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Wie kippte der Super Bowl in die Richtung der Chiefs?
Selten war sich die Football-Welt nach einem Spiel so einig: Ein einziges Play hatte die Wende zugunsten der Chiefs eingeleitet. Mit etwas über sieben Minuten auf der Uhr, 10:20 im Rückstand, 3rd&15. Das ganze Spiel über hatte Kansas City Probleme damit gehabt, sein sonst so gefährliches Passspiel ins Rollen zu bringen.
Die 49ers wechselten in der Secondary zwar wie erwartet, doch mit sehr gutem Timing und möglichst schwer lesbar, primär zwischen Cover-3 und Cover-4 herum und streuten außerdem Man Coverage immer wieder ein, gerade auch bei kürzeren Third Downs. Es ist spekulativ, das zu sagen, da niemand von uns in den Kopf von Patrick Mahomes schauen kann - doch es wirkte deutlich so, als hätte Mahomes einige Probleme damit, seine Receiver zu finden.
Das aber war nur ein Teil der Rechnung. Die 49ers konnten früh im Spiel Druck auf Mahomes aufbauen, und womöglich hatte das weitreichendere Effekte als zunächst gedacht: Mahomes agierte wackliger und ungenauer aus der Pocket, und die Chiefs setzten überraschend häufig auf den Run sowie ganz klar auf mitunter sehr kurze Pässe. Womöglich ein Beispiel dafür, wie die Psychospielchen zwischen Coaches und Play-Callern funktionieren, und wie alles die Entscheidungen letztlich beeinflusst.
Doch eine große Qualität von Mahomes ist die Tatsache, dass er sich innerhalb eines Spiels nicht nachhaltig aus der Ruhe bringen lässt. Nicht durch einen deutlichen Rückstand, nicht durch Drops seiner Receiver - und am Sonntag auch nicht durch ein bis dahin schlechtes Spiel von ihm. Beim kritischsten Play der Partie wurde das deutlich.
"Wasp": Mahomes und der Dosenöffner zu Tyreek Hill
Es war Mahomes, der das spezifische Play für den 44-Yard-Pass zu Tyreek Hill haben wollte. Kansas City hatte ein ähnliches Design bereits in der ersten Hälfte gespielt, um sich die tiefen Verteidiger in San Franciscos Secondary zurecht zu legen. "Es war das perfekte Timing, um das Play zu spielen", verriet Assistenztrainer Mike Kafka anschließend, "wir wussten, dass wir sie damit erwischen."
Bei The Athletic führte Backup-Quarterback Chad Henne weiter aus. Mahomes habe das Play gewollt, "es ist eine Dangle Route. Technisch gesehen heißt das Play Wasp ("Wespe")."
Mahomes hatte mit Reid bereits früher im Spiel über dieses Play gesprochen, das bestätigte er anschließend gegenüber NBC -Kolumnist Peter King: "Ja, ich wollte Tyreek damit eine Chance auf ein Play geben. Angesichts der Art und Weise, wie sie verteidigt haben, wusste ich, dass Tyreek ein Eins-gegen-Eins mit dem Safety bekommen würde."
Was Mahomes konkret damit meinte? San Francisco hatte, wie es der Kern der Defense ist, bei langen Third Downs mehrfach Cover-3-Buzz gezeigt, also eine Zone Coverage. Cover-3 bedeutet, dass drei Verteidiger (in der Regel die beiden Outside Cornerbacks sowie der Free Safety, hier blau markiert) sich den tiefen Bereich des Feldes jeweils in Drittel unterteilen, "Buzz" beschreibt die Bewegung des Strong Safetys (lila), der nach dem Snap als "Robber" einige Schritte nach vorne macht.
Das wiederum beschert klare Matchup-Zuteilungen aus Sicht der Offense, die man jetzt mit einem spezifischen Cover-3-Beater attackieren kann - und genau das ist eine Qualität von "Wasp" :
© getty
Der Outside Receiver läuft seine In-Breaking-Route direkt hinter dem Linebacker, sodass der Cornerback ihm folgen muss. Hill attackiert vertikal aus dem Slot heraus, rannte an Slot-Corner K'Waun Williams und Linebacker Fred Warner, die ihre Zones im Zentrum besetzten, vorbei. Gegen diese spezifische Coverage kreiert das das von Mahomes angesprochene Matchup des vielleicht explosivsten Spielers der NFL mit dem tiefen Safety.
Hier griff dann zusätzlich der Setup aus der ersten Hälfte. Als die Chiefs das Play hier genutzt hatten, war Hill Richtung Mitte des Feldes weitergelaufen und der tiefe Safety ging davon aus, dass das auch hier passiert. Stattdessen drehte Hill in der Bewegung um und zog zurück Richtung Seitenlinie, mit dem Cornerback beim Outside-Receiver und dem Safety meterweit entfernt. Deshalb war er so offen und hatte sogar noch Zeit, sich unter dem Ball in Position zu bringen.
Eine Wiederholung aus dem Patriots-Championship-Game
Mahomes musste Hill Zeit verschaffen, damit sich die Route entwickeln konnte, weshalb er sich nach dem Snap über zehn Yards zurückfallen ließ und den Pass dennoch gegen einen bevorstehenden Hit wegwerfen musste. Der rechts postierte Tight End setzte einen Chip-Block (ein kurzer Block, ehe ein Spieler in seine Route startet), um zusätzlich zu helfen. Außerdem, das sei erwähnt, sah der Block gegen Bosa - der hier mit seiner Explosivität ins Zentrum geschoben wurde - verdächtig nach einem möglichen Holding aus.
Doch es flog keine Flagge, stattdessen stand ein weiteres Big Play für eine Chiefs-Offense, die sich in dieser Kategorie spezialisiert hat: Mahomes ging mit fünf Third-Down-Conversions bei mindestens 3rd&18 in die Partie - kein anderer Quarterback hatte in dieser Saison mehr als zwei geschafft. 3rd&15 verfehlte diese Benchmark nur knapp. Dafür war der Pass mit 57,1 Air Yards Mahomes' längste Completion was Air Yards angeht in dieser Saison.
"Wir hatten einen guten Play-Call", führte Mahomes weiter aus, "mit Tyreek Eins-gegen-Eins gegen den Safety. Der Knackpunkt war, dass wir wirklich gute Protection brauchten, damit er genügend Zeit bekommt. Wir hatten tatsächlich das gleiche Design gegen die Patriots letztes Jahr in den Playoffs gespielt."
Das hier war die Szene gegen die Patriots, die Hill ansonsten mit jeder Menge Double Coverage gut ausschalteten. Es war das einzige explosive Play für die Chiefs in der ersten Hälfte des AFC Championship Games des Vorjahres, sowie der einzige Catch, den Hill in diesem Spiel verzeichnete :
© getty
Sammy Watkins: Nach dem Vorbild von Davante Adams
Es wirkte, als hätte diese Third-Down-Conversion den 49ers den Zahn gezogen. Der Pass-Rush kam anschließend nur noch deutlich sporadischer durch, Kansas City stellte die Super-Bowl-Bestmarke für Punkte im vierten Viertel auf - 21 Zähler brachten die Chiefs im Schlussviertel aufs Scoreboard, genauer gesagt in der zweiten Hälfte des vierten Viertels.
Die Chiefs verkürzten damit auf 17:20, und nach einem schnellen Niners-Punt folgte der nächste blitzartige Chiefs-Scoring-Drive: sieben Plays, 65 Yards, wieder gab es ein maßgebliches Big Play: Ein 38-Yard-Pass auf Watkins bei 2nd&7 :
© getty
Dieses Matchup galt eigentlich als das "sicherste" aus 49ers-Sicht: Wenn Watkins gegen Sherman steht, sollte Sherman - insbesondere in Press-Coverage - hier eigentlich am ehesten die Oberhand haben; verglichen etwa mit Matchups gegen den schnellen Tyreek Hill. Die Niners scheinen hier auch Cover-1 (Man Coverage mit einem tiefen Safety als Absicherung) zu spielen, die Chiefs attackieren nur mit drei Routes - die aber sind spezifisch darauf ausgelegt, den Receivern außen jeweils vertikal Eins-gegen-Eins-Duelle zu verschaffen.
