Als Dominic Thiem an jenem 13. September des Vorjahres sein großes Ziel erreicht hatte, war er mit großer Erleichterung nach Hause gekommen. Den ersten Grand-Slam-Titel als erst zweiter Österreicher nach Thomas Muster (French Open 1995) erreicht zu haben, hatte ihn endgültig zum Weltstar gemacht. Eine Leere, die manche Sportler nach solch großen Erfolgen verspüren, hatte er nach seiner Rückkehr nicht erwartet. "Ich erwarte ein bisserl von mir, dass ich ab jetzt die ganz großen Turniere und großen Matches mit mehr Lockerheit angehe und noch besser spielen kann."
Thiem musste aber schnell erkennen, dass es ihm keineswegs leichter von der Hand geht. Es ist allerdings Jammern auf hohem Niveau: Bei den French Open nur zwei Wochen später erreichte Thiem noch das Viertelfinale, in Wien schied er in der gleichen Turnierphase aus, ehe er bei den ATP Finals nach Siegen über Rafael Nadal (Gruppenphase) und Novak Djokovic (Halbfinale) sein zweites Endspiel in der O2-Arena erreichte und dieses knapp gegen Daniil Medwedew verlor.
Doch 2021 stehen nun einem Achtelfinale bei den Australian Open und einem Semifinale beim Masters-1000 in Madrid (nach einer selbst gewählten Pause) Auftakt-Niederlagen in Dubai, Lyon und nun Paris gegenüber. In Doha und Rom hat er nach einem Sieg dann gleich verloren. Eine Krise lässt sich da schwer verleugnen.
Gerade bei den Major-Turnieren (abgesehen von Wimbledon mit Ausnahme dem Achtelfinale 2017) hatte sich Thiem fast durchwegs immer steigern können. Darum fühlte sich das Aus in Paris nach fünf Jahren en suite mit zweimal Semifinale, zweimal Finale und einmal Viertelfinale besonders "komisch" für den neben dem Triumph in Flushing Meadows noch dreifachen Major-Finalisten an. "Ich bin hier seit 2016 immer sehr weit gekommen. Ich hatte schon früher frühe Niederlagen, aber hier ist es besonders eigenartig."
Bresnik: "Er hat sich selbst rausgewürgt"
Auch für Thiems Ex-Trainer Günter Bresnik kommt das Auftakt-Aus unerwartet. Er sagte gegenüber der Tageszeitung "heute": "Im Tennis muss man nicht glänzen, nur ein bisschen besser sein als der auf der anderen Seite des Netzes. So hat Dominic die US Open gegen Zverev gewonnen. So hat er schon als Jugendlicher Spiele entschieden. Ich sage dazu, er hat die Gegner rausgewürgt. Damit gewinnst du kein Grand-Slam-Turnier, aber die ersten Runden. Diesmal hat er sich selbst rausgewürgt."
Thiem bereits jetzt in jene Riege von Tennis-Stars einzureihen, die bei den Majors ein "one hit wonder" sind, also nie ein zweites Grand-Slam-Event gewinnen, wäre maßlos verfrüht. Mit 27 Jahren und fast 9 Monaten ist der österreichische "Sportler des Jahres 2020" im besten Tennis-Alter.
Thiem hat daran keinen Zweifel und denkt auch gar nicht daran, etwa in seiner Entourage etwas zu ändern. "Ich habe jetzt definitiv nicht vor, irgendwas Großartiges zu wechseln, weil dafür ist auch die Zeit noch zu kurz. Die Auszeit war sicherlich richtig, aber dass ich mich in der Auszeit spielerisch nicht verbessere, ist auch klar", erklärte Thiem nach der Fünfsatz-Niederlage gegen Pablo Andujar.
Die vergangenen zwei Monate im Training seien gut gewesen. "Da fehlt es an nichts, weder bei mir noch bei meinem Trainerteam. Aber in den Matches hapert es halt noch schwer zur Zeit, schwerer als ich erwartet habe." Er sehe aber keinen Anlass, etwas zu ändern. "Ich denke auch, dass ich das Ruder selbst herumreißen muss. Und dass die Leute, die ich habe, bestens dafür geeignet sind, mir dabei zu helfen."
Was er braucht sind Matches, und natürlich Siege zur Steigerung seines Selbstvertrauens. Da spiele es gar keine Rolle, dass Thiem schon länger keine direkten Duelle mit Top-Ten-Spielern mehr gehabt hat. "Vor Indian Wells 2019 habe ich auch eine richtig lange Zeit gegen keine Top-Ten-Spieler gespielt und dann bin ich richtig stark zurückgekommen. Das ist mir jetzt nicht gelungen. Ich suche noch nach einem Rezept. Es passen einfach einige Sachen nicht." Thiem erwähnt die Beinarbeit, fehlende Power bei den Grundschlägen ebenso wie beim Aufschlag. Sein Weg zurück? "Eine Mischung aus viel Training und auch Matches, damit ich wieder an meine Bestform rankommen kann."
Dass nun die Rasensaison ansteht, mag nicht unbedingt hilfreich sein. Allerdings hatten in den vergangenen Jahren die so erfolgreichen French-Open-Auftritte ein gewisses Durchatmen in der kurzen Rasensaison erfordert. Dass Thiem aber auf Gras auch ausgezeichnet spielen kann, hat er schon bewiesen: 2016 holte er in Stuttgart als bis dato einziger Österreicher einen ATP-Rasen-Titel, 2017 hätte es in Wimbledon noch weiter als bis ins Achtelfinale gehen können. Damals scheiterte er in der Runde der letzten 16 knapp in fünf Sets an Tomas Berdych.
Für das Turnier in Stuttgart, das dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie in der zweiten French-Open-Woche stattfindet, hatte Thiem freilich nicht genannt. Möglicherweise ändert er nun seine Meinung. Der Mercedes Cup in Stuttgart wird von "emotion" veranstaltet, also seinem Manager Herwig Straka.