Egal, mit wem man sich hier in London unterhält, geht es um die Frage nach dem Turnierfavoriten, so fällt immer derselbe Name: Novak Djokovic. Der Serbe konnte sich bereits fünf Mal in die Siegerliste des ATP-Finales eintragen (zuletzt 2015), schlägt er heuer erneut zu, zieht er mit Rekord-Champion Roger Federer gleich. Mit dem Triumph beim Indoor-Masters-Turnier in Paris-Bercy angereist, servierte der 32-Jährige den Fans in der O2-Arena mit dem 6:2, 6:1 über Matteo Berrettini gleich einmal eine erste Machtdemonstration.
Heute (21 Uhr MEZ, Servus TV live) wartet auf den 77-fachen Turniersieger, der hier in London noch mit Rafael Nadal um Platz eins in der Weltrangliste zum Jahresende rittert, im zweiten Gruppenspiel mit Dominic Thiem allerdings eine weit härtere Nuss. Der Österreicher bezwang zum Auftakt Federer mit 7:5, 7:5 und ist heiß auf den nächsten großen Coup. Der Sieger des Duells hat ein Halbfinalticket so gut wie sicher in der Tasche.
Nach seinem Sieg über Berrettini bedankte sich Djokovic bei den Zuschauern am Platz mit einer seiner üblichen Gesten: So formte er mit seinen beiden Händen ein Herz und schickt es in Richtung der Fans. Auch oft gesehen: Er legte seine beiden Hände an die Brust und schiebt seine Hände dann öffnend in Richtung Fans.
Das kommt allerdings nicht bei allen gut an. Vor allem Tennis-Rüpel Nick Kyrgios schoss diesbezüglich scharf gegen den "Djoker" und erklärte: "Er will krankhaft so beliebt sein wie Roger Federer. Er ist besessen davon, von allen geliebt zu werden." Nachsatz: "Auch wenn er den Grand-Slam-Rekord Federers übertreffen sollte, wäre er nicht der Größte aller Zeiten."
Harte Worte des Australiers, in denen aber wohl ein Quäntchen Wahrheit steckt. So ist es kein Geheimnis, dass sich Djokovic mit der Beliebtheit Federers schwertut. Ebenso, wie mit der Tatsache, dass er hinter dem Schweizer und Nadal nur die dritte Geige spielt. Und das nicht nur, weil er mit seinen 16 Grand-Slam-Trophäen Federer (20) und Nadal (19) seinen beiden Kontrahenten derzeit noch ein wenig nachhinkt.
Schön öfter ist es passiert, dass sich Djokovic bei Spielen gegen Federer oder Nadal mit den Zuschauern anlegte, weil diese ihre Sympathien für den Gegner lautstark kund taten und "Nole" damit zur Weißglut brachten. Warum sich der unverstanden fühlende Serbe mit dem Buhlen um die Liebe der Fans so schwertut, lässt sich nicht erklären. Immerhin sorgte er in der Vergangenheit mit seinen Parodien stets für viele Lacher. Doch vielleicht haben ihm die Fans auch gerade das übel genommen.
Auch in seiner Funktion als Präsident der Spielervertretung auf der ATP-Tour hatte sich Djokovic zuletzt wenig Freunde gemacht. Immerhin war er der Hauptverantwortliche dafür, dass Chris Kermode als ATP-Chairman mit Jahresende abgesetzt wird (als dessen Nachfolger wurde übrigens der Italiener Andrea Gaudenzi auserkoren). Und das zum großen Missfallen von Federer und Nadal, die beide die Ansichten des Briten vertraten. Das Duo ließ sich daraufhin übrigens in die Spielervertretung wählen, um dort mit ihren gewichtigen Stimmen eine Art Gleichgewicht herzustellen.
Nochmals zurück zu den Fans. Diesbezüglich hätte es Djokovic auf alle Fälle gare nicht nötig, um deren Wohlwollen zu kämpfen. So gewinnt er dieses schon alleine mit seinem herausragenden Tennis, dass er dem Publikum Jahr für Jahr serviert. Weitere Kostproben davon gibt es dieser Tage beim ATP-Finale in London!
Alexander Tagger aus London