Holger Rune verfügt über eine Ingredienz, die im Spitzensport über Sieg und Niederlage entscheiden kann. Nämlich eine kräftige Prise Ehrgeiz. Als der Däne im Alter von sieben Jahren bei einem Tennisturnier nur Zweiter wurde, weigerte er sich, den Pokal in die Höhe zu stemmen. Zu enttäuscht und verärgert sei er gewesen, erzählte einst Mutter Aneke in einem Interview. Die Frau Mama steht ihrem Sohnemann, der in Paris mit einem Viersatzsieg über Vorjahresfinalisten Stefanos Tsitsipas als erster Däne in der Profi-Ära in das Viertelfinale eines Grand Slams eingezogen ist, auch als Psychologin zur Seite.

Und sie scheint ihre Arbeit gut zu machen – denn neben seinem Ehrgeiz verfügt ihr Nachwuchs auch über jede Menge Selbstvertrauen. Dass er es sich zum Ziel gesetzt hat, die Nummer eins der Welt zu werden, ist für einen Jungprofi nichts Außergewöhnliches. Dass Rune erklärte, er sehe sich befähigt, die Paris-Bestmarke von Rafael Nadal (13 Titel) zu knacken, sehr wohl. „Nadal ist wirklich inspirierend und ein so mutiger Charakter. Ich arbeite jeden Tag daran, so gut wie er zu sein. Ich bin noch nicht auf seinem Niveau. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, aber ich glaube, ich kann seinen Rekord brechen“, hatte der Kopenhagener 2019 nach seinem Triumph im Juniorenbewerb der French Open zu Protokoll gegeben.

Dass der 19-Jährige, der sich 2019 mit gerade einmal 15 Lenzen zum jüngsten dänischen Meister der Geschichte kürte, das Zeug zu einem Großen hat, steht außer Frage. Anfang 2021 stand die ehemalige Nummer eins des Junioren-Rankings in der ATP-Weltrangliste noch auf Platz 474, mittlerweile ist er auf Position 40 zu finden. Sollte der Teenager das heutige Viertelfinale gegen Casper Ruud verlieren, würde es im Ranking dennoch zumindest auf Platz 28 nach oben gehen. Mitverantwortlich für den Höhenflug zeichnet auch Runes Premieren-Turniersieg Ende April in München, wo er mit seinem variantenreichen Spiel in der zweiten Runde den Weltranglistendritten Alex Zverev glatt in zwei Sätzen abzog und neben dem Preisgeld ein schickes Auto gewann. Fahren kann er es allerdings noch nicht, hat das 1,88 Meter große Kraftpaket doch noch keinen Führerschein.

Doch zurück nach Paris, zurück zu Gegner Ruud. Der Weltranglistenachte steht seinerseits als erster Norweger in einem Paris-Viertelfinale und weist gegen Rune eine 3:0-Siegbilanz bei 6:0-Sätzen auf. Das letzte Duell Mitte April beim Masters-Turnier in Monte Carlo konnte Ruud allerdings nur noch knapp mit 7:6, 7:5 für sich entscheiden. Im heutigen „Skandinavier“-Duell ist der 23-Jährige aus Oslo zu favorisieren, doch ist das Rune, der bereits zwei Top-5-Spieler auf seiner Abschussliste hat, herzlichst egal: „Ich glaube an mich und weiß, dass ich nahezu jeden schlagen kann.“ Womit wir wieder beim Ehrgeiz angekommen wären ...