Pünktlich vor jedem Ironman-Rennen in Klagenfurt brandet ein Thema bei den beinahe ausufernden Diskussionen auf. Welche der drei Disziplinen mit ihren quälenden Distanzen (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42,195 Kilometer Laufen) gilt wohl als am leichtesten zu bewältigen? Philosophien hin, Theorien her – diesbezüglich komplett grün hinter den Ohren lieh ich ein Rennrad aus und bat Ex-Radprofi Paco Wrolich um eine Begleitfahrt auf der 90 Kilometer langen Radstrecke. Um profunde Antworten zu erhalten, muss eben intensiv gesucht werden. Am besten am eigenen Leib. Der Könner begrüßt mich auf saloppe Art: „Normalerweise fahre ich nicht mit jemandem, der seine Beine nicht rasiert hat“, stellt Wrolich grinsend fest. Diese haarige Anspielung wird dezent ignoriert.

Dynamische Trittbewegungen begleiten anfangs diese Ironman-Tuchfühlung. Ein weitläufiges, unbekanntes Terrain für einen Hobbysportler wie mich, der ansonsten auf Tennisplätzen oder in Eishallen beheimatet ist. Noch auf diesen Flachpassagen erklärt der Experte die essenzielle Schalttechnik und skizziert die taktische Einteilung der Kraftreserven. „Jede noch so kleine Steigung muss mit einer niedrigeren Übersetzung geschluckt werden. Vergiss nicht, deine Position auf dem Rad laufend zu verändern und stehe manchmal auf. Sonst könnten sich Krämpfe einschleichen“, mahnt der fünffache Tour-de-France-Teilnehmer. Ohne Widerrede wird ihm gehorcht.

Relativ zügig tauchen die ersten Hindernisse vor dem Lenker auf. Der erste Anstieg beginnt am Ortsende von Reifnitz, ein weiterer kurz vor Velden. Unter Wrolichs Aufsicht sowie seinen kurzen Befehlen wird die Kette lautstark auf den von ihm vorgewiesenen Gang geschleudert. Doch die wahren Brocken wie der Ribnig-Hügel unmittelbar vor dem Faaker See und der berüchtigte Rupertiberg stehen erst bevor. Nach der verkehrsmäßig eher sporadisch frequentierten Süduferstraße beginnt eine weitere Herausforderung. Aggressive Autofahrer des Berufsverkehrs nähern sich bei ihren Überholmanövern bedrohlich nahe meinem Vorderrad. Hupkonzerte, Stinkefinger oder Beschimpfungen erschrecken hier nur den Unerfahrenen. Alles jedoch unliebsame Begleiterscheinungen, die ein Ironman-Athlet während seiner Trainingsvorbereitung einplanen muss.

Nach etwa 33 Kilometern ist alles Bisherige vergessen. Der steile Anstieg auf der Ribnig-Straße bei Egg am Faaker See türmt sich wie eine Wand auf. Trotz verspiegelter Sonnenbrille dürfte der Ex-Radprofi die Verzweiflung in meinen Augen bemerken. „Niedrigste Übersetzung rein. Lass dir Zeit, fahr’ dein Tempo. Aber nicht auf dem letzten Zacken“, lauten die Anweisungen. Im gemächlichen Pendeltritt folge ich dem 41-jährigen Klagenfurter. Belohnt wird die Anstrengung mit wunderbarem Panorama auf den Faaker See und den Mittagskogel bei der Abfahrt. Eine weitere Belohnung folgt. Früher blies starker Gegenwind, nun trägt uns der Rückenwind munter zum Rupertiberg.

Dort endet die neue Begeisterung für den Radsport abrupt. Vor dem Anstieg erscheinen die blassen Schriftzüge des Vorjahres-Ironman: „Die Leiden vergehen.“ Bei mir erwachen sie in diesem Moment. Nach wenigen Pedaltritten beginnen die Oberschenkel unaufhörlich zu brennen. Ich sehne mich nach Wasser, Essen und meinem Bett zugleich. Wrolich grinst, ich lächle gequält zurück. „Keine Schwächen anmerken lassen“, lautet meine Devise. Nach gefühlten 1000 Höhenmetern erreiche ich den „Gipfel“. Der Ex-Profi spendet schwachen Trost: „Nach Klagenfurt geht es jetzt nur noch bergab.“ Das baut auf. Aber die Ironman-Athleten müssen diese Passage ein zweites Mal absolvieren. Und noch etwas unterscheidet mich von den wahren „Eisernen“: Im Ziel wird mein geplagter Körper mit Gerstensaft erfrischt.

MARTIN QUENDLER