Mit 30 Jahren enden die ersten Profi-Karrieren. Mit 35 gehört man bereits zu den Ältesten. Und mit 40 werden bereits journalistische Portraits verfasst, die eher wie ein Nachruf klingen. Das Ticken der biologischen Uhr gilt neben Kreuzbandrissen als größtes Unheil in sportlichen Karrieren. Gegen die Zeit und natürlich auch gegen die Natur kämpft Roger Federer.
Der mittlerweile 39-jährige Schweizer wird im anglo-sächsichen Raum als G.O.A.T. bezeichnet. Die Abkürzung steht für "Greatest of All Time", dem Größten aller Zeiten. Ein Attribut mit dem sich sonst noch Sport-Ikonen wie Muhammad Ali, Pele, Michael Jordan, Wayne Gretzky, Tiger Woods oder Tom Brady schmücken dürfen.
In seiner Bilanz stehen neben 20 Grand Slam-Titel auch 130 Millionen US-Dollar an Preisgeld, das die Tennis-Ausnahmeerscheinung verdient hat. Seine unvergleichliche Titeljagd endete vorerst 2018. Bei den Australien Open eroberte er seinen bislang letzten Grand-Slam-Sieg. Damals rechneten viele bereits mit Federers Abschied. Aufgrund erster und lästiger Verschleißerscheinungen im Jahr zuvor.
Doch es war noch zu früh. Der Abgang eines Sport-Profis will aber sorgfältig gewählt sein. Er bildet neben unzähligen Siegen das vielleicht wichtigste Kapitel in den Memoiren. Roger Federer, und das ist naheliegend, hat offenbar Wimbledon dafür auserkoren. Das prestigeträchtige Rasenturnier in London, das er bei 12 Finalteilnahmen nicht weniger als acht Mal gewinnen konnte. In diesem Wohnzimmer fühlt sich der "Maestro" zu Hause.
Paris war nie seine große Liebe. Und wäre es vermutlich auch in diesem Jahr nicht geworden. Ein hungriger Matteo Berrettini hätte im Achtelfinale gewartet, Novak Djokovic vermutlich im Viertelfinale und Sandplatz-König Rafael Nadal höchstwahrscheinlich im Semifinale. Der Schweizer zog nach seinem Sieg im kräftezehrenden Duell gegen Dominik Koepfer zurück.
Es handelt sich wohl um eine Vorsichtsmaßnahme. Für seinen vermutlich letzten Wimbledon-Auftritt im Spätherbst seiner Karriere. Denn: Je länger der Paris-Aufenthalt gedauert hätte, desto kürzer wäre die Pause vor seiner ersten Rasen-Tuchfühlung nach zwei Jahren gewesen (Turnierstart in Halle am 14. Juni). Federer war also wohl oder übel gezwungen, (unpopuläre) Prioritäten zu setzen.
Auch wenn sich viele in Paris echauffieren: Federer muss sich dafür nicht rechtfertigen. Der Allergrößte des Tennissports hat eine Entscheidung getroffen, die ihm nicht leicht gefallen sein dürfte. Ob ihm der perfekte Abgang von seiner aktiven Karriere gelingt? Roger Federer scheint jedenfalls bereit zu sein, diesem Kapitel alles unterzuordnen. Und um es zu schließen.