Vor rund einem Jahr lag sie noch auf Platz 151 und träumte noch von Grand-Slam-Hauptbewerben. Nun hat sich Julia Grabher nicht zuletzt dank ihres ersten Endspiels auf der WTA-Tour in Rabat schon auf Platz 61 gespielt, im Race 2023 ist sie 50. Tendenz weiter steigend. Am Dienstag spielt sie nach Melbourne in ihrem zweiten Major-Hauptbewerb, erste Gegnerin ist die Niederländerin Arantxa Rus.
Der Coach der 26-jährigen Dornbirnerin ist seit einigen Jahren Günter Bresnik. Und dieser glaubt, dass sie noch lange nicht den Zenit erreicht hat. "Ganz ehrlich, ich glaube auch, dass sie erste 20 werden kann. Wenn alles gut läuft, sie gesund und so bei Laune bleibt wie jetzt", sagte Bresnik bei den French Open in Paris.
Kein Unterschied
Bresnik ist ja eigentlich ein Spezialist für Männer-Tennis, wie nicht nur die langjährige Zusammenarbeit mit Dominic Thiem, sondern auch mit Horst Skoff, Boris Becker, bis vor Kurzem auch Gael Monfils u. v. a. gezeigt hat. Den Unterschied habe er bei Grabher vom Trainingsumfang gar nicht so gemerkt, schilderte er in Paris. "Ihre Schwächen waren klar im technischen Bereich. Sie ist von Mutter Natur bevorzugt und rennt einfach schnell. Sie hat auch einen guten Touch. Die sudert nicht, die plärrt nicht – sie ist nach wie vor ein bisserl negativ, weil sie sehr kritisch ist, aber das ist mir lieber als überheblich."
Nach ihrer Anreise nach Paris war Österreichs neue große Frauen-Hoffnung nach vielen Jahren der Durststrecke noch ein bisschen müde von den Strapazen ihres Rabat-Laufs. Die Drei-Satz-Niederlage hat sie gut weggesteckt. "Ich sehe es mittlerweile sehr positiv. Mein erstes Finale auf der WTA-Tour bedeutet mir schon extrem viel. Deswegen bin ich mit viel Selbstvertrauen in Paris angereist."
Sieben Jahre keine Top-100-Spielerin
Noch vor einiger Zeit war auch sie eine von jenen österreichischen Spielerinnen, die sich immer wieder die Fragen nach der langjährigen Baisse im heimischen Frauentennis anhören mussten. Im vergangenen September knackte sie erstmals die Top 100, als Erste seit Yvonne Meusburger (19. 1. 2015) oder über siebeneinhalb Jahren ohne ÖTV-Frau in diesem Kreis.
Genugtuung verspürt sie nach all den Unkenrufen aber nicht. "Ich habe es immer nur für mich gemacht. Ich muss niemanden was beweisen, spiele, weil ich das erreichen möchte." Es sei aber etwas Besonderes für Österreich, wenn das Frauentennis einen Aufschwung bekomme. "Ich werde versuchen, dass ich es ein bisserl vielleicht ähnlich machen kann, wie der Dominic das geschafft hat."
Belohnung für harte Arbeit
Wie sich Grabher ihre Verbesserung um 90 Plätze innerhalb Jahresfrist erklärt? "Natürlich kommt das nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess, der ein paar Jahre schon geht. Ich trainiere jeden Tag sehr hart und ich glaube, ich habe mich in den letzten Monaten belohnt, aber das soll nicht heißen, dass es hier aufhört. Ich will mich jeden Tag steigern, verbessern und mehr erreichen."
Die 1,70 m große Rechtshänderin sieht ihre Vorhand als größte Stärke. Am meisten verbessert habe sie sich auf der Rückhand-Seite. "Da war ich am fehleranfälligsten. Generell glaube ich, dass mein Spiel kompletter geworden ist. Vom Aufschlag angefangen, ich bin stabiler auf allen Seiten." Bresnik arbeitet seit einigen Wochen intensiv am Rückhand-Slice der Vorarlbergerin, den er gerade beim Return verstärkt eingesetzt sehen will.
DNA schon gefunden?
Während Bresnik meint, Grabher müsse noch ein wenig ihre ganze eigene Spiel-DNA finden, glaubt die 26-Jährige, dass sie schon so weit ist. "Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich dominiere sehr gern mit der Vorhand, bin aggressiv von der Grundlinie und versuche die Gegnerin viel laufen zu lassen."
Das Jahr 2023 verlief für Grabher schon vor Rabat ausgezeichnet. Zum Beispiel mit der dritten Runde beim WTA-1000-Turnier in Rom, wo sie nach einem Sieg über Top-30-Spielerin Jill Teichmann sogar die Russin Daria Kasatkina fast bezwungen hätte. Die Weltranglistenneunte setzte sich erst nach 3:19 Stunden mit 7:6 im dritten Satz durch.
Saisonhighlight Paris
"Natürlich waren die letzten Monate was Neues für mich. Ich habe im Prinzip die großen Turniere zum ersten Mal im Hauptbewerb gespielt, das bedeutet mir sehr viel. Grand Slam ist natürlich noch eine andere Liga zu den 1000ern, da bin ich extrem motiviert." Ganz besonders in Paris: "Ich freue mich, weil es mein Saisonhighlight ist, weil Sand mein bester Belag ist."
Neben Bresnik kümmern sich Bruder Alex und Philipp Lang abwechselnd als Touring-Coaches um Grabher. Zuletzt in Rabat war ihre Mama dabei. Inwiefern der Wechsel zu Bresnik etwas geändert hat? "Ich bin jetzt drei, vier Jahre in der Südstadt, und habe davor mit Wolfgang Thiem trainiert. Er ist dann (aus der Südstadt, Anm.) weggegangen und so hat sich das entwickelt, dass ich bei Günter war", erinnert sich Grabher. "Er hat einen Riesenunterschied bei mir bewirkt, da hat sich sehr viel weiterentwickelt, seit ich mit ihm trainiere. In allen Bereichen Aufschlag, Vorhand, Rückhand – einfach alles ist stabiler. Ich kann mit den Topspielern auch mitspielen."
Duell gegen Gauff wäre cool
Bei einem Sieg über Rus könnte ihr ein Duell mit Vorjahresfinalistin Coco Gauff blühen. "Das wäre supercool, aber ich will Runde für Runde denken. Es ist doch erst mein zweiter Grand-Slam-Hauptbewerb", sagte Grabher, die privat gern in der Natur und in den Bergen ist.
Die Antwort auf die Frage nach dem Vorbild kommt wie aus der Pistole geschossen: "Rafael Nadal." Mit Olympia 2024 hat sie auch schon ein Fernziel. Denn die Spiele werden in einem Jahr auf der Roland-Garros-Anlage ausgetragen. "Ja, das ist auf jeden Fall ein Ziel von mir, hier in Paris nächstes Jahr Olympia zu spielen."
Auf angesprochene Ranking-Prognosen will sie nicht eingehen und möchte auch gar nicht daran denken. "Ich schaue, was ich kontrollieren kann. Das Ranking kommt, wenn ich gut spiele."