Ausgerechnet die lange Completion, die Sherman im Championship Game gegen Davante Adams zugelassen hatte, welche Twitter-Spötteleien von Darrelle Revis zur Folge hatte, war die Basis hierfür. "Ich wusste durch das Tape, dass ich hier ein Eins-gegen-Eins habe", verriet Watkins anschließend The Athletic , "und ich danke Davante Adams, weil ich gesehen habe, wie er ihn mit dem Inside-Release erwischt hat. Ich wusste, dass Pat den Wurf anbringen kann und deshalb arbeiten wir an diesen Dingen."
Super Bowl: Williams macht den Deckel drauf
Überraschend derweil war, dass Andy Reid gerade bei langen Second Downs beim Run Game blieb - wenngleich Kansas City insgesamt seiner Linie treu blieb, und bei Early Downs Pass-lastig agierte: Bis zu dem Punkt, als die Niners mit 20:10 in Führung gingen, hatten die Chiefs bei First Down sowie bei Second Down mit mindestens sechs Yards bis zum neuen First Down kombiniert 22 Plays gespielt - davon waren 15 Pässe, und die überaus erfolgreich (8,1 Yards pro Dropback, darunter zwei Incompletions und ein Sack).
Der finale Touchdown aber war, ähnlich wie das Motion-Play, das Eric Bieniemy im 1948er Rose Bowl entdeckt hatte , in puncto Design ein Oldschool-Play :
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Die Chiefs kamen in 22-Personnel, also mit dem Fullback zusätzlich zum Running Back sowie zwei Tight Ends, aufs Feld - überraschend häufig (53 Snaps insgesamt) hatte Kansas City dieses Personnel in der gesamten Saison davor gespielt. Primär für Short-Yardage-Situationen genutzt, lief Kansas City daraus zumeist - und das wenig effizient für 2,2 Yards pro Run bei 41 Rushing-Versuchen.
Der 38-Yard-Run von Williams war so gesehen eine ungewöhnliche Ausnahme, es ist ein ganz klassisches Power Run Play - für eine Offense, die eigentlich eher auf der Zone-Blocking-Seite zuhause ist, wenn sie denn mal den Ball läuft.
Konkret handelt es sich um "Weak Side Blast": Aus der I-Formation (Quarterback Under Center, Fullback und Running Back hinter ihm aufgereiht) laufen die Chiefs zur Weak Side (also die Seite der Formation, auf der der Tight beziehungsweise in dem Fall die Tight Ends nicht stehen). "Blast" bedeutet in der Regel, dass der äußerste Spieler in der Defensive Box - hier der äußere Linebacker - durch den Fullback geblockt wird. Der einzige Spieler mit einer reellen Chance auf das Tackle ist so der tiefe Safety (blau markiert) - doch der nimmt einen schlechten Winkel und unterschätzt Williams' Speed, so das er nicht mehr hinterherkommt.
Die Chiefs waren auch in diesem Spiel sehr gut darin, vollgestellte Boxes im Run Game zu vermeiden - Williams lief 5,8 Prozent seiner Runs gegen acht oder mehr Verteidiger in der Box, zum Vergleich: Bei Mostert waren es 25 Prozent. Der Schlusspunkt von Super Bowl LIV unterstrich nochmals, dass diese Offense mit jeder Variante attackieren und selbst nach schlechtem Start oder intensiven Durchhängern innerhalb einer Partie immer explodieren kann. Und das ist eine erschreckende Nachricht für den Rest der Liga.
Die 49ers und der kritische Trugschluss
Die 49ers werden an diesem Super Bowl noch nagen. Nicht nur, weil man spät schließlich die Chiefs-Offense doch nicht mehr kontrollieren konnte - eher die verpassten Gelegenheiten davor bleiben hängen. Garoppolo etwa hatte ein ganz schwaches Spiel gegen Pressure und auch wenn er zwischenzeitlich mehrere Pässe in enge Fenster anbrachte und sicherer agierte - sein deutlicher Fehlwurf beim tiefen Pass auf Sanders spät im Spiel wird mehr in Erinnerung bleiben. Oder auch der von Chris Jones geblockte Pass in den Schlussminuten, als Shanahan ein Matchup zwischen Kittle und Terrell Suggs über das Scheme forciert hatte.
In puncto Play-Calls und Play-Designs hatte Shanahan für mich ein sehr gutes Spiel. Nur seine Herangehensweise beim Managen des Spiels entpuppte sich als Trugschluss: Nach dem Spiel erklärte er, dass er mit dem 10:10 zur Halbzeitpause "wirklich zufrieden" war - doch es war der falsche Gedankengang für diesen Gegner: Statt mit dem Wissen im Hinterkopf, dass die Chiefs-Offense jederzeit schnell punkten kann, den Fuß auf dem Gaspedal zu halten, eine Timeout zu nehmen und selbst vor der Pause nochmals punkten zu wollen, ging er auf Nummer Sicher, um nicht im schlimmsten Fall den Chiefs nochmal eine Chance auf Punkte zu geben.
In gewisser Weise war das ein ähnlicher Coaching-Fehler wie das Field Goal bei 4th&1 von Texans-Coach Bill O'Brien in der Divisional Round, mit dem er zwar auf 24:0 erhöhte, aber die Chance auf noch mehr Punkte dafür aufgab. Die Idee, auf Sicherheit zu setzen, während man gleichzeitig unbewusst auf das Gesamtbild betrachtet das Risiko erhöht.
Shanahan selbst sagte im Anschluss an die Partie, dass die Chiefs immer gefährlich sind und immer punkten können - ob aufgrund des Game Plans, Unsicherheiten bei Garoppolo oder dem falschen Gefühl von Sicherheit: In der Sequenz vor der Halbzeitpause genau wie mit dem Field Goal bei 4th&2 erreichten die 49ers vor allem eines: Dass das Spiel eng genug für ein Chiefs-Comeback blieb.
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Schemes, Analytics und Co.: Was haben wir diese Saison gelernt?
Mit dem Super Bowl und dem Ende der Saison ist auch der erste gute Zeitpunkt für Lehren aus der gerade abgeschlossenen Spielzeit gekommen.
Dieser Part ist Jahr für Jahr spannend: Aus den Entwicklungen der vergangenen Schlüsse zu ziehen, in welche Richtung sich bestimmte Trends entwickeln könnten, was die Liga prägen wird und worauf Teams bei der Kaderzusammenstellung über die jetzt anstehenden Wochen besonders achten sollten, ist gewissermaßen die Königsdisziplin für NFL-Teamverantwortliche und kann uns als Fans, Beobachter und Analysten auch einen Hinweis darauf geben, wo sich das Spiel hin entwickelt.
Ein paar Gedanken dazu:
- Die NFL wird schematisch offener, und das ist eine positive Entwicklung, weil es das Spiel interessanter macht. Von der Option-Offense der Ravens, über die merklich angepasste "Outside Zone Play Action"-Offense von Shanahan, Kliff Kingsburys Air Raid die vor allem mit Run-Designs überraschte bis zu dem Hybrid aus West Coast/Spread/Air Raid und diversen Option-Elementen, die Andy Reid spielen lässt: Auch wenn ich weiter davon überzeugt bin, dass man in der NFL vor allem über einen längeren Zeitraum betrachtet in allererster Linie über das Passspiel gewinnt und das Passspiel einem mit Abstand die meisten Möglichkeiten gibt: Man kann einerseits zu diesem Passspiel auf unterschiedliche Wege kommen, andererseits ist völlig klar, dass natürlich auch Spiele anders gewonnen werden können als nur über den Pass. Generell: Option Plays, sei es per RPO oder tatsächlich per Option-Run sind ein fester Bestandteil für mehr und mehr NFL-Teams geworden.
- Einige Aspekte, die ich im Vorfeld der Saison zusammengefasst hatte , wurden in meinen Augen weiter bestätigt: Play Action funktioniert unabhängig davon, wie produktiv das Run Game ist oder wie viel man läuft - und ist in den meisten Fällen effizienter als das reguläre Dropback Passing Game. Running Backs können einen individuellen Unterschied machen, der aber ist äußerst gering, weshalb es sich nicht lohnt, große Ressourcen in die Position zu investieren. Teams laufen mehr, wenn sie führen, was zu falschen Schlussfolgerungen aus Total Stats führt. Und auch wenn es andere Wege zum Sieg gibt, ist das Passspiel zweifellos effizienter als das Laufspiel.
