PRO:
Das sagt Hubert Gigler: Fußball ohne Publikum ist in der Anfangsphase der Rückkehr unumgänglich, er würde sonst viel zu lange stillgelegt sein. Es gilt, das Vertrauen der verängstigten Bürger durch behutsamen Klimawandel zurückzugewinnen.
In Zeiten wie diesen führt der im Fußball handelsübliche Begriff des „Geisterspiels“ an sich schon in die Irre. Denn wir befinden uns in einer Phase der menschlichen Existenz, welche in der vorliegenden Form zuvor schlicht und ergreifend unbekannt war.Die in den vergangenen Wochen verordnete partielle Vernichtung des mündigen Staatsbürgers in seiner Rolle als soziales Wesen hat das Leben in seiner Gesamtheit buchstäblich und dem Sinne nach auf den Kopf gestellt. Der den Menschen lenkende Geist scheint ausgeschaltet worden zu sein, er kann daher nur behutsam wieder auf die Beine kommen.
Der Fußball ist seit seiner Erfindung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bewährtes gesellschaftliches Bindemittel. Es hält sowohl den indirekten Kontakt zwischen Profi und Konsument als auch die unmittelbare Begegnung vieler Tausender Menschen in den Stadien und auf den von Amateurvereinen betriebenen Plätzen in einem aufrechten Nahverhältnis. Diesem bisher ewigen, scheinbar unentrinnbaren Zyklus wurde der Atem genommen, der Kreislauf ist unterbrochen. Zunächst hat das Coronavirus die gewählten Vertreter der Krone der Schöpfung zu exorbitanten, jeden bisher bekannten Rahmen sprengenden Maßnahmen veranlasst. Diese sorgten nicht nur für die Stilllegung des öffentlichen und bis auf kleinste Einheiten auch privaten Lebens, sondern erzeugten auch ein Klima von Angst, Misstrauen und tiefer Verunsicherung.
Wer nun die aufgetürmten äußeren und inneren Schranken wieder abbauen will, muss vorerst das Vertrauen des auf vielfache Weise in die Enge getriebenen Bürgers zurückgewinnen. Dies kann nur schrittweise erfolgen. Auf den Fußball umgelegt bedeutet das ein vorsichtiges Herantasten ohne Publikum. Der Einwand, dies münde in leb- und seelenlose Darbietungen, mag durchaus berechtigt sein. Aber zumindest verspüren die Profis am eigenen Leib, dass eine Rückkehr wieder möglich sein kann, und gleichzeitig wird dem Fernsehzuschauer die Wiederaufnahme eines wenigstens kleinen Ausschnitts der zuletzt überstrapazierten „Normalität“ vor Augen geführt. Die auf diese Weise vermittelte Botschaft kann die Hoffnung auf baldige Genesung der Gesellschaft durchaus viral gehen lassen. Das Volk hat ein Recht darauf.
Fußball bewegt und er ist in der Lage, einen großen Beitrag zu leisten, wenn es darum geht, den Menschen das Leben zurückzugeben. Dies kann nur sukzessive erfolgen, so lange, bis der Klimawandel auch wieder Publikum erlaubt.
KONTRA:
Das sagt Michael Lorber: Der vom Kapitalismus dominierte Fußball kann ohne Fernsehgeld nicht überleben. Anstatt das System zu hinterfragen und zu reformieren, werden Partien ohne Fans, die Computerspielen ähneln, in Kauf genommen.
Er befindet sich auf der Intensivstation. Wie Covid-19-Patienten. Angeschlossen an Beatmungsgeräte ringt er um Sauerstoff. Mit dem Tode ringend geht es nur um eines: das nackte Überleben. Der Hauptdarsteller dieser Schilderung ist keineswegs ein Mensch, sondern der Fußball. Ihm hat Corona eine wahre Blutgrätsche verpasst. Frauen-, Amateur- und Jugendmeisterschaften wurden schon längst abgebrochen. Ohne Fans würden Spiele das K. o. bedeuten. Keine Eintrittsgelder, keine Kantineneinnahmen, keine Zukunft.
Im Profibereich sieht die Sachlage deutlich anders aus. Mit Geisterspielen, also ohne Zuseher im Stadion, sollen etwa in Österreich und Deutschland die Meisterschaften plangemäß zu Ende gebracht werden. Der Hintergrund: das Fernsehgeld.Dutzende Millionen (Österreich), ja sogar deutlich mehr als eine Milliarde (Deutschland) blättern TV-Sender jährlich hin, um das Produkt Fußball live und exklusiv auf die Mattscheibe zu bringen. Doch das Geld fließt nur, wenn gespielt wird. Und da die Abhängigkeit mittlerweile so groß ist, wird alles dafür getan, sich diesen Kuchen nicht entgehen zu lassen.
Die Alarmglocken sollten schrillen. Spätestens jetzt in Zeiten der Krise dürfte dem letzten Fußballromantiker klar sein, dass der Kapitalismus den Fußball beherrscht. Fußballklubs sind nichts anderes als hochgezüchtete Wirtschaftsbetriebe. Der Erfolgsmaxime wird alles untergeordnet – oft selbst der Fußball an sich.
Zurück zum Ursprung - das bleibt nur eine lose Worthülse. Zu sehr dominieren die monetären Motive. Ein Befreien aus der Umklammerung scheint ausgeschlossen. Dabei träumen echte Fans davon. Für sie geht ist es nicht nur ein Spiel, in dem einander auf dem Rasen zwei Mannschaften mit jeweils elf Spielern gegenüberstehen. Es ist mehr als das. Ein gesellschaftlicher Höhepunkt. Ein Treffen mit Freunden, um Stunden vor und Stunden nach dem Spiel hitzige Diskussionen zu führen und während der Partie gerne auch die Sau rauszulassen.
Geisterspiele sind einfach erklärt: keine Fans, keine Stimmung, keine Emotionen. Spielern entgeht der Push bzw. die Hemmung, die das Fanverhalten mit sich bringt. Ein echtes Trauerspiel – abseits der gezeigten Darbietungen auf dem Rasen. Die Sterilität verleiht Geisterspielen den Flair eines Computerspiels. Fußball gilt nicht umsonst als die schönste Nebensache der Welt. Mit Geisterspielen ist er aber nicht einmal das.