Die Schachtel wirkt harmlos. Nach Öffnung des 1000er Puzzles, wird erst bewusst, mit welcher Aufgabe man sich konfrontiert sieht. Stunden, ja Tage wird es benötigen, bis Stück für Stück ein Gesamtbild entsteht. Rafael Nadal kennt den Faktor Zeit nur zu gut. Der Bursche aus Manacor war zarte 15 Jahre, 10 Monate und 21 Tage alt, als er seinen ersten Puzzleteil legte. Bei den Mallorca Open besiegte er auf der Plaza de Toros, nur wenige Kilometer von seinem Heimatort entfernt, Ramon Delgado mit 6:4,6:4.
Es war der 29. April 2002 und der Teenager erzählte beiläufig, dass er lieber auf Gras spiele, anstatt auf Sand. Fast 20 Jahre später sind die Ärmel länger, die Hosen kürzer, die Haare schütterer und seine Macken ausgeprägter geworden. Unverändert jedoch sein Gehabe. Nach wie vor scheint der Spanier schüchtern, demütig, ja fast peinlich berührt, wenn die Blicke auf ihn gerichtet sind.
Ausgerechnet in Paris gelang ihm erneut Historisches. Auf Sand feierte er in Roland Garros ja 13 Titel bei ein- und demselben Grand Slam-Turnier. Mehr als jeder Mensch auf diesem Planeten. Jetzt errang er seinen 1000. Einzelsieg. „Das ist eine besondere Zahl und bedeutet auch, dass ich viele Dinge über eine lange Zeit hinweg richtig gemacht habe. Ich kann nur Danke sagen an alle, die mir bis hierhin geholfen haben. Ich hätte den Sieg gerne mit Fans gefeiert“, gab er nach seinem hart umkämpften 4:6,7:6,6:4 gegen Feliciano Lopez zu Protokoll. Seine ganz persönliche Stadt der Liebe aber feierte dieses Mal nicht mit.
Rund um den Hallen-Hartplatz von Bercy dominierte Leere, Nadals Jubelschrei verhallte zwischen 17.000 verwaisten Stühlen. „Es zeigt vor allem, wie alt ich schon bin. Dafür brauchst du eine ziemlich lange Karriere“, sagt der 34-Jährige mit Ironie, die ihm so viele Sympathien entgegenbringt. Trotz seiner mallorquinischen Herkunft (Mallorca identifiziert sich mit Katalonien) dürfte Nadal auf die spanische Bezeichnung „mil“ zurückgreifen. Nur Ivan Lendl (1068), Roger Federer (1242) und Jimmy Connors (1274) liegen in diesem ehrwürdigen Klub noch vor ihm.
Wie es möglich ist, über einen so langen Zeitraum gegen so viele Konkurrenten in der Weltspitze zu reüssieren, beschrieb „Rafa“ einmal so: „Ich habe jeden Tag Zweifel”, und er ergänzte: „Sie geben dir die Möglichkeit, mit noch mehr Intensität, mit noch mehr Hingabe zu arbeiten. Wenn du keine Zweifel hast, dann wahrscheinlich, weil du arrogant bist. Für mich dagegen sind Zweifel der Ansporn, hart zu arbeiten und der Grund, warum ich den Erfolg habe, den ich habe.” Nadal zeigt eben auch Verletzlichkeit, Unsicherheit und Ängste.
Zuletzt zeigte ein Video den Mann aus Manacor beim Training auf seiner eigenen Anlage. Ärmellos wie früher. Er drosch unermüdlich auf den Ball, schwang das Racket, oft aufgrund des extremen Topspins in der Ausschwungbewegung über den Kopf. Wenn man Vergleiche zieht zu vergangenen Auftritten, wirkt Nadal vielleicht nicht mehr wie dieser flinke Torero von einst. Dafür hat der linke Oberarm noch einmal an Umfang zugelegt. Nadals 1000-Teile-Puzzle verfügt über eine besondere Eigenheit. Es ist noch nicht fertig.