- Eine persönliche Erkenntnis im Laufe der Saison wurde in jedem Fall das Bestreben danach, Schwarz-Weiß-Denken möglichst zu reduzieren. Das klappt auch bei mir nicht immer, aber viel zu viele Debatten - am prominentesten natürlich die "Run vs. Pass"-Sachen - drehen sich im Kreis, ohne einfach anzuerkennen, dass Football nicht binär funktioniert.
- Man kann in all diesen Debatten Tendenzen haben, die habe ich auch. Aber ganz wichtig, um wieder eine fruchtbarere Diskussionskultur zu schaffen, wäre es, dass man selbst weder absolute Aussagen tätigt ("Run Game doesn't matter") noch der anderen Seite absolute Aussagen zuschiebt ("Analytics-Leute denken, man kann Spiele nur mit Zahlen gewinnen"). Auch der Reflex, anhand einzelner Spiele allgemein gültige Erkenntnisse schlussfolgern zu wollen, ist hier wenig zielführend.
Das Thema Analytics
- Es ist auch die Überleitung zu einem anderen Aspekt, dem Thema Analytics insgesamt. Wer Football auch auf Social Media verfolgt, kann diese Diskussionen nicht mehr hören - mir selbst geht es in jedem Fall so. Hier ist mein Versuch, Analytics wie ich sie sehe möglichst kurz zusammenzufassen: Statistiken auszuwerten gibt Hinweise auf Trends, auf mögliche Nischen, die man für sich ausnutzen kann, und auf potenzielle Schwachstellen, die man entweder angreifen oder bereinigen kann. Letztlich geht es darum, sich selbst so viele Informationen wie möglich anzusammeln, und dann bestmögliche Entscheidungen zu treffen - egal, ob es um übergreifende Dinge wie Draft-Ressourcen und Kaderplanung geht, oder eben um Game Plans und Fourth-Down-Entscheidungen.
- Ein Beispiel: Nur weil es statistisch eher weniger effizient ist, bei 2nd&10 zu laufen, heißt das nicht, dass per se jeder Run bei 2nd&10 eine Fehlentscheidung ist. Dafür spielen hier zu viele Dinge mit rein, und im Zweifelsfall kann es etwas ganz Banales wie eine bestimmte defensive Formation sein, die den Coach oder den Quarterback anhand studierter Tendenzen des Gegners dazu bringt, an der Line of Scrimmage einen Run anzusagen.
- Und das bedeutet natürlich auch nicht, dass ein Team, das nur von Mathematikern betreut wird, die Liga dominieren würde. Coaching, individuelle Qualität der Spieler - all das ist entscheidender als Analytics; Glück, Zufall und Verletzungen spielen ebenfalls immer eine Rolle. Deshalb sollte man Analytics auch nicht mit absoluter Vehemenz als einzig wahre Antwort sehen oder darstellen. Den Reflex, sich gegen mehr Kontext und mehr übergreifendes Spielverständnis zu wehren, werde ich aber nie verstehen. In den sozialen Medien ist diese Debatte inzwischen von beidseitiger Arroganz und Provokationen geprägt. Das hilft niemandem.
- Um eine dieser Debatten aus der vergangenen Offseason aufzugreifen: Ich bin sehr gespannt, wie die "Pass-Rush vs. Coverage"-Debatte (Achtung: nicht schwarz-weiß verstehen!) weitergeführt wird. Die drastischen Verbesserungen der 49ers-Defense wurden primär durch einen deutlich verbesserten Pass-Rush angetrieben, während die Patriots und Ravens ihre Top-Defenses eindeutig über die Coverage aufbauten. Auch hier gilt: verschiedene Wege können zum Weg führen, insbesondere kurzfristig. Mein eigener Takeaway nach dieser Saison ist, dass der Fokus auf Coverage insgesamt mehr defensive Flexibilität gewährt und mehr Antworten auf die Pass-lastigen Offenses der Liga bietet.
Quarterbacks, Offenses - und wie geht es weiter?
- Individuell betrachtet hat die vergangene Saison für mich einmal mehr die enorme Bedeutung des Quarterbacks unterstrichen. Mahomes wäre da das Ausnahmebeispiel, doch auch was die Ravens um die einzigartigen Fähigkeiten von Lamar Jackson herum aufgebaut haben, die Art und Weise, wie Russell Wilson ein alles andere als fehlerfreies Seahawks-Team getragen hat, die Rookie-Saison von Kyler Murray, die Ausnahme-Saison von Matt Stafford bis zu seiner Verletzung, der Schalter, der in Tennessee mit dem QB-Wechsel umgelegt wurde - zu sagen, dass der Quarterback über alles entscheidet, wäre zu einfach. Und gleichzeitig kann man seine Bedeutung kaum überschätzen.
- Ein positiver Follow-Up: Die Liga ist auf dieser Position in sehr guten und sehr spannenden Händen. Jackson, Mahomes, Watson, Murray, Mayfield, man kann Namen wie Wentz oder Prescott noch dazu packen - die nächste Quarterback-Generation ist da, und wir können uns auch aus dieser Hinsicht auf die nächsten Jahre freuen.
- Und noch ein Follow-Up dazu: Eine andere Diskussion, auf die ich gespannt bin, ist die nach dem Quarterback-Typ, den Teams bevorzugen. Dafür haben wir mit der anstehenden Free Agency ganz klare Parameter: Wie gewichten Teams das Big-Play-Potenzial in Kombination mit der Turnover-Anfälligkeit eines Jameis Winston, verglichen mit dem sichereren Spiel eines Andy Dalton oder Teddy Bridgewater? Ich glaube, dass Winston einem im Vakuum betrachtet mehr Möglichkeiten gibt, aber er wird ein Team eben auch häufiger in den Wahnsinn treiben. Aber ich glaube auch, dass viele Coaches das anders sehen und lieber einen Quarterback mit höherer Base-Line und niedrigerem Ceiling nehmen, um dann um diesen herum gute Umstände zu bauen und so zu gewinnen.
- Mit Blick auf die weitere Entwicklung des Spiels bin ich sehr gespannt, was Teams versuchen werden, zu imitieren oder zu intensivieren. Sehen wir einen Abklatsch der Ravens-Offense mit einem Option-Quarterback? Sehen wir einen weiteren Anstieg in Fourth-Down-Aggressivität? Fokussieren sich Teams auf die Trenches und die Line of Scrimmage (O-Line, D-Line), oder die Perimeter (Receiver, Cornerbacks)? Gehen Teams in ihren Ansätzen weiter ins Extrem und ziehen das Spektrum damit weiter aneinander, oder findet wieder eine Annäherung in manchen Bereichen statt?
Die gute Nachricht: In der Free Agency und im Draft zeigen GMs und Coaches uns am ehrlichsten, was sie mit ihrem Team vorhaben. Und dieser spannende Part der Offseason steht vor der Tür.
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Zukunft in SF und KC, Titelkandidaten, AFC East - Eure Fragen
MintBerry8Crunch und Benjamin Seidl : Mit einer besseren Leistung von Jimmy G hätten die 49ers vermutlich gewonnen. Fehlt ihnen zum ganz großen Wurf der ganz große QB? Wie siehst du die kurzfristige Zukunft der 49ers?
In gewisser Weise schließt das an einen der "Saison-Takeaway"-Punkte an: Ja, man kann in der NFL ohne einen Top-8-Quarterback gewinnen. Aber es ist unheimlich schwierig, und man hat minimalen Spielraum für Fehler. Mit dem im Hinterkopf, es wäre unfair, Garoppolo als eine Art "Klotz am Bein" zu charakterisieren. Dafür hatte er auch zu viele wirklich gute Spiele in dieser Saison und auch im Super Bowl brachte er mehrere schwierige Pässe in enge Fenster an.
