Tyson Fury und Deontay Wilder kämpfen um den WM-Gürtel der WBC im Schwergewicht und Ihr könnt den Kampf in der Nacht zum Sonntag ab 5.45 Uhr auf DAZN live sehen. Holt Euch jetzt einen Freimonat!

Außerdem spricht Hebel über die Zukunft im Schwergewicht und verrät, auf wen man besonders achten muss.

Herr Hebel, am Sonntagmorgen steht Wilder vs. Fury II auf dem Programm. Sind Sie noch heißer auf den Kampf als vor AJ vs. Ruiz II?

Uli Hebel: Nein, so würde ich es nicht sagen. Ich war extrem gehyped und heiß vor AJ vs. Ruiz II, weil es bei diesem Kampf so große Fragezeichen gab. Die Fallhöhe war auch so groß. Wenn AJ erneut verloren hätte, wäre er weg gewesen vom Fenster. Aber boxerisch ist Wilder vs. Fury II sicher ähnlich interessant. Wenn ich AJ vs. Ruiz II ausklammere, müssten wir in die 90er zurückgehen zu Tyson vs. Holyfield, um im Schwergewicht einen Kampf zu finden, der so groß war. Zumal dieser Kampf auch von diesem spannenden Kontrast lebt. Zugespitzt formuliert: Auf der einen Seite Wilder, der im Labor gezüchtete Athlet. Und auf der anderen Seite Fury, der manische Künstler.

Ist es im Vergleich zu AJ vs. Ruiz mehr ein Kampf für die Freaks?

Hebel: Definitiv, das glaube ich schon. Wir werden wieder mehr unter uns im Box-Kosmos sein. Der Kampf bedient den Mainstream weniger. Alleine schon wegen der Uhrzeit, aber auch weil weder Wilder noch Fury in den USA besonders ziehen. Da können sie mit AJ und auch mit Ruiz und dessen Sympathiefaktor nicht mithalten.

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AJ wird ja seit Jahren in die Muhammad-Ali-Schiene gedrückt.

Hebel: Das stimmt. Er unterstützt es aber auch selbst. Er verkörpert die Ästhetik, den perfekten Modellathleten - und er wird einfach unglaublich gut vermarktet. Fury dagegen stößt Leute mit seiner Art und Weise zu reden eher ab. Und ehrlicherweise müssen wir auch festhalten, dass Fury erwiesenermaßen ein Rassist ist. Er ist als Charakter unberechenbar. Wilder würde ich im Gegensatz zu Fury als integren Typen einschätzen. Das Problem bei ihm ist, dass er versucht, ein Lautsprecher zu sein und in diese Rolle gedrängt wird - er ist es aber eigentlich gar nicht. Wenn man sieht, wie Wilder weg vom Scheinwerferlicht Interviews gibt, dann sind die immer sehr interessant. Auch wie er sich mit seiner Familie zeigt - er ist ein netter Typ. Aber es wird versucht, ihn als das Monster, das allen den Kopf abreißt, darzustellen. Das finde ich schade.

Wie würden Sie im Rückblick den ersten Kampf der beiden einordnen?

Hebel: Ich war sehr überrascht von Furys Leistung. Dass er im erst dritten Kampf nach seinem Comeback zu so einer Leistung imstande ist, hätte ich nicht erwartet. Ich glaube, dass ihn Wilder minimal unterschätzt hat. Im Nachhinein war das Unentschieden sehr schmeichelhaft für Wilder. Aber wenn du den Weltmeister in dessen Heimat boxt, musst du eben noch deutlicher gewinnen als sonst. Aber klar, das Urteil war sehr kontrovers.

Uli Hebel: "Einen Menschen wie Fury gibt es eigentlich nur in der Literatur"

Wenn wir uns Fury und Wilder genauer anschauen: Woran denken Sie denn als Erstes, wenn Sie an Fury denken?

Hebel: Fury ist ganz schwierig zu bewerten, das merke ich auch jedes Mal, wenn ich mich auf einen seiner Kämpfe vorbereite. Bei ihm kann immer alles passieren, sowohl in die positive als auch in die negative Richtung. Bringt er die beste Version seines Ichs in den Ring, erleben wir einen der besten Schwergewichtler, den wir je erlebt haben. Niemand kann ihn dann fassen. Aber der Totalabsturz ist genauso gut möglich. Einen Menschen wie Fury mit so verschiedenen Facetten gibt es sonst eigentlich nur in der Literatur. Er hat eine Aufmerksamkeitsspanne von zwei Minuten - wenn überhaupt! Es muss für einen Trainer so unglaublich schwer sein, ihn bei der Stange zu halten. Da hört man auch die skurrilsten Geschichten. Er kann in einem Moment sensationell gut trainieren und du denkst, er hat es verstanden. Und dann geht er aus dem Ring und zeigt den Leuten Pornos. Aber genau das ist Tyson Fury.

