch, nutzt er es hocheffizient aus: 1,11 Punkte pro Post-Up-Play ist gleichauf mit Joel Embiid, dem derzeit besten Post-Center der Liga, wenn auch in viel kleinerem Volumen (1,8 Plays pro Spiel). Vielleicht steigt dieses in den Playoffs an, wenn die Bucks zu einem Plan B gezwungen werden.

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Milwaukee Bucks brennen auf die Playoffs

Für den Moment ist es jedoch nicht seine Hauptaufgabe. Dass er früher oder später Dreier werfen würde, war Lopez laut Eigenaussage schon recht früh klar, als Mittel, um die Karriere ein wenig in die Länge zu ziehen. "Aber ich hätte nie gedacht, dass es so wichtig wird. Wie sich das Spiel entwickelt hat, ist ehrlich gesagt auch für mich ziemlich verrückt, aber ich versuche einfach, da mitzumachen."

Dass ein Spieler wie Lopez, der in immerhin fünf Saisons über 20 Punkte im Schnitt erzielte und ein Max-Player war, sich so in den Dienst der Mannschaft stellt und ein völlig anderes Jobprofil angenommen hat, noch dazu für "nur" 12 Millionen Dollar im Jahr, ist einer der Schlüssel für den Erfolg der Bucks.

Lopez ist kein Star im klassischen Sinn (mehr), aber er glänzt in seiner Rolle und bringt dafür bereitwillig Opfer. "Ich hatte individuellen Erfolg mit der einen Spielweise, aber so einen Teamerfolg wie jetzt hatte ich noch nie", sagt er selbst. Knapp zwei Monate vor dem Start der Playoffs gibt es für ihn und die Bucks kein anderes Thema, das zählt.

Abgesehen vielleicht von der nächsten Wrestling-Routine.