Das Thema, auf das man dann immer wieder zurückfällt - ähnlich wie bei Jared Goff nach dem Super Bowl im Vorjahr - ist für mich dieses: Wie viel kreiert der Quarterback zusätzlich? Was macht er gegen Druck, oder wenn das Play-Design zusammenbricht? Wie häufig findet er Schwachstellen in der Defense und kann diese attackieren? Und ganz simpel gesagt, wäre Garoppolo in diesen Aspekten am Sonntag besser gewesen, wäre San Francisco heute Super Bowl Champion.
Gleichzeitig kann man auch nicht sagen, dass ihnen "der ganz große Quarterback fehlt"; gelingt den Chiefs nicht dieser perfekte Play-Call mit dem langen Pass zu Hill, kippt das Spiel womöglich überhaupt nicht. So ist es immer ein Drahtseilakt, und natürlich hätte jeder Coach am liebsten Patrick Mahomes. Aber man kann mit Garoppolo gewinnen, genau wie man mit Goff gewinnen kann.
Es muss eben drum herum alles passen, das ist der maßgebliche Unterschied - während die Chiefs auf der anderen Seite zwei verkorkste Viertel am Sonntag oder einen absoluten Horror-Start gegen Houston "einfach" vergessen lassen können.
itcounts610 : Wer aus der AFC hat am ehesten das Potenzial, den Chiefs und Ravens über die nächsten Jahre gefährlich zu werden?
Ich werde hier immer die Patriots nennen, solange Belichick der Coach und Brady der Quarterback dieses Teams sind. Wenn die anstehende Offseason sitzt und New England die offensiven Problemzonen mit der nötigen Vehemenz adressiert, ist New England mal mindestens nächstes Jahr abermals ein Titelkandidat.
Die Texans würde ich hier gerne noch viel prominenter nennen, weil Deshaun Watson ein toller Quarterback und DeAndre Hopkins ein noch besserer Wide Receiver ist. Aber ich habe meine Mühe damit, für Houston noch einen Schritt nach vorne zu prognostizieren, solange Bill O'Brien - jetzt fester denn je - die Zügel in der Hand hält.
Ansonsten, perspektivisch betrachtet: Die Colts wären für mich der spannendste Kandidat. Indy hat noch immer wirklich gute Strukturen und Umstände, sowie einen GM und Head Coach, von denen ich überzeugt bin. Hier wird die zentrale Frage lauten, welchen Weg Indianapolis auf der Quarterback-Position einschlägt. Versucht man, mit Philip Rivers kurzfristig anzugreifen? Holt man sich sogar, und das wäre meine absolute Lieblingsvariante, Jameis Winston? Oder wird es eine "Brissett plus Rookie"-Konstellation?
Indianapolis hat für mich, nach den genannten Kandidaten, mit das meiste Potenzial in der AFC und könnte mit jeder Menge Cap Space im März auch sehr aggressiv werden, sollte man vom bisherigen Kurs abweichen. Um dieses Potenzial aber auch umzusetzen, muss man sich auf der wichtigsten Position sehr kritisch hinterfragen.
Richard WORLD CHAMPION Turkowitsch : Mahomes' Rookie-Vertrag neigt sich dem Ende zu - wird das jetzt eine Russell-Wilson-Wende nehmen und mit weniger Geld für die ganzen Offensivwaffen wird es schwieriger? Oder werden die Chiefs jetzt eine Dynastie und ich werde mich bald rechtfertigen müssen wie alte Patriots-Fans?
Die "gute" Nachricht ist, dass ich davon überzeugt bin, dass wir eine Dynastie wie die der Patriots für sehr lange Zeit nicht mehr sehen werden. Ganz simpel formuliert, weil die Kombination aus dem - und ich glaube das können wir so festhalten - besten Head Coach und besten Quarterback aller Zeiten eine schwer kopierbare Erfolgsformel ist.
Das macht die Leistungen der Patriots über die letzten 20 Jahre umso eindrucksvoller, doch die Liga ist mit ihren Rahmenbedingungen darauf ausgelegt, lange dominante Teams zu unterbinden. Und abgesehen von den Patriots funktioniert das auch gut.