Er stand ja auch sehr kurz vor dem Selbstmord und hat kürzlich erst wieder gesagt, dass er eigentlich jeden Sonntag daran denken würde, sich das Leben zu nehmen.

Hebel: Er ist fürchterlich ambivalent. Ich kann mir gut vorstellen, dass er an einem Tag aufwacht und der glücklichste Mensch der Welt ist. Und am nächsten ist alles scheiße und er will sich umbringen. Er könnte in Geld baden und alle WM-Gürtel der Welt haben, das würde glaube ich keinen Unterschied machen. Das macht ihn aber auch aus. Bei ihm sind die Suizid-Gedanken psychischer Natur. Bei Wilder, der auch mal erzählte, die Waffe auf dem Schoß gehabt zu haben, ist es in der Biografie begründet. Vor allem durch die Krankheit seiner Tochter, das war ein schwerer Schicksalsschlag.

Was das Boxerische angeht: Da sah Wilder im letzten Kampf gegen Luis Ortiz nicht gerade top aus, oder?

Hebel: Jein. Ich habe in dem Kampf schon das bekommen, was ich vorher erwartet hatte. Wir müssen uns einfach immer wieder in Erinnerung rufen, dass Wilder im Vergleich zum Rest der Schwergewichtsklasse der sehr viel eindimensionalere Typ ist. Das sieht vielleicht nicht immer total überzeugend aus, aber er weiß genau, was er tut. Er bereitet die eine Explosion vor, die er braucht. Und dann gehen die Lichter aus. Eine kurze Unaufmerksamkeit reicht ihm.

Und Furys letzte Kämpfe gegen Tom Schwarz und Otto Wallin?

Hebel: Ganz ehrlich, der Kampf gegen Schwarz war natürlich eine Frechheit. Bei allem Respekt vor Schwarz. Für Deutschland war der Kampf sicher ganz nett, aber es war ein komplettes Mismatch. Das war einfach nicht sehenswert. Da schalten die Fans in den USA auch ganz schnell ab, wenn du ihnen solche Kämpfe präsentierst, da kann dein Walk-In noch so toll sein. Den Fight gegen Wallin kann man machen, aber Ortiz war da schon eine andere Nummer. Das Problem bei Fury ist, dass du aus diesen Kämpfen nie etwas schließen darfst. Er hat auch vor dem ersten Kampf lächerliche Gegner gehabt und war dann zum richtigen Zeitpunkt voll da. Genauso wie er gegen Wladimir Klitschko voll da war. Er hat bewiesen, dass er in den ganz großen Kämpfen seine beste Leistung abrufen kann.

Was sind aus Ihrer Sicht die Schlüssel für den Kampf?

Hebel: Ich würde da gar nicht so sehr aufs Boxerische gehen. Das wird natürlich auch eine Rolle spielen, aber in erster Linie wird der Kampf meiner Meinung nach in Wilders Kopf entschieden. Er wird besser vorbereitet sein als beim letzten Mal. Die Frage ist, wie fokussiert er sein kann, ohne dabei zu übersäuern, und wie sehr er seine Linie halten kann, um dann die eine entscheidende Explosion hinzubekommen.

Fury hat sich etwas überraschend von seinem Trainer Ben Davison getrennt und arbeitet jetzt mit Sugar Hill zusammen. Was steckt hinter dieser Entscheidung?

Hebel: Ben Davison ist ein absoluter Fachmann, man könnte ihn als den Julian Nagelsmann im Boxen beschreiben. Wir müssen uns nur den ersten Kampf anschauen, um zu wissen, was für ein guter Trainer er ist. Er hat es geschafft, dass Fury bestens eingestellt und vor allem körperlich gut in Verfassung war. Wann gab es das schon mal? Für Davison war die Zusammenarbeit extrem anspruchsvoll. Fury musst du alle 90 Sekunden im Training anfixen - wie bei einem Kind. Wenn es irgendwo raschelt, dreht er sich um und die Konzentration ist weg. Du musst Dir immer neue Übungen einfallen lassen, mit den klassischen Wiederholungen kommst Du bei Fury nicht weit. Ich vermute stark, dass es da irgendwann zwischenmenschlich gekracht hat. Es wird spannend zu beobachten sein, was die neue Konstellation bewirkt. Wilder und sein Coach Jay Deas sind ein perfekt eingespieltes Team, da weiß jeder, was der andere macht. Da ist großes Vertrauen vorhanden. Wie sieht es jetzt in Furys Ecke aus? Wie sind da die Hierarchien? Ist Fury vielleicht sogar zu sehr der Boss? Das sind alles Fragen, die sich klären müssen.

