Es ist der krönende Abschluss, der Höhepunkt einer langen, kräfteraubenden Tennissaison, die auch heuer einige Überraschungen mit sich brachte. Aber genau deshalb kann man sich beim World-Tour-Finale in der Londoner O2-Arena auf Spitzentennis der Extraklasse freuen.

Die besten acht Spieler der Saison 2015: Novak Djokovic (Serbien), Stanislas Wawrinka (Schweiz), Andy Murray (Großbritannien), David Ferrer (Spanien), Roger Federer (Schweiz), Kei Nishikori (Japan), Rafael Nadal (Spanien) und Tomas Berdych (Tschechien) kämpfen vom 15. bis 22. November um die begehrte Siegertrophäe.

Geht es nach der Papierform, kann es eigentlich nur einen Sieger geben: Novak Djokovic, der „Djoker“, zehnfacher Turniersieger 2015. Aber die weiteren sieben Kandidaten werden es ihm nicht allzu leicht machen, nicht nur wegen des 1,5-Millionen-Dollar-Schecks für den Sieger.

Kurz zum Spielmodus: Gespielt wird in zwei Vierergruppen nach dem sogenannten Round-Robin-Prinzip (jeder gegen jeden). Nach dem Ende der Gruppenphase treffen die beiden Gruppenersten im Halbfinale jeweils auf den Zweitplatzierten der anderen Gruppe. Die Sieger bestreiten dann das Endspiel.

NOVAK DJOKOVIC
Der 28-jährige Serbe ist der haushohe Favorit beim Masters-Finale in der Londoner O2-Arena. Nicht nur aufgrund seiner zehn Saisontitel (drei Grand Slams, sechs Masters sowie Peking), sondern auch ob seiner Beständigkeit, seines unbändigen Willens und seiner mentalen Ausdauer. Zudem weiß der Schützling von Boris Becker, wie man in London gewinnt. In den letzten drei Jahren ließ sich der Wahl-Monegasse den Sieg in England nicht nehmen – nicht einen einzigen Satz gab er in den Endspielen ab. Die aktuelle Nummer eins der ATP-Weltrangliste ist nicht nur der Dominator der heurigen Saison, er ist der Mann, den es zu schlagen gilt. Was schwierig genug ist.

STANISLAS WAWRINKA
Der ehemalige Hau-drauf-Mann aus der Schweiz hat sich in den letzten Jahren in den Top Ten etabliert. Spätestens seit seinem Erfolg 2014 bei den Australian Open in Melbourne und seinem überraschenden Titelgewinn bei den French Open in Roland Garros 2015, wo er auch modisch mit seiner karierten „Pyjama-Hose“ für Aufsehen sorgte, muss man „Stan the Man“ immer auf der Rechnung haben. Seine einhändige Rückhand kann der Eidgenosse aus aussichtslosen Positionen schlagen wie kein anderer. Und auch wenn es jetzt für manche hart klingt: Aber beim 30-Jährigen ist der Grat zwischen einzigartig und katastrophal so schmal wie bei wenigen sonst.

ANDY MURRAY
Früher kannte man ihn als kleinen Zornbinkel, die Schläger flogen gerne mal durch die Gegend, aber diese Zeit hat der Schotte hinter sich gelassen. Wobei: Ganz ohne Emotionen geht es bei der aktuellen Nummer zwei der Welt nie – das wäre auch nicht Andy- Murray-like. Der 28-Jährige galt schon in frühester Kindheit als Tennisgenie. Er hat nicht nur spielerisch, sondern vor allem taktisch sehr viel drauf. Und 2013 ließ er ganz England jubeln, als er sich auf dem „heiligen Rasen“ in Wimbledon zum Sieger krönte. Da ging für den 35-fachen Turniersieger ein Kindheitstraum in Erfüllung. Der Heimvorteil ist ihm auch beim ATP-World-Tour-Finale in London sicher.

