Es waren heiße Weihnachten in Australien. Das Land litt Ende Dezember unter der ersten großen Hitzewelle des Sommers - gepaart mit verheerenden Buschbränden, die auch rund um Melbourne tobten. In der Spitze herrschten 41,9 Grad im Landesdurchschnitt auf dem fünften Kontinent. Damit war der landesweite Temperaturrekord von 40,3 Grad aus dem Januar 2013 deutlich geknackt worden. Auch wenn die akute, weltweite Klimakrise die Temperaturen teils dramatisch verstärkt, ist große Hitze bei den Australian Open im Sommer von Melbourne nichts Neues. Schon 1998 sprang Jim Courier nach seinem Finalerfolg in den Yarra River, um sich abzukühlen.
Backofen, Sauna, Höllenhitze - mit diesen Schlagwörtern betitelt die Presse regelmäßig Berichte über das erste Tennis-Grand-Slam-Turnier des Jahres. 2019 haben die Organisatoren der Australian Open erstmals einen "Heat Stress Scale" eingeführt - eine Hitze-Regel, die anhand von aktuell erhobenen Wetterdaten bestimmte Maßnahmen vorsieht, um die Gesundheit der Spieler bei extremen Bedingungen zu schützen (siehe Grafik). Anlass dafür waren zahlreiche Beschwerden namhafter Spieler nach dem Turnier 2018, darunter Vorjahressieger Novak Djokovic. Der Serbe sagte nach einem Match bei knapp 40 Grad, es seien die härtesten Bedingungen gewesen, unter denen er jemals gespielt hätte.
Die "Heat Stress Scale" der Australien Open soll die Gesundheit der Athleten schützen. Sie basiert auf Echtzeit-Daten mehrerer Wetter-Messstationen im Melbourne Park. Einfluss nehmen die klimatischen Faktoren Lufttemperatur, Strahlungswärme der Sonne, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit. Ist Stufe Vier der Skala erreicht, kann bei den Frauen nach dem zweiten Satz sowie bei den Männern nach dem dritten Satz eine Pause von zehn Minuten eingelegt werden. Bei einer Fünf wird die Begegnung unterbrochen. In den Stadien mit Schiebedach - Rod Laver Arena, Margaret Court Arena und Melbourne Arena - kann das Match weitergeführt werden, wenn das Dach geschlossen ist.
Mehrere Kühlungsstrategien
Das Gefährliche bei Hitze: Es addieren sich zwei Wärmequellen, die äußeren Bedingungen und die Körperwärme. Daher ist es für den Körper enorm schwer, sich effektiv zu kühlen. "Der Wirkungsgrad bei Menschen beträgt nur 25 bis 28 Prozent", erklärt Professor Wilhelm Bloch, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln gegenüber Betway Sport . Das heißt, dass von 100 Kalorien die Muskeln nur weniger als ein Drittel in Bewegungsenergie umsetzen. Der Rest geht in die Wärmeproduktion. "Wir sind richtig gute Heizer. Deshalb hat unser Körper ein ausgeklügeltes Kühlsystem, um diese überschüssige Wärmeenergie abzugeben", so Bloch.
Schwitzen passt sich an
Die Kühlung geschieht hauptsächlich über die Körperoberflächen. Dazu zählt neben der Haut auch die Lunge. Millionen winziger Kapillaren transportieren Blut aus dem Körperinneren unter die Oberflächen, wo dann ein Wärmeaustausch stattfinden kann. Das funktioniert natürlich nur, solange die Außentemperatur deutlich niedriger ist als die Körpertemperatur. Ab etwa 30 Grad Celsius ist die Wirkung quasi futsch. Deshalb gibt es im Körper noch ein zweites Kühlsystem: Schweiß. Steigt die Köpertemperatur über die gewohnten 37 Grad transportieren Schweißdrüsen unter der Haut Flüssigkeit an die Hautoberfläche. Durch Verdunstung wird dem Körper dann Wärme entzogen. Je mehr Schweiß, desto mehr Kühlung. Die Schweißrate von untrainierten Menschen beträgt bei Aktivität etwa 1,5 Liter pro Stunde. Bei trainierten Sportlern ist sie um ein Vielfaches höher. "In so extremen Situationen haben Profisportler einen Schweißverlust von bis zu fünf Litern pro Stunde. Das ist mit Trinken nicht mehr zu kompensieren" so Prof. Bloch.
Pumpe kommt zum Erliegen
Problem: Mit dem Schweiß werden Mineralien wie Natrium, Kalium oder Magnesium nach außen transportiert. Sie sind jedoch wichtig für sämtliche Zellfunktionen - von der Muskelkontraktion bis zur Übertragung von Nervenimpulsen. "Natrium oder Kalium stellen zum Beispiel sicher, dass die Polarisation der Zellmembran im richtigen Verhältnis bleibt. Ist das nicht der Fall, ist die Zelle weniger oder nicht mehr erregbar", erklärt Prof. Bloch. Wer mehr schwitzt, muss also unbedingt mehr trinken, um ein Dehydrieren des Körpers zu vermeiden. Denn neben dem Elektrolyteverlust hätte das einen weiteren dramatischen Nachteil: Volumenmangel. Wenn im Gefäßsystem insgesamt zu wenig Flüssigkeit ist, führt das zu niedrigem Blutdruck. Das Herz hat schlicht zu wenig Pumpflüssigkeit, der Betroffene kollabiert. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer lebensgefährlichen "Hypovolämie".
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Bei den Australien Open gab es bereits mehrfach Fälle von Ohnmacht - bei Spielern, Ballkindern und Zuschauern. Besonders heikel ist die Situation auf den nicht überdachten Außenplätzen des Melbourne Park. 2019 brach hier die Deutsche Andrea Petkovic bei 35 Grad in der ersten Runde zusammen, noch bevor die neue Hitze-Regel Alarm schlug. Die Deutsche war durch Magenprobleme geschwächt in die Partie gegangen. Aber auch vollkommen gesunde Sportler klagen seit Jahren immer wieder über die krassen Bedingungen, spätestens seit der Bodenbelag 2008 von Rebound Ace auf Plexicushion umgestellt wurde. Der Hartplatzbelag aus einer Mischung aus Latex, Gummi- und Plastikpartikeln erhöht die Wärme auch unter den Füßen. Bei der Hitzewelle von 2014 berichteten Spieler, dass ihre Schuhe und Wasserflaschen zu schmelzen begannen. Der Kanadier Frank Dancevic sprach bei Temperaturen jenseits der 40 Grad gar von Halluzinationen: "Ich habe Snoopy gesehen. Das war verrückt."
Temperaturen sind nur ein Aspekt
Es ist aber nicht nur die reine Temperatur, die den Sportlern zu schaffen macht. Noch einflussreicher auf das Wohlbefinden ist die Luftfeuchtigkeit. Der Grund liegt auf der Hand: Je höher der Wassergehalt in der Luft, desto weniger Wärme kann dem Körper durch Verdunstung entzogen werden. Wind begünstigt hingegen die Verdunstung. Ebenfalls von Bedeutung ist die Strahlungswärme der Sonne. "Das kennt jeder Skifahrer, der bei Kaiserwetter trotz 0 Grad Außentemperatur im T-Shirt auf einer Hütte sitzt", veranschaulicht Prof. Bloch. Bei hohen Temperaturen wirkt sich diese Strahlungswärme negativ auf die neuronale Erregungsübertragungen im Gehirn aus. Man spricht vom Sonnenstich mit den typischen Symptomen Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, die oft erst verzögert auftreten. Bleibt die Körpertemperatur längerfristig über 40 Grad besteht die Gefahr eines Hitzschlags, im Unterscheid zum Sonnenstich erkennbar an hohem Puls, flacher Atmung und trockener Haut. Diese extremste Form der "Hyperthermie", die akut einsetzt, kann im schlimmsten Fall tödlich enden.
Stoffwechsel passt sich an
Gerade für Sportler ist es bei hohen Temperaturen also wichtig, die natürlichen Kühlungsfunktionen des Körpers durch entsprechende Maßnahmen zu unterstützen. Beim Tennis ist das durch die regelmäßigen Pausen vergleichsweise gut möglich. Sonnenschirme, Kühlwesten und Eiswasser gehören zu den üblichen Accessoires in Melbourne. An der Deutschen Sporthochschule Köln laufen bereits Test mit neuen Kühlpacks mit Karbonanteil, die die Kühlung länger aufrechterhalten sollen. "Haben sich die Sportler vor dem Turnier ausreichend für mindestens eine Woche klimatisiert, können sie so 40 Grad Außentemperatur für eine gewisse Zeit überstehen", sagt Prof. Bloch. Gefährlicher sei große Hitze eher für Breitensportler und Jugendliche. "Ein Jugend-Fußballturnier im Sommer sollte spätestens ab 35 Grad nicht mehr ausgetragen werden."
Prof. Dr. Wilhelm Bloch:
Der 59-Jährige war früher aktiver Leichtathlet und leitet seit 2004 das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln.