"Er wird völlig falsch eingesetzt, aber schau ihn dir an: Der Junge ist völlig außer Form." So lautete das vernichtende Urteil eines serbischen Journalisten, als bei der Weltmeisterschaft in China während des Spiels um Platz fünf gegen die Tschechen darüber gefachsimpelt wurde, warum die Serben ein enttäuschendes Turnier spielten und Jokic als einer der großen Stars dem Event nicht seinen Stempel aufdrücken konnte.

Es waren beides valide Punkte, Jokic wirkte an der Seite eines weiteren Centers isoliert, die Show gehörte Bogdan Bogdanovic, der unter Anleitung (oder Ohnmacht) von Coach Sasha Djordjevic Hero Ball spielte, während Jokic nur hin und wieder aufposten konnte. "Sie setzen ihn wie Maik Zirbes ein, dabei ist Jokic einer der besten Passgeber der NBA."

Zum Glück ist besagter Jokic aber bei den Denver Nuggets angestellt, welche im Serben etwas anderes als Maik Zirbes, einen bulligen Center, der sich einst bei Crvena Zvezda in die Herzen der serbischen Fans spielte, sehen. Jokic ist hier Dreh- und Angelpunkt und trotzdem hatte der Serbe nach seiner MVP-würdigen vergangenen Spielzeit zunächst große Probleme daran anzuknüpfen. Auch das Gewicht spielte hier eine Rolle, der Joker brachte satte 128 Kilo beim Trainingsauftakt auf die Waage, fast 15 mehr als noch im Vorjahr.

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Nikola Jokic: Schwacher Saisonstart und mentale Blockade

So verwunderte es nicht, dass die Fans zunächst World-Cup- und nicht MVP-Jokic zu sehen bekamen. Der Center schleppte sich nur über das Feld und brachte Coach Michael Malone an der Seitenlinie mehrfach zur Weißglut. Auffällig war auch, dass Jokic immer wieder Foulprobleme hatte, da er oft zu langsam war und aus Frust absichtliche Fouls beging, ein Luxus, den sich Superstars, vor allem Big Men, nicht leisten können.

Bis zum Beginn des Dezembers legte der Center so nur 15,6 Punkte, 10,0 Rebounds sowie 6,0 Assists pro Spiel auf. Für viele Spieler wäre dies eine traumhafte Statline, aber Jokic legte die Messlatte in der Vergangenheit so hoch, dass dies eine mittelschwere Enttäuschung darstellte. Die Nuggets hielten sich zwar dennoch in der Spitzengruppe im Westen, Platz 18 im Offensiv-Rating spiegelte aber die Formkrise von Jokic wider.

Es war die Defense, welche Denver (Platz 1 bis Ende November) über Wasser hielt. Die Spiele waren selten schön anzusehen, stattdessen wurde ein Pflichtsieg nach dem anderen eingefahren. Als Quarterback leitete der Joker zwar weiter die Offense, doch er selbst agierte als abschließender Spieler meist unglücklich. Aus der Distanz waren viele Versuche zu kurz, eine Quote von 25 Prozent von Downtown schlichtweg unterirdisch.

Gegnerische Verteidigungen hatten einen Konsens gefunden, dass man gut damit leben kann, wenn Jokic offen gelassen wird. Auch weil der Center schlichtweg nicht darauf gepolt ist, in jedem zweiten Angriff den Ball vom Perimeter fliegen zu lassen.

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Nikola Jokic: Der Dreier öffnet das Nuggets-Spiel

"Das war für ihn mental sehr schwer", befand Malone, als er über die gegnerischen Verteidigungen befragt wurde. "Er hat sich ständig die Frage gestellt: 'Ich bin frei, aber soll ich diesen Wurf wirklich nehmen?'" Zwischenzeitlich blieb der Joker sechs Spiele lang ohne erfolgreichen Dreier bei immerhin elf Versuchen.

Das Selbstvertrauen kehrte erst im Dezember zurück, als die Nuggets jede Menge Heimspiele und einige leichte Gegner hatten. Jokic wirkt inzwischen etwas schlanker und spielt auch wieder mit mehr Selbstvertrauen, der Dreier fällt zu 41 Prozent. "Der Distanzwurf ist Teil meines Spiels", erklärte Jokic nach einem Spiel gegen Orlando. "Wenn ich sie treffe, hilft das nicht nur meinem Spiel, es hilft der ganzen Gruppe."

Und wie es das tut. Trotz einiger Verletzungssorgen (Jamal Murray, Paul Millsap) haben die Nuggets ihren Platz in der Spitzengruppe verteidigt, während Jokic endlich wieder aggressiver seinen Wurf sucht. So legte er in Atlanta mit 47 Punkten ein neues Career-High auf, um zwei Tage später in Dallas einen Gamewinner zu versenken.

Nikola Jokic: Seine Saison-Splits

Minuten Punkte FG% 3P% Rebounds Assists Saison 18/19 31,1 20,1 51,1 30,7 10,8 7,3 Saison 19/20 31,5 19,4 51,2 32,9 10,0 6,3 bis 30.11. 31,0 15,4 45,8 23,3 10,4 6,0 seit 1.12. 31,9 21,9 54,4 39,6 9,7 6,6

Jokic: Wenn er voll konzentriert ist ...

Unabhängig davon zeigte der Serbe im Spiel gegen die Mavs etwas, was ihm viele Kritiker noch in der Vergangenheit abgesprochen hatten, nämlich die Fähigkeit ein Spiel zu übernehmen. Im Post verspeiste er diverse kleinere Gegenspieler, wenn er am Perimeter blieb, nahm er die Würfe ohne jegliches Zögern, das Zusammenspiel mit Murray bleibt weiter schwer zu verteidigen.

Die Assist-Zahlen sind ein wenig zurückgegangen, was auch an Denvers teilweise fehlendem Shooting liegt, die Effizienz in den eigenen Aktionen ist dagegen noch einmal besser als in der vergangenen Saison. "Wenn Nikola voll konzentriert ist, dann passieren gute Sachen", stellte Malone nach den zuletzt überzeugenden Vorstellungen fest.

Es ist gleichzeitig aber auch eine versteckte Kritik an Jokic, der auch jetzt noch in einigen Spielen phlegmatisch wirkt und die Regular Season nicht immer völlig ernst nimmt oder bei harter Gangart des Gegners die Lust verliert und dann keine gute Körpersprache zeigt. Auch das ist Teil der Strategie, wie viele Teams gegen Denver auftreten.

Denver Nuggets: Die Defense bereitet Sorgen

Am hinteren Ende ist es dagegen schwer einzuschätzen, ob Jokics noch immer teils fragwürdige Defense eine Einstellungssache ist. Von allen Big Men, welche wichtige Rollen in ihrem Team einnehmen, lässt Jokic nach Kevin Love die höchste Quote am Ring zu (66,7 Prozent). Es bleibt viel zu leicht, gegen Denver in der Zone zu scoren.

Nach einem guten Start, als Denver zwischenzeitlich die beste Verteidigung der Liga stellte, was vermutlich auch Glück aufgrund schwacher Gegner-Quoten aus der Distanz war, ist die Defense der Nuggets in den vergangenen Wochen komplett eingebrochen. Seit dem 1. Dezember lassen die Nuggets 111,1 Punkte auf 100 Ballbesitze hochgerechnet zu, das ist für ein Spitzenteam viel zu viel und nur unterer Durchschnitt in der NBA.

Die On-/Off-Zahlen stellen hierbei jedoch keine Verbindung zu Jokic her, im Gegenteil, Denver verteidigt ohne den Serben sogar noch einen Tick schlechter. Helfen tut Jokic aber nur bedingt, auch wenn er gut darin ist, den Ballbesitz zu sichern. Es zeigt aber auch, dass Denver vielleicht doch noch einen guten Verteidiger braucht, der ebenso Gefahr aus der Distanz ausstrahlt, vor allem im Hinblick auf Duelle mit den L.A.-Teams, welche auf dem Flügel exquisit besetzt sind.

Darüber hinaus wird es einen engagierten und überragenden Jokic brauchen, in einer Form, in der er sich seit Dezember befindet. Dann können auch die Nuggets mit ein bisschen mehr Erfahrung ein brandgefährliches Team in der Postseason sein.