Die Frage aller Fragen muss kommen: Wer macht's denn jetzt? Wilder? Oder doch Fury?

Hebel: (lacht) Ich habe in den vergangenen Wochen stundenlang mit verschiedenen Leuten diskutiert - und ich weiß es immer noch nicht. Am Ende lasse ich oft mein Bauchgefühl entscheiden und lag da bislang gar nicht so verkehrt. Ich habe Wilder lange für sehr überbewertet gehalten. Inzwischen halte ich ihn fast schon wieder für unterbewertet. Wilder ist mehr als nur ein Schläger. Er hat sich boxerisch ordentlich fortgebildet. Es gibt nur zwei Optionen: Punktsieg Fury oder K.o.-Sieg Wilder.

Uli Hebel: "Usyk würde gegen Wilder gewinnen"

Ihr Tipp fehlt immer noch ...

Hebel: Ich tue mich echt schwer. Aber ich habe in meinem Leben noch nie gegen Fury getippt. Er hat mir immer gezeigt, dass er in der Lage ist, etwas Neues in die Kämpfe zu bringen. Er hat diese Fähigkeit, eine Leistung aus seinem Körper herauszuholen, die selbst sein Umfeld ihm nicht zugetraut hätte. Fury hat das Boxen einfach verstanden. Boxen ist für ihn wie Mathematik. Er kann innerhalb eines Fights Dinge selbst erkennen und Justierungen vornehmen - das ist echt erstaunlich und eine ganz große Qualität. Also gut: Wenn ich mich festlegen muss, dann setze ich auf Fury. Aber trotzdem: Den einen Ausbruch von Wilder kann es immer geben, das müssen wir alle wissen.

Sollte Fury gewinnen, ist er klar die Nummer eins im Schwergewicht.

Hebel: Definitiv. Aktuell teilen sich Fury und Wilder Platz eins vor Joshua. Vielleicht kann man Fury als 1a bezeichnen, weil er eben Klitschko in seiner Vita stehen hat und Wilder so lange niemanden aus der Elite geboxt hat. Wer diesen Kampf jetzt gewinnt, wird auf jeden Fall die klare Nummer eins sein und damit auch bestimmen, wo die Reise danach hingeht. Leider stehen mit Joshua, Fury und Wilder die drei größten Schwergewichtler bei den drei größten TV-Partnern unter Vertrag. Ich glaube nicht, dass wir vor 2021 einen weiteren großen Kampf bekommen werden. Wir werden erstmal im Wartemodus sein.

Hat jemand nach den größten Rematches im Boxsport gefragt?

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Neben den großen Drei gibt es mit dem ehemaligen Cruisergewichts-Champion Oleksandr Usyk noch einen interessanten Mann, der wohl im Mai gegen Dereck Chisora antreten wird. Was trauen Sie ihm im Schwergewicht zu?

Hebel: Ich traue ihm einiges zu. Dass Usyk Pound-for-pound ein Monster ist, wissen alle im Boxgeschäft. Die Frage ist natürlich, wie gut er im Schwergewicht sein kann? Was passiert, wenn er eine Bombe von Wilder kassieren würde? Aber ich sage Ihnen was: Wenn Usyk gegen Wilder boxen würde, wäre ich mir ziemlich sicher, dass Usyk den Fight gewinnt. Es ist immer ein Thema des Matchups und ich glaube, dass sich Wilder gegen so einen beweglichen Mann sehr schwertun würde.

Was wäre denn der Kampf, den Sie am liebsten sehen würden? AJ vs. Fury?

Hebel: Eigentlich war das immer AJ vs. Wilder. Das ist der Kampf, auf den ich seit sechs Jahren gewartet habe. Beide sind gleichzeitig an die Spitze geschossen - ihr Weg hätte irgendwann vor 100.000 Zuschauern in einem Mega-Fight den Höhepunkt finden müssen. Aber dann kam Ruiz' Sieg gegen AJ und Fury ist plötzlich wieder aufgetaucht. Rein persönlich gesprochen würde ich aber alleine wegen meines Faibles für England dann doch AJ vs. Fury sagen. AJ vs. Fury im Wembley - da würde ich zu Fuß hinlaufen. Das wäre für meine Generation der größtmögliche Kampf. Aber dieser Kampf ist leider meilenweit entfernt. Das AJ-Management hat beim zweiten Kampf gegen Ruiz Blut und Wasser geschwitzt, da wird man so schnell kein Risiko mehr eingehen und lieber einige einfache Siege einfahren wollen. Alleine, um das Narrativ zu schaffen, dass AJs Heldenreise nur kurz unterbrochen wurde und er jetzt wieder auf Kurs ist.