Doch was wir neben den Patriots in den letzten 20 Jahren auch hatten, waren Teams, die über mehrere Jahre stark waren. Die Packers, die Saints, die Seahawks und Steelers wären solche Kandidaten über die letzten zehn Jahre. Und ich glaube, Kansas City hat - wie ich im Nachbericht ausführlicher geschrieben habe - die besten Voraussetzungen in der gesamten NFL, um das nächste Team zu sein, das am konstantesten über die nächsten fünf Jahre zum engsten Titelanwärter-Kreis gehört.
Wahr ist aber auch, dass es finanziell jetzt in jedem Fall schwieriger wird; genau wie die Tatsache, dass Glück letztlich hier auch immer eine Rolle spielt. Brees und Rodgers haben ihren Titel gewonnen - und waren anschließend nicht mehr im Super Bowl. Beide haben seither unglaubliche Meltdowns und Niederlagen ihrer Teams in den Playoffs erlebt (die Packers-Niederlage in Seattle etwa, die Pleiten der Saints in Minnesota und letztes Jahr gegen die Rams), an denen sie selbst vergleichsweise wenig Schuld hatten.
Es gibt also mit Sicherheit einen Pfad für die nächsten zehn Jahre, der die Chiefs auf den Packers-Weg von 2010 bis 2020 bringt. Der beste Quarterback der Liga, regelmäßige Playoff-Runs - aber eine weitere Titel-Chance bleibt dem Team verwehrt, aus verschiedenen Gründen.
Ich persönlich glaube nicht, dass das passiert, weil ich die Strukturen in Kansas City als besser erachte; wenn ich heute raten müsste, würde ich sagen, dass Kansas City über die nächsten fünf Jahre einen weiteren Super Bowl gewinnt. Aber das ist natürlich extrem spekulativ und trotz einer guten Ausgangslage eben im Zweifelsfall auch von kleinsten Faktoren abhängig.
Micho Gori : Welches Team in der AFC East siehst du am ehesten in der Lage, die Patriots in spätestens drei Jahren an der Spitze der Division abzulösen und warum?
Sehr gute Frage, die ich tatsächlich ziemlich schwierig finde (Eure Optionen gerne in die Kommentare). Miami finde ich aufgrund des Potenzials und des Punkts, an dem die Dolphins in ihrem Rebuild jetzt stehen, am reizvollsten. Die Dolphins sind aber natürlich mit weitem Abstand die größte Wundertüte. Wenn der Quarterback im kommenden Draft sitzt und Flores sich weiter als die richtige Head-Coach-Wahl entpuppt, hat Miami die Ressourcen, um die Division über die nächsten zwei bis drei Jahre auf den Kopf zu stellen.
Realistischer wäre Buffalo. Dort sind die Umstände bereits da (ein sehr guter Kader, ein guter Coaching-Staff, eine intelligent geführte Franchise) - mit natürlich einem zentralen Fragezeichen namens Josh Allen. Allen hat mich in der Regular Season positiv überrascht, daran hat sich nichts geändert; trotzdem glaube ich, dass die Bills mit ihm immer nach oben ein Limit haben werden. Doch die Bills waren schon dieses Jahr nah dran an den Pats, und sollte Buffalo halbwegs auf diesem Kurs bleiben können, sind die Bills hier meine Antwort.
Wahr ist aber auch, und das macht es umso schwieriger, dass mit den Patriots und Bills die beiden besten Teams der Division in diesem Jahr maßgeblich über die Defense funktionierten; und es ist kein Geheimnis, dass Defense von Jahr zu Jahr deutlich inkonstanter ist als Offense. Können die Bills also offensiv noch einen Schritt nach vorne machen? Vielleicht würde das - je nachdem was insgesamt in Foxboro passiert - schon reichen, um 2020 nach der Division-Krone zu greifen.
Die Jets habe ich hier aktuell nicht auf dem Zettel. Nüchtern betrachtet natürlich eher als die Dolphins, die einfach noch einen weiten Weg vor sich haben und viele richtige Entscheidungen treffen müssen. Aber New York hat in meinen Augen defensiv, in der O-Line und womöglich auch im Trainerstab zu große Baustellen, als dass ich hier etwa sehe, dass die Jets auf einen Schlag Buffalo hinter sich lassen.