Eigentlich war alles angerichtet. Novak Djokovic sollte an diesem Abend in New York Geschichte schreiben und ging auch als Favorit ins Endspiel der US Open gegen Daniil Medwedew. Bei einem Sieg hätte der Serbe nicht nur seinen 21. Major-Titel in der Tasche und wäre damit alleiniger Rekordhalter gewesen. Zudem hätte er auch als erster Spieler im Herren-Tennis seit Rod Laver vor 52 Jahren den Grand Slam, also den Sieg bei allen vier Majors innerhalb einer Saison, fixiert. Der 83-jährige Australier hatte auch im Publikum Platz genommen, um seinem Nachfolger nach der Partie die Hand zu schütteln. Doch es kam ganz anders …
Denn nicht Djokovic krönte sich an diesem Abend vor 24.000 Zuschauern in Flushing Meadows zum größten Tennisspieler aller Zeiten, sondern Medwedew jubelte in seinem dritten Major-Endspiel über seinen ersten Grand-Slam-Titel. Während Djokovic vor allem nervlich an der Herausforderung scheiterte, packte der Russe, der im gesamten Turnierverlauf nur einen Satz abgegeben hat, unglaubliches Tennis aus und trat schlussendlich die verdiente Nachfolge des Vorjahressiegers Dominic Thiem an. Der Österreicher kommentierte das Match gemeinsam mit Boris Becker auf Eurosport mit.
Früher Rückstand für Djokovic
Medwedew nahm dem Weltranglistenersten gleich zu Beginn den Aufschlag ab. Diesem Rückstand lief Djokovic den Rest des ersten Satzes vergeblich nach. Auch, weil der Russe gleich acht Asse über die Netzkante feuerte und seine Aufschlaggames für „Nole“, der als bester Returnspieler auf der Tour gilt, unantastbar waren. Doch kein Grund zur Panik im Lager von Djokovic, der die letzten zehn Grand-Slam-Matches nach Verlust des ersten Satzes noch gewonnen hat. Alleine in den vergangenen vier Partien in Flushing Meadows war dies der Fall gewesen.
Im zweiten Durchgang hatte der „Djoker“ beim Stand von 1:0 gleich drei Breakbälle, konnte aber keinen davon nützen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man deutlich die nervliche Anspannung beim 34-Jährigen, bei dem auch die Beinarbeit nicht nach Wunsch funktionierte, klar erkennen. Ganz anders Medwedew, der auf der Jagd nach seinem ersten Grand-Slam-Titel sein Spiel eiskalt durchzog. Beim Stand von 2:1 ließ Djokovic erneut zwei Breakchancen ungenützt und zerhackte daraufhin seinen Schläger. Der erhoffte Effekt blieb aber aus – im Gegenteil: Djokovic gab daraufhin seinerseits das Service zum 2:3 ab. Es war zugleich die Vorentscheidung im zweiten Satz, den Medwedew erneut mit 6:4 für sich entschied.
Ein letztes Aufbäumen?
Zu diesem Zeitpunkt wies die Statistik aus, dass Djokovic bis dato sechsmal einen 0:2-Rückstand noch wettmachen konnte. Auch diesmal? Nein. Gleich zu Beginn des dritten Satzes gab der Serbe erneut seinen Aufschlag ab, zum 0:3 passierte es gleich ein zweites Mal. Der 20-fache Grand-Slam-Sieger war zu diesem Zeitpunkt völlig von der Rolle, versucht es sogar mit Serve and Volley – doch es half alles nichts. Medwedew ließ sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen, beendete das Match an seinem dritten Hochzeitstag mit 6:4, 6:4, 6:4 und krönte sich nach Jewgenij Kafelnikow und Marat Safin zum dritten russischen Grand-Slam-Sieger.
Bezeichnend für die emotionale Belastung Djokovics (schon bei den Olympischen Spielen in Tokio konnte er dem Druck nicht standhalten und scheiterte im Halbfinale an Alex Zverev) war der letzte Seitenwechsel beim Stand von 4:5, als der Serbe heftig zu weinen begann und sein Gesicht mit einem Handtuch bedecken musste. Es war wohl der schwierigste Moment im Leben eines der allergrößten Tennisspieler.
In seiner Ansprache nach dem Spiel gratulierte Djokovic zuerst seinem Bezwinger und dankte dann dem Publikum. "Ich bin heute trotz der Niederlage ein glücklicher Mensch, weil ich von euch eine so tolle Unterstützung erhalten haben." Zwar hatte der Serbe das Match verloren, doch hatte er zugleich endlich die Gunst der Fans, um die er so viele Jahre gebuhlt hatte, gewonnen.