Schnelligkeit, Trickreichtum, Torgefahr - man könnte meinen, Zinedine Zidane steht von all dem mehr als genug zur Verfügung. "Ich verlange nichts", pflegt der Trainer von Real Madrid in Bezug auf die Zusammenstellung seines Kaders zu sagen. Trotzdem werden seine Vorgesetzten nicht müde, ihm einen Hochbegabten nach dem anderen zu präsentieren. Insbesondere aus Brasilien.
Reinier Jesus, Offensivspieler, Jahrgang 2002, kommt vom brasilianischen Meister und Copa-Libertadores-Sieger Flamengo aus Rio de Janeiro in die spanische Hauptstadt und unterschreibt einen Vertrag bis 2026. Kostenpunkt: 30 Millionen Euro. Viel Geld für einen 18-Jährigen - und doch ist Reinier immerhin günstiger als seine beiden Landsmänner Vinicius Junior und Rodrygo Goes, für die jeweils 15 Millionen Euro mehr gezahlt wurden. Allerdings soll Reinier anders als die ein Jahr älteren Vinicius und Rodrygo erst einmal in der Castilla, der zweiten Mannschaft der Königlichen, auflaufen, wenn Mitte Februar sein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Reinier Jesus: Reals neuer Kaka?
Zidane kann die Verantwortung für den auch lange von Ajax Amsterdam, Manchester City und dem FC Liverpool umworbenen Neuzugang also erst einmal getrost auf Raul Gonzalez Blanco schieben, den Trainer der zweiten Mannschaft, die aktuell in der dritten spanischen Liga aktiv ist. Für die nicht allzu ferne Zukunft haben sie in Madrid aber ganz genau Vorstellungen, was mit Reinier passieren soll: Sie sehen ihn zusammen mit dem Norweger Martin Odegaard (21) und dem Japaner Takefusa Kubo (18) um das Erbe von Spielgestaltern wie Luka Modric (34), James Rodriguez (28) oder Isco (27) streiten.
"Reinier ist auch im Sturmzentrum einsetzbar", sagt Flamengo-Trainer Jorge Jesus. "Seine Stärken kommen aber am besten im offensiven Mittelfeld zur Geltung. Er hat eine tolle Übersicht, ist ein intelligenter und für sein Alter körperlich sehr starker Spieler." Sein fortan ehemaliger Mannschaftskollege Filipe Luis vergleicht den 1,85 Meter großen Rechtsfuß bereits mit dem legendären Kaka. "Er hat wie Kaka immer den Kopf oben und ist im Strafraum eiskalt. Mit dem Rücken zum Tor hat er sogar noch mehr Qualität als Kaka", behauptet der frühere Verteidiger von Reals Stadtrivale Atletico. Sein Fazit: "Ein Top-Transfer, zu dem man Real nur gratulieren kann."
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Reinier im Steckbrief
geboren 19. Januar 2002 in Brasilia, Brasilien Größe 1,85 m Gewicht 73 kg Position offensives Mittelfeld/Sturm starker Fuß rechts Stationen CR Vasco da Gama Jugend, Botafogo FR Jugend, Fluminense Rio de Janeiro Jugend, Flamengo Jugend, Flamengo Spiele/Tore/Vorlagen als Profi 15/6/2
Reals besondere Verbindung zu Brasilien
Reinier als neuer Kaka zwischen den pfeilschnellen Vinicius und Rodrygo. Gut möglich, dass Reals Offensive der Zukunft nahezu ausschließlich aus Brasilianern besteht. Dass Real das Land der Samba-Kicker abgrast, hat mittlerweile Tradition. Das liegt zum einen an Florentino Perez, dem Real-Präsidenten, der schlichtweg eine Schwäche für Fußballer vom Zuckerhut hat.
In seiner ersten Amtszeit von 2000 bis 2006 holte Perez Galacticos wie Ronaldo, Robinho, Julio Baptista oder Cicinho nach Madrid. Von reichlich Bling-Bling waren diese Transfers gekrönt, von sportlichem Erfolg hingegen eher weniger. Aber: Durch sie mutierte der Klub zu einer Marketingmaschine in Südamerika und erweiterte sein dortiges Scoutingnetzwerk stetig. "Brasilien ist ein wichtiger Markt für uns", glaubt Perez. Umso härter traf ihn in seiner zweiten Amtszeit die gescheiterte Verpflichtung von Neymar, der sich 2013 nach langem Hin und Her für ein Engagement beim großen Erzrivalen aus Barcelona entschied.
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Juni Calafat: Reals Chefscout ist Brasilianer
Anstelle des brasilianischen Superstars fand Gareth Bale den Weg nach Madrid, was sich im Nachhinein keineswegs als schlechte Wahl herausstellte, schließlich erzielte der Waliser in zwei Champions-League-Endspielen wichtige Tore. Perez wollte die Niederlage im Poker um Neymar trotzdem nicht auf sich sitzen lassen. Auf Geheiß seines engsten Vertrauten Jose Angel Sanchez, dem Generaldirektor der Blancos, machte er von einem nur Insidern geläufigen Experten Gebrauch: Juni Calafat.
Der bis 2014 nur als sporadischer Berater bei Real aktiv gewesene Talentspäher erhielt eine Festanstellung als Südamerika-Verantwortlicher. Heute ist der in Spanien geborene Brasilianer der Chefscout der Madrilenen. Viel ist nicht über ihn bekannt, er scheut das Rampenlicht und gibt auch keine Interviews. Ihm wird nur nachgesagt, in seiner Jugend ein begnadeter Futsal-Spieler in Mostoles, einem Vorort von Madrid, gewesen zu sein. Aus mangelnder Perspektive soll er sich aber relativ früh für eine Karriere neben dem Platz als Spielerbeobachter entschieden haben. Die spanische Zeitung ABC bezeichnet Calafat als "Fußballverrückten", der an die 100 Spielervideos pro Woche analysiere.
Calafats Glücksgriff Casemiro
Dass Calafat reichlich von seinem Handwerk versteht, wurde schon an seinem ersten Deal mit Real deutlich. Er war es in seiner Funktion als Berater nämlich, der Perez und Sanchez 2013 riet, Carlos Henrique Casemiro vom FC Sao Paulo zu verpflichten. Sechs läppische Millionen Euro zahlten die Königlichen für den defensiven Mittelfeldspieler, der heute zu den besten seiner Zunft zählt. Es war ein Glücksgriff, von dem Calafat enorm profitierte. Denn auch wenn sein zweiter großer Deal, der mit Lucas Silva, floppte, vertrauen ihm Perez und Sanchez seit dem Casemiro-Coup blind. Calafat fädelte in den vergangenen Jahren auch einige Transfers von Spielern aus anderen Nationen wie den von Marco Asensio, Brahim Diaz (beide Spanien), Fede Valverde (Uruguay), Martin Odegaard (Norwegen) oder Luka Jovic (Serbien) ein. Mal mehr, mal weniger teure Transfers von jungen Spielern mit Zukunftspotenzial.
Calafats favorisiertes Scoutingland ist und bleibt aber seine Heimat. Der Transfer von Reinier ist nun schon sein vierter Brasilien-Deal seit 2018. Zu den zusammen 90 Millionen Euro teuren Vinicius und Rodrygo gesellte sich zu Saisonbeginn auch noch der 22 Jahre alte Innenverteidiger Eder Militao, der dem FC Porto satte 50 Millionen Euro einbrachte. "Sie sind schon jetzt wichtig und werden noch wichtiger, aber gleichzeitig sind sie noch jung und müssen viel lernen", sagt Zidane. Für den Real-Trainer wird es zweifelsohne eine Herausforderung, seinem stetig wachsenden Angebot an brasilianischen Talenten gerecht zu werden.