Ein wenig ratlos standen beide Trainer da, als sie vor dem Sky -Mikrofon zu ersten Analysen zu dem Spiel gebeten wurden, dessen Zeuge sie gerade geworden waren. Trotzdem trennten Peter Bosz und Lucien Favre in diesem Moment Welten.
"Wir hatten vorher Spiele mit viel mehr Großchancen", analysierte Bosz. "Heute gab es nicht so viele, trotzdem sind vier reingegangen. Das ist auch manchmal Fußball, das kann ich nicht erklären. Verrückt." Der 56-jährige Niederländer war sichtlich erleichtert, das Glück dieses Mal auf seiner Seite gehabt zu haben. Seine positive Ratlosigkeit erinnerte in Ansätzen irgendwie an den ikonischen Satz Sir Alex Fergusons nach dem Champions-League-Finale 1999: "Football, bloody hell!" Manchmal geht es einfach gut - und manchmal nicht. Wer weiß schon, warum.
Im Gegenzug zu seinem Kollegen wirkte Favre verständlicherweise nicht nur ratlos, sondern fast schon deprimiert. "Wir kriegen vier Tore auswärts, ja", sagte er. Es folgte ein tiefer Seufzer. "Das ist schwer, sehr schwer", schob er noch hinterher, als hätte der Seufzer nicht schon alles gesagt.
Kollektive Ratlosigkeit bei Borussia Dortmund: Auswärts- und Abwehrschwäche
Ein weiterer Unterschied des früheren und des aktuellen BVB-Trainers: Boszs Aussage hob sich ab von seinen Spielern, denen vor allem nach Feiern zumute war. Favre dagegen reihte sich mit seiner Rat- und Hilflosigkeit nahtlos ein in den BVB-Tross, der die - mal wieder - völlig überflüssige Niederlage erklären zu versuchte.
Und es nicht konnte, vom Sportdirektor bis hin zum Führungsspieler. "Wir haben die vier Gegentore zu einfach weggegeben. Das war schon in Bremen das Problem, das begleitet uns schon ein bisschen länger", erklärte ein schmallippiger Michael Zorc. Mats Hummels, der sein erstes Tor im BVB-Dress seit seiner Rückkehr von Bayern München erzielte, dann aber den entscheidenden Luftkampf gegen Lars Bender beim 3:4 verloren hatte, analysierte, dass man "ab der 70., 75. Minute" das Fußballspielen eingestellt habe, viel zu passiv geworden sei: "Wir wissen, dass das so ist, aber bekommen es leider nicht abgestellt. Mehr kann ich dazu nicht sagen."
Wieder einmal hatte Dortmund ein gutes Spiel abgeliefert, wieder einmal eine Führung nicht über die Zeit gebracht. Wieder einmal viel zu viele Tore kassiert, durch halbherziges, teilweise fast schon naives Verteidigen, wie etwa beim ersten Gegentreffer durch Kevin Volland.
Und: Wieder einmal auswärts versagt, schon zum siebten Mal in dieser Spielzeit. Die Diskrepanz zwischen Heim- und Auswärtsspielen ist erschreckend, sie ist bekannt, ihre Geschichte ist fast schon auserzählt - würde es nicht immer und immer wieder passieren. "Offensichtlich" sei die Schwäche in der Fremde, sagte Zorc. "Zu Hause sind wir eine absolute Macht. Es ist Teil unseres Problems, dass wir es auswärts nicht schaffen, das Spiel einzutüten und zu killen." Worte, die man in Bremen, Mönchengladbach und Paris gern hören wird: Dort empfängt man die angeschlagenen Schwarz-Gelben in den nächsten Wochen.
BVB, Spielplan: Nächste Gegner von Borussia Dortmund
Datum Uhrzeit Gegner Wettbewerb 14. Februar 20.30 Uhr Eintracht Frankfurt (H) Bundesliga 18. Februar 21 Uhr Paris Saint-Germain (H) Champions League 22. Februar 15.30 Uhr Werder Bremen (A) Bundesliga 29. Februar 15.30 Uhr SC Freiburg (H) Bundesliga 7. März 18.30 Uhr Borussia Mönchengladbach (A) Bundesliga 11. März 21 Uhr Paris Saint-Germain (A) Champions League
Lucien Favre kann BVB-Probleme seit eineinhalb Jahren nicht lösen
Auffällig war es an diesem Abend, dass große Kampfansagen vonseiten der Arrivierten ausblieben. Es wurde nicht an die Ehre der Profis appelliert, beißend harte Kritik geäußert, oder gar die Mentalität des Kaders angezweifelt. Das hat man beim BVB in den letzten Monaten schließlich alles schon probiert. Stattdessen regierte wie erwähnt Ratlosigkeit, ob sie nun verzweifelt ausfiel wie bei Favre, zähneknirschend wie bei Zorc oder nüchtern-analytisch wie bei Hummels.
Der blickte weit zurück in die Vergangenheit, als er die Probleme des BVB benennen sollte. Man dürfe "bei einer Führung nicht zu passiv" werden, betonte er, und das habe er nicht nur an diesem Abend beobachtet, sondern über die gesamte Saison hinweg - und sogar schon in der letzten Saison aus der Entfernung, damals noch im Trikot der Bayern.
Mit anderen Worten: Über eineinhalb Jahre schleppt der Klub diese Schwäche schon mit sich herum. Seit Lucien Favre Cheftrainer in Dortmund ist, also, auch wenn der Satz nicht als versteckte Kritik am Trainer gemeint schien.
Er erklärt jedoch, warum Favre sich in der Mixed Zone zu einem Geständnis hinreißen ließ, das man von ihm wohl kaum erwartet hätte. "Ich probiere mein Bestes, um die richtigen Dinge zu korrigieren. Aber ich hatte, seitdem ich Trainer bin, selten eine Mannschaft, die solche Schwierigkeiten hat ", zitiert ihn Sport1 . So klingt jemand, der mit seinem Latein am Ende ist.
Emre Can bei Borussia Dortmund: Führungsspieler und fehlendes Puzzleteil
Nur einer schien an diesem Abend noch nicht abgestumpft. Neuzugang Emre Can, nach seinem Kurzeinsatz im Pokal am Dienstag erstmals in der Startelf, schoss ein Traumtor und ackerte trotz Krämpfen über 87 Minuten, spielte aber auch unfreiwillig Assistgeber für Leon Baileys 3:3-Ausgleich. Er fand nach Abpfiff klare Worte: "Wenn man in Führung geht, muss man - auf gut Deutsch gesagt - dreckiger sein: manchmal ein Foul spielen, besser verteidigen."
Wie man ein Spiel auch mal auf eine eher unansehnliche, aber dafür effektive Art und Weise nach Hause bringt, kennt der 26-Jährige aus eineinhalb Jahren Juventus. Der Auftritt in der BayArena hatte seine Befürchtungen bestätigt: "Heute war es genau das Spiel, was man über Dortmund sagt: man führt, spielt schönen Offensivfußball, aber defensiv müssen wir alle zusammen besser stehen."
Die klare Ansage des Nationalspielers zeigt, dass er in Dortmund möglichst schnell zum Führungsspieler aufsteigen will. Schafft er es, dem oft etwas zu brav auftretenden BVB-Kollektiv die nötige Galligkeit zu verpassen, die für die ganz großen Erfolge nötig ist, wäre sein Transfer Gold wert. Nicht umsonst stimmte ihm Favre umgehend zu, als er auf das "dreckiger spielen"-Zitat angesprochen wurde: "Das ist wichtig", betonte er. Man müsse bereit sein, zu verteidigen, und zwar länger als "zehn Sekunden".
Die neuen Mitspieler muss Can allerdings erst von einer raueren Gangart überzeugen: "Generell können wir ein Ticken härter verteidigen", entgegnete Hummels zwar, "aber ich fand das heute nicht so schlecht."