Als Erling Haaland am Samstagnachmittag gegen 17 Uhr endgültig zur neuen Dortmunder Lichtgestalt auserkoren wurde, saß der bis vor kurzem einzige waschechte Stürmer im Kader der Borussen 430 Kilometer weiter nordwestlich wahrscheinlich auf dem heimischen Sofa. Für eine Nominierung hatte es für Paco Alcacer nicht gereicht - ausgerechnet gegen den Lieblingsgegner.
In jedem Einsatz gegen den FCA hatte Alcacer bislang getroffen. Diesmal hatte Lucien Favre seinen drittbesten Torschützen der laufenden Saison allerdings daheim gelassen. Mit Worten, die trotz der eher typisch sanften Artikulation des Schweizers gehörig widerhallten. Er habe "nicht das Gefühl, dass er bereit ist, uns heute zu helfen", sagte Favre vor dem Spiel. Sportdirektor Michael Zorc sprach von einer "nachvollziehbaren Entscheidung".
Rumms! Samthandschuhe werden derzeit offenbar nicht angezogen, wenn es um Alcacer geht. Die Formulierung ließ zudem eine vernichtende Auslegung zu: Ist der Stürmer nun nicht in der Lage, dem Team zu helfen - oder womöglich auch nicht willens? Zwar ruderte Favre später zurück und sprach bei Sport1 von "ein wenig Trainingsrückstand", doch seine ursprüngliche Aussage passte zu den Meldungen der letzten Tage und Wochen.
Paco Alcacer beim BVB angeblich unglücklich: Er spielt weniger und trifft gar nicht
Dabei wurde Alcacer nämlich im Training eine ausnehmende Lustlosigkeit nachgesagt - also eher schwache Leistungen statt Rückstand. Von der Mannschaft soll er sich abgekapselt haben, laut spanischen Medien soll er eine Rückkehr in die Primera Division forcieren. Als Gründe werden unter anderem Heimweh der Familie gehandelt, oder ein angespanntes Verhältnis zu Favre. Was genau dran ist, ist unklar.
Nicht geholfen haben dürften jedoch die abnehmenden Einsatzzeiten des 26-Jährigen. "Ich bin ein fröhlicher, witziger Mensch", gab er im Sommer bei Sky zu Protokoll, "aber wenn ich auf der Bank sitze, mag ich nichts mehr, dann bin ich ein komplizierter Typ, was mir selbst nicht gefällt."
Zu Saisonbeginn war der so oft von Wehwehchen geplagte Alcacer noch gesetzt - und traf wie am Fließband. Die ersten drei Bundesliga-Partien spielte er durch und erzielte vier Tore. Danach folgte jedoch kein einziger Einsatz mehr über 90 Minuten, im Oktober wurde er durch eine Achillessehnenreizung aus der Bahn geworfen.
Als er zurückkam, spielte er weniger, traf überhaupt nicht mehr - und Favre schaute sich anderweitig nach Toren um. Im Dezember lief der BVB fünfmal auf (viermal Bundesliga, einmal Champions League): Alcacer verbrachte zehn Minuten auf dem Rasen, dreimal saß er über die vollen 90 Minuten auf der Bank.
Paco Alcacers Bundesliga-Einsätze in der Hinrunde:
Spieltag Gegner Startelf Spielminuten Tore Vorlagen 1 Augsburg (H) Ja 90 2 1 2 Köln (A) Ja 90 1 3 Union Berlin (A) Ja 90 1 4 Leverkusen (H) Ja 78 1 5 Frankfurt (A) Ja 76 6 Bremen (H) Nein 18 10 Wolfsburg (H) Nein 1 11 Bayern (A) Nein 29 12 Paderborn (H) Ja 45 15 Mainz (A) Nein 5 17 Hoffenheim (A) Nein 5
Ob nun zuerst die Unzufriedenheit kam und danach die Torflaute und die wenigen Einsatzminuten, oder die Unzufriedenheit vor allem aus den schwächer gewordenen Auftritten auf dem Rasen entspringt, ist ohne Einblick ins Seelenleben Alcacers die Frage nach der Henne oder dem Ei. "Natürlich ist er mit der Situation, die sich zum Ende der Vorrunde ergeben hat, unzufrieden", sagte Zorc im dpa -Interview vor Beginn der Rückrunde. "Er war aber auch relativ häufig angeschlagen."
Fest steht: Der BVB reagierte auf das Sturmproblem - und die mangelnde Kaderplanung im vergangenen Sommer - und schlug bei Haaland zu. Alcacers Einsatzzeiten werden damit noch weiter zusammenschrumpfen. Und die Vereinsführung muss sich nun genau überlegen, ob sie den maulenden Angreifer durch die Saison ziehen oder doch noch bis zum 31. Januar verkaufen will.
Borussia Dortmund braucht Erling Haaland und Paco Alcacer
Kategorisch ausgeschlossen wird ein Abgang Alcacers in den kommenden Tagen nicht. "Das kann ich nicht sagen", antwortete Favre auf diese Frage, und auch Zorc ließ sich nicht in die Karten gucken: Man werde es mit den Beteiligten besprechen, "wenn was auf dem Tisch ist". Und auf diesem Tisch liege derzeit "nichts, worüber wir zu befinden hätten". In den letzten Tagen wurden Atletico Madrid, Valencia und Sevilla als mögliche Interessenten gehandelt. Alcacers Vertrag läuft bis 2023, verschenken würde ihn der BVB also auf keinen Fall.
Sportlich Sinn ergeben würde ein Transfer Alcacers ohnehin nicht. Er und Haaland sind unterschiedliche Spielertypen, mit unterschiedlichen Stärken und unterschiedlichen Spielweisen. Wo der Spanier der klassische Neuner ist und an der Abseitslinie lauert, bringt der Norweger eine bullige Robustheit mit sich, eine Alcacer abgehende Dynamik. Favre hätte erstmal wieder Optionen, die über einen zweckentfremdeten Mario Götze oder Thorgan Hazard hinausgehen.
Selbst wenn Haaland Alcacer schon nach einer guten halben Stunde Spielzeit endgültig den Rang abgelaufen hat, braucht es Alternativen: Favre bremste die Forderungen nach einem Einsatz in der Startelf, schließlich habe Haaland nach Knieproblemen noch Trainingsrückstand. Selbst wenn der 19-Jährige körperlich schon enorm weit ist: Eine komplette Runde auf diesem Niveau, in drei Wettbewerben, ist auch für ihn neu. Haaland wird seine Pausen brauchen, und hier und da Schutz vor dem auf ihn einprasselnden Hype.
BVB-Kaderplanung: Eigentlich muss Paco Alcacer bleiben
Ein Wechsel Alcacers würde die Kaderplanung des BVB überdies erneut ad absurdum führen. Man kann nicht mit einem einzigen Stoßstürmer in die Saison gehen, den Fehler schließlich zugeben und Ersatz holen - nur um den alteingesessenen Angreifer im gleichen Transferfenster abzugeben. "Wir hätten definitiv eine zweite Nummer neun verpflichten müssen", hatte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auf der Mitgliederversammlung im November zugegeben.
Natürlich könnte auch kurzfristig noch ein weiterer Stürmer verpflichtet werden. Doch eine solche preiswerte Verstärkung müsste erst einmal gefunden werden - und die Schwarz-Gelben würden mit zwei Angreifern in die Rückrunde gehen, die sich in Dortmund ein- und an das dortige System gewöhnen müssten. Dafür geht es in der Tabelle eigentlich zu eng zu.
Das Tischtuch zwischen Alcacer und dem BVB müsste schon komplett zerschnitten sein, um ihn noch im Januar abzugeben. Oder ein exorbitantes Angebot auf Zorcs Schreibtisch flattern. Darüber hinaus bleiben Alcacer nur die tröstenden Worte seines Sportdirektors: "Es gibt immer Spieler, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht richtig zufrieden sind. Das kann dann aber in drei Wochen schon wieder ganz anders aussehen." Eine Warnung gab es aber inklusive: "Damit muss ein Spieler professionell umgehen." Sonst bleibt erneut nur das heimische Sofa.