Nach Bekanntwerden von zwei positiven Dopingtests von Jannik Sinner will die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) die Causa zunächst „sorgfältig prüfen“. Der Tennis-Weltranglistenerste aus Südtirol war im März zweimal positiv auf das verbotene anabole Steroid Clostebol getestet, von der Tennis-Agentur ITIA am Donnerstag aber entlastet worden. Man behalte sich das Recht vor, gegebenenfalls Berufung beim Internationalen Sportgerichtshof CAS einzulegen, erklärte nun die WADA.
Nach Angaben der ITIA wurde der 23-jährige Italiener von einem unabhängigen Gericht freigesprochen. Demnach habe der Australian-Open-Champion das verbotene Mittel nicht vorsätzlich verwendet. Eine Reaktion der Italienischen Anti-Doping-Agentur stand zunächst aus, auch sie kann gegen die ITIA-Entscheidung Berufung einlegen, wie die ITIA selbst in der Mitteilung erklärte.
Die Aufregung in der Branche ist groß. Der australische Profi Nick Kyrgios kritisierte die Entscheidung via X. „Lächerlich - ob es zufällig oder geplant war. Du wirst zweimal mit einer verbotenen (Steroid) Substanz getestet... du solltest für zwei Jahre raus sein“, schrieb der 29-Jährige, der 2022 das Finale beim Rasen-Klassiker in Wimbledon erreicht hatte.
Auch der Kanadier Denis Shapovalov äußerte sich auf X ähnlich: „Unterschiedliche Spieler, unterschiedliche Regeln“, meinte der frühere Top-Ten-Spieler. „Kann mir kaum vorstellen, wie sich andere Spieler jetzt fühlen, die wegen kontaminierter Substanzen gesperrt wurden.“
Für großes Aufsehen sorgte im Jahr 2016 der Fall der norwegischen Langlauf-Olympiasiegerin Therese Johaug. Der nationale Skiverband erklärte damals, dass die Substanz Clostebol in einer Lippencreme enthalten war, die der Mannschaftsarzt für Johaug gekauft hatte. Nach dem positiven Befund wurde die Dominatorin für 18 Monate gesperrt.
Sinner hatte in einem Statement, das er in den sozialen Netzwerken veröffentlichte, erklärt, dass die Substanz über die Hände seines Physiotherapeuten in seinen Körper gelangt sei. Demnach habe der Betreuer ein in Italien rezeