Es ist aufgrund der besonderen Umstände in der Coronavirus-Pandemie erst das zweite Tennis-Grand-Slam-Turnier des Jahres und zum zweiten Mal steht Dominic Thiem im Endspiel. Der 27-jährige Niederösterreicher kämpft am Sonntag (22.00 Uhr MESZ/live ServusTV) in seinem ersten US-Open-Finale, seinem schon vierten Major-Endspiel, gegen Alexander Zverev (GER-5) um die Erfüllung seines Traums.
Am 13. September 2020 könnte sich Thiem, 25 Jahre nach Thomas Muster bei den French Open, zum zweiten österreichischen Einzel-Grand-Slam-Sieger küren. Und sich damit endgültig einen Platz im Reigen der heimischen Sportlegenden sichern. Dass dies entgegen aller Erwartungen nun auf Hartplatz und nicht auf Sand passieren könnte, überrascht spätestens seit dem hauchdünn verlorenen Melbourne-Finale vergangenen Jänner nicht mehr. Mit 2:1-Sätzen hatte Thiem damals gegen Novak Djokovic schon geführt, ehe er sich in fünf Sets noch beugen musste.
Und auch wenn sich Djokovic wegen seines Fauxpas selbst aus dem New Yorker Turnier geworfen hat, und Rafael Nadal wegen der Coronakrise sowie Roger Federer nach einer OP fehlen: Der Triumph bei diesem "Geister-Major", ohne Fans, ohne Atmosphäre und der mental doch belastenden Sicherheits-Blase, aus der die Spieler bis zu vier Wochen nicht rauskommen, wäre besonders viel wert.
Thiem ist "überreif" für den ersten Titel, in seinen bisherigen drei Major-Endspielen haben ihn zweimal Nadal in Paris und eben einmal Djokovic in Melbourne gestoppt. "Es war wirklich schwer, die Niederlage in Australien zu verdauen, weil ich so knapp dran war. Ich bin glücklich, dass ich mir in ziemlich kurzer Zeit wieder eine Chance verschafft habe", meinte Thiem nach seinem hart erkämpften 6:2,7:6(7),7:6(5)-Halbfinal-Erfolg über Vorjahresfinalist Daniil Medwedew.
Noch auf dem Platz scherzte Thiem nach dem Sieg zum TV-Publikum im Interview mit Patrick McEnroe. "Wenn ich gewinne, habe ich meinen ersten Titel, wenn nicht, dann muss ich Andy Murray anrufen und ihn fragen", sagte Thiem. Der Schotte hatte, übrigens ebenso wie der große Ivan Lendl, seine ersten vier Major-Finali verloren. Murray hält nun bei 3 Grand-Slam-Titeln, der in die USA ausgewanderte Tscheche hatte danach sogar noch acht Triumphe auf höchstem Level gefeiert.
Mit vier Endspielen innerhalb von neun Grand-Slams steht Thiem für ungeheure Konstanz und es zeigt auch seine Allrounderqualitäten. "Es ist eine unglaublich starke Statistik, sensationell ist das, aber es wird mir nicht wirklich helfen", wird Thiem keinesfalls übermütig ins Duell mit seinem langjährigen Tour-Freund gehen.
Der 23-jährige Alexander Zverev steht erstmals in einem Endspiel auf diesem Niveau. Er hatte zuvor nach schwachem Start ebenso zum ersten Mal einen 0:2-Satzrückstand gegen Pablo Carreno Busta (ESP-20) noch in einen 3:6,2:6,6:3,6:4,6:3-Sieg verwandelt. Zverev will sich zum ersten Grand-Slam-Champion aus Deutschland seit Boris Becker 1996 bei den Australian Open küren. Dass er auf ganz großer Bühne reüssieren kann, hatte er 2018 mit dem Sieg bei den ATP Finals bewiesen.
Auf Major-Bühne ist er bisher drei Mal von Thiem gestoppt worden: zweimal in Roland Garros (2016/3. Runde und 2018/Viertelfinale) sowie dieses Jahr bei seinem bisher besten Abschneiden bei einem der Grand-Slam-Events im Halbfinale der Australian Open.
"Hier weit zu kommen ist vielleicht sogar mental eine stärkere Leistung als wie alles noch normal war", meinte Thiem. Dieser Titel würde beiden Finalisten sehr viel bedeuten, weil er eben ohne Zuschauer, ohne Atmosphäre und in einer "Bubble" zustande kommt.
Thiem wird jedenfalls seine Herangehensweise nicht ändern, nur weil ihm diesmal keiner der "big three" gegenüberstehen wird. "Von dem Moment an, als Novak (Djokovic) aus dem Turnier draußen war, war klar, dass es einen neuen Grand-Slam-Champion geben wird." Und er werde auch einen Zverev nicht unterschätzen. "Ich weiß, wozu Sascha imstande ist. Ich werde mich voll auf ihn fokussieren."
Auch seine sehr gute Bilanz gegen den Deutschen spielt Thiem herunter. "Es ist nett, dass ich im Head-to-Head 7:2 vorne liege. Wenn wir beide am Sonntag auf den Platz gehen, spielt das keine Rolle mehr."
Zverev ist der jüngste Grand-Slam-Finalist seit Djokovic vor zehn Jahren bei den US Open und der erste Deutsche in einem Major-Endspiel seit Rainer Schüttler vor 17 Jahren bei den Australian Open. "Ich konnte es nicht glauben, als ich 0:2 in Rückstand geriet. Ich wusste gar nicht, was los war. Aber ich bin in meinem ersten Grand-Slam-Finale, das ist das Wichtigste", sagte Zverev. "Ich könnte nicht glücklicher sein, aber es ist noch ein Schritt zu gehen."
Der Sieger der US Open darf sich über brutto 3 Millionen US-Dollar (2,53 Mio. Euro) freuen, als Finalist erhält man die Hälfte. Zudem gibt es 2.000 bzw. 1.200 wertvolle ATP-Zähler. Thiem hat bereits 8.325 Punkte für das Ranking stehen und seinen Top-3-Platz schon jetzt klar abgesichert. Den führenden Djokovic und den zweitplatzierten Nadal kann er aber auch mit einem Titel noch nicht überholen.