Josep Bartomeu gilt auf den ersten Blick als Befürworter von Kontinuität. Im Januar 2014 zum Präsidenten des FC Barcelona gekürt, entließ der spanische Geschäftsmann nie einen Trainer mitten in der Saison. Vor zwei Wochen brach er aber mit dieser Tradition und zeigte dem schon länger kritisierten Ernesto Valverde in der Hoffnung die Tür, einer körperlich wie mental ausgelaugt daherkommenden Ansammlung von Stars einen neuen Impuls zu verleihen.

Trainer-Novize Xavi Hernandez sollte als Nachfolger für Valverde kommen, Bartomeu glaubte offenbar an ein Märchen, wie es Zinedine Zidane mit seinem dreijährigen Triumphzug in der Champions League beim Erzrivalen Real Madrid vollbrachte. Klub-Legende Xavi aber verfolgte andere Pläne. Er sei noch nicht so weit, sagte der 40-Jährige, der nach seinem aktiven Karriereende im Mai 2019 beim al-Sadd Sport Club in Katar den Posten des Trainers übernahm. Stattdessen fand Quique Setien den Weg nach Katalonien.

Es war die weniger spektakuläre Lösung, schließlich hatte Setien zuvor nur bei spanischen Provinz- oder Mittelfeldklubs wie CD Lugo, UD Las Palmas oder Real Betis an der Seitenlinie gestanden und kam praktisch ohne nennenswerte Erfolge zu seinem neuen Arbeitgeber. In Barcelona waren sie aber vor allem von Setiens Spielphilosophie überzeugt. Der 61-Jährige gilt als Verfechter des Tiki-Taka, des technisch anspruchsvollen Ballbesitzfußballs, der im Camp Nou seit dem Abgang von Pep Guardiola im Jahr 2012 schrittweise außer Mode geriet. "Für mich ist es wichtig, dass wir neben erfolgreichem auch attraktiven Fußball spielen", erklärte er bei seiner Vorstellung.

Barca-Experte beklagt Kaderzusammenstellung

In seinen ersten drei Spielen an der Seitenlinie musste der Fußballlehrer aus Santander aber feststellen, dass er anders als damals Guardiola nicht über eine Mannschaft verfügt, die im Kollektiv funktioniert, sondern vor allem von einem Spieler abhängig ist: Lionel Messi. Die Genialität des argentinischen Ausnahmekönners mag gegen die meisten Gegner in der spanischen Liga zwar genügen, in der Champions League jedoch nicht, wie die verlorenen K.o.-Duelle mit dem FC Liverpool oder der AS Rom in den vergangenen beiden Jahren verdeutlichten. Und steht Messi einmal neben sich wie am vergangenen Wochenende bei der 0:2-Niederlage gegen den FC Valencia, als er mehrere Großchancen ausließ, hat die Mannschaft keine Antworten parat.

"Setien ist ebenso wenig das Problem, wie Valverde es war. Er ist aber auch nicht die Lösung", findet Goal -Korrespondent Ignasi Oliva Gispert. Der Reporter, der den Klub täglich begleitet, sieht die Zusammenstellung des Kaders als größte Hürde. Dieser bestehe hauptsächlich aus durchschnittlichen oder alternden Spielern, die sich stetig von der Weltklasse entfernen. "Gerard Pique, Jordi Alba und Sergio Busquets, um drei Beispiele zu nennen, sind nicht mehr die Spieler, die sie einst waren."

Für Oliva haben neben Messi nur drei Akteure das Zeug dazu, um auf dem höchsten europäischen Level mitzuhalten: Marc-Andre ter Stegen, Frenkie de Jong und Antoine Griezmann. De Jong zeigte in Valencia jedoch seine bislang schlechteste Leistung im Barca-Trikot, während Griezmann praktisch seit seiner Ankunft im Sommer seiner Topform hinterherhinkt, weil er anders als bei seinem Ex-Klub Atletico Madrid nicht auf seiner angestammten Position eingesetzt wird.

Griezmann spielt meist auf dem Flügel, obwohl seine Stärken eigentlich am besten aus einer etwas tieferen Position im Zentrum zur Geltung kommen. Diese Rolle nimmt Weltfußballer Messi ein. Der kann mit seinen gefürchteten Dribblings und Abschlüssen aber auch nicht immer die fehlende Durchschlagskraft und Schnelligkeit im letzten Drittel kaschieren.