ROGER FEDERER
Es gibt nichts, was er sich noch beweisen muss, und trotzdem ist der Schweizer Superstar heuer wieder ganz vorne dabei. Die Massen lieben ihn, egal wo er auftaucht, sorgt er für Euphorie. Und dass der Vierfach-Vater nach den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro noch nicht Schluss machen wird, zeigt, dass sich in Federers Köpfchen noch einiges abspielt. Der 34-Jährige strahlt zudem eine Gelassenheit aus wie vermutlich noch nie zuvor. Er genießt es, auf dem Court zu stehen, und das sieht man ihm auch an. Zutrauen kann man ihm in London viel, aber ob es für den Titel reicht, steht in den Sternen. Derzeit hat die ehemalige Nummer eins der Welt 88 Titel auf seinem Konto.

DAVID FERRER
Die Kämpfernatur aus Spanien steht schon lange nicht mehr im Schatten seines Landsmannes Rafael Nadal. Der Sieger der Erste Bank Open in Wien 2015 zählt seit zehn Jahren zu den besten Tennisspielern der Welt. Seine Konstanz ist bemerkenswert. Insgesamt fünf Turniersiege kann Ferrer im heurigen Jahr verbuchen, in seiner Karriere schlug er schon 21 Mal zu. Wenn man einen Kritikpunkt finden will, ist es dieser: Dem Mann aus Valencia fehlt der langersehnte Erfolg bei einem Grand-Slam-Turnier. Deshalb ist der „Gummiwand“ zwar beim ATP-Finale in London in jedem Fall der Einzug ins Semifinale zuzutrauen – der totale Triumph und der Turniersieg aber weniger.

RAFAEL NADAL
Er selbst räumt sich beim letzten Turnier des Jahres nicht wirklich große Chancen auf den Masters-Titel ein. „Wichtig ist jetzt einfach nur, dass ich gesund bin und so viel trainieren kann, wie es geht.“ Der 29-jährige Spanier, den der eine oder andere am liebsten schon in die Tennispension schicken will, kam in den letzten Wochen immer besser in Form – auch in der Rangliste schleicht er sich langsam wieder heran. Die zahlreichen Verletzungen der letzten Jahre will der 14-fache Grand-Slam-Gewinner nur hinter sich lassen – „Spaß am Platz zu haben“ steht für ihn im Vordergrund. Und wenn man einen Spieler nie unterschätzen darf, dann ist das wohl der Mann aus Manacor.

KEI NISHIKORI
Hinter dem Japaner steht ein kleines Fragezeichen, denn Kei Nishikori hatte vor Kurzem noch mit Wehwehchen – die Schulter zwickte – zu kämpfen. Wie fit er wirklich ist, weiß der 25-Jährige nur selbst. Die Saison 2015 kann sich dennoch mehr als nur sehen lassen. Der Publikumsliebling der Asiaten, der mittlerweile seine Zelte in Florida aufgeschlagen hat, trug sich heuer in die Siegerlisten der ATP-Turniere von Washington, Barcelona und Memphis ein. Laut seinem Trainer Michael Chang hat sich Nishikori in den letzten Jahren vor allem mental sehr stark verbessert: „Vor einiger Zeit hat er noch oft an sich gezweifelt und nicht an sich geglaubt, da hat er große Fortschritte gemacht.“

TOMAS BERDYCH
Sein Motto am Court lautet: Aggressives Tennis von der Grundlinie und mit einem starken Aufschlag die Ballwechsel so kurz wie möglich halten. Der Tscheche Tomas Berdych ist vor allem auf schnellen Belägen immer sehr gefährlich. Er gilt für viele Spieler als Angstgegner, denn wenn der 30-Jährige einmal einen richtigen Lauf hat, ist er nur schwer zu stoppen und seine Gegner haben das Nachsehen. Nur manchmal macht ihm seine Laune einen Strich durch die Rechnung. Was ihm beim Tour-Finale zugutekommen könnte, ist, dass sich vielleicht der eine oder andere Spieler schon zu sicher im Halbfinale sieht. Das könnte dann Berdychs Chance sein.

DENISE MARYODNIG