"Wie alt ist Ihre Tochter“, fragte der ehemalige Weltranglistensiebente Richard Gasquet, als er Lilli Tagger in der Mouratoglou-Akademie in Biot nahe Nizza ein paar Schläge lang auf die Beine geschaut hatte. „Ich habe schon viele junge Talente gesehen, aber das ist unglaublich“, adelte der Franzose das Spiel der 12-Jährigen, die als erste Österreicherin eine Einladung in das weltberühmte Tenniscenter des Trainers von Serena Williams, Patrick Mouratoglou, erhielt. Und Gasquet hatte auch noch einen Tipp für den stolzen Herrn Papa, Stephan Tagger, parat: „Es wird ein sehr langer Weg. Wichtig ist, dass alle das Projekt unterstützen, die Reise genießen und Lilli das Glück hat, so wenige Verletzungen wie möglich zu haben.“
Als eingefleischte Tennisfamilie touren die Taggers schon seit ein paar Jahren quer durch Österreich und Europa. Mutter Sabine und Vater Stephan sind selbst ehemalige Staatsliga-Spieler, der 15-jährige Ben eroberte 2019 den Kärntner Landesmeistertitel, die 14-jährige Emma mischt in ihrer Altersklasse in Österreich ganz vorne mit. Im Mittelpunkt des Familienverbundes steht aber Lilli, die bereits vor zwei Jahren verkündete: „Ich will Tennisprofi werden.“ Und die Lienzerin, die 2017 ein internationales U10-Turnier in Rom gewinnen konnte und 2019 beim Tennis-Europe-Turnier in Paris bis ins Finale kam, setzt auch auf das ideale Vorbild: „Roger Federer, weil der spielt so cool.“
Offensives Spiel mit großem Spielwitz
Von ihrer Spielanlage her hebt sich die Osttirolerin von den Gleichaltrigen ab: „Von 1000 Spielerinnen gibt es nur fünf wie Lilli. Und wenn es eine von denen schafft, hat sie die Chance, ganz nach oben zu kommen“, resümierte Morgan Bourbon, Coach des Weltranglisten-22. Benoit Paire, der in der Akademie an der Cote d’Azur täglich mit dem Toptalent trainierte. Und Vater Stephan ergänzt: „Lilli spielt ein sehr offensives Tennis, hat einen großen Spielwitz, spielt als eine der ganz wenigen die Rückhand einhändig und versucht, die Punkte zu gestalten.“
Die Strategie „Wer den Ball einmal öfter über das Netz bringt, der gewinnt“ findet bei Lilli Tagger keinen Platz. „Sie spielt schon jetzt Serve-and-Volley, baut Dropshots ein, bewegt sich gut und holt ihre Gegnerinnen mit ihrem variantenreichen Spiel aus der Komfortzone. Sie hat sehr früh verstanden, dass man den Punkt nur gewinnt, wenn man ihn erzwingt“, sagt Tagger, der neben dem großen Zeitaufwand jährlich rund 40.000 Euro in das Tennisleben seiner Kinder investiert.
Lillis Schwächen? „Es gibt noch Phasen, in denen sie den falschen Schlag einsetzt. Und körperlich ist noch viel Luft nach oben. Sie ist für ihr Alter sehr groß, aber auch sehr schlank.“ Die aktuell größte Hürde sei aber die geografische Lage der Heimat Osttirol. Zwar hätte Lilli im eine Stunde entfernten Kitzbühel mit dem Neuseeländer Mark Carruthers einen guten Trainer, der maßgeblich an ihrer Entwicklung beteiligt ist, „doch braucht sie einen Coach, der tagtäglich mit ihr arbeitet, und gute Sparringpartner. Das ist in Lienz unmöglich. Sie benötigt ein Umfeld mit Gleichgesinnten, die dasselbe Ziel verfolgen und mit ihr in Konkurrenz stehen.“
Psychische Belastung des Einzelsports
Diese Voraussetzungen könnte eine Akademie wie etwa die Südstadt erfüllen. Aber: „Wenn man ein Kind in Lillis Alter alleine irgendwo hinschickt, besteht die Gefahr, dass es im Sport nur Mittelklasse wird. Alleine können sie sich nicht entwickeln. Dazu kommen die Pubertät und die psychische Belastung des Einzelsports – da scheitern viele“, sieht es der besorgte Vater, der überzeugt ist, „dass es bei Dominic Thiem aufgegangen ist, weil er täglich im Umfeld seiner Familie war.“ Zwar gäbe es auch die Option, in die Mouratoglou-Akademie zu gehen, „doch müsste dort meiner Meinung nach auch ein Elternteil mit. Und das könnte die Familie zerstören“, erklärt Tagger die schwierige Entscheidung, ist sich aber bewusst, dass ein solcher Schritt unausweichlich ist. Bereits fix ist hingegen die Zusage, dass Lilli zehn Wochen im Jahr in der Mouratoglou-Akademie trainieren kann.
Diese Woche schlägt die 12-Jährige aber nicht in Biot, sondern als Favoritin bei den österreichischen Jugendmeisterschaften in Bruck auf. Eine nächste kleine Station auf dem Weg zu den Tennis-Sternen. Und Papa Stephan sagt: „Wenn ein Kind einen Traum hat, gibt es nichts Schöneres, diesen mitzuleben.“