Die schwierige Suche nach einem Suarez-Ersatz

Ansu Fati, einer der wenigen verheißungsvollen Kicker aus der einst hochgepriesenen Talentschmiede "La Masia", ist mit seinen 17 Jahren noch zu jung, um diese Probleme auszumerzen. Schon eher prädestiniert dafür wäre der fünf Jahre ältere Ousmane Dembele. Der frühere BVB-Profi scheint aber auch in Barcelona zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, so begründet der gut vernetzte Oliva die vielen Verletzungen des Franzosen mit dessen "weniger professionellem Lebensstil". Dembele gilt nicht als Partytier, soll sich aber schlecht ernähren und bis tief in die Nacht an seiner Spielkonsole hängen.

Ein ähnliches Verhaltensmuster wird auch Arthur Melo, einem 23 Jahre alten Mittelfeldakteur aus Brasilien, nachgesagt, der nach vielversprechendem Start vor einem Jahr stetig abbaute.

Zu allem Überfluss kommt die Verletzung von Luis Suarez hinzu, dem Spieler, mit dem sich Messi auf und neben dem Platz am besten versteht. Der 33 Jahre alte Stürmer aus Uruguay wird wegen einer Knie-Operation erst im Mai zurückerwartet, weshalb der Klub seit Wochen versucht, einen Ersatz an Land zu ziehen. Das Problem: Barca will keinen zweiten Kevin-Prince Boateng, sondern am liebsten einen Torjäger im besten Alter, der sofort trifft und trotzdem keine Unsummen kostet.

Potenzielle Kandidaten gibt es in der Theorie reichlich, die Realisierung eines Transfers im Winter gestaltet sich jedoch als äußerst komplex. Mit dem spanischen Nationalstürmer Rodrigo etwa war man sich zu Beginn der Woche bereits einig, kam aber nicht auf einen Nenner mit dessen Arbeitgeber Valencia. Die Fledermäuse sollen ihrem Ligarivalen einen sofortigen Kauf in Höhe von 60 Millionen Euro oder eine Leihe mit verbindlicher Kaufoption im Sommer angeboten haben.

Druck auf Präsident Bartomeu wächst

Barca hingegen wäre eine Leihe ohne Kaufoption lieber gewesen, um sich im Sommer alle Optionen bei dem schon lange als Wunschkandidat geltenden Lautaro Martinez offenzuhalten, den Inter Mailand im Kampf um die italienische Meisterschaft aktuell nicht freigeben möchte. Und es ranken sich ja auch noch Gerüchte um eine Rückkehr des brasilianischen Superstars Neymar nach der Saison, die ebenfalls kostspielig wäre.

Die Barca-Bosse müssen sich entscheiden, ob sie entweder jetzt oder erst im Sommer die große Schatulle öffnen. Setien dürfte auf Ersteres hoffen. Nur mit viel Ballbesitz wird er sich wohl kaum über eine Weiterbeschäftigung über den Sommer hinaus empfehlen können. Auch wenn sein Vertrag in Barcelona offiziell bis 2022 läuft - und er in Bartomeu einen großen Fürsprecher hat. "Wir haben totales Vertrauen in ihn, seine Philosophie und Denkweise gefallen uns", sagte der Barca-Präsident am Mittwoch in einem Interview mit Mundo Deportivo über Setien. "Es ist für keinen Trainer einfach, es sind ja erst wenige Spiele und Trainingseinheiten absolviert. In Kürze werden wir positive Veränderungen sehen."

Anderenfalls dürfte es auch für Bartomeu selbst ungemütlich werden. Nicht wenige Fans sind gegen ihn und sprechen sich gegen eine Wiederwahl im Jahr 2021 aus. Und auch hinter den Kulissen brodelt es schon länger. Allein in den vergangenen fünf Jahren wechselte Bartomeu viermal seinen Sportdirektor. Kontinuität sieht dann irgendwie doch anders aus.

Die nächsten fünf Pflichtspiele des FC Barcelona

Datum Uhrzeit Gegner Wettbewerb 30. Januar 19.00 Uhr CD Leganes (H) Copa del Rey 2. Februar 21.00 Uhr UD Levante (H) LaLiga 9. Februar 21.00 Uhr Real Betis (A) LaLiga 15. Februar 16.00 Uhr FC Getafe (H) LaLiga 23. Februar Noch unbekannt SD Eibar (H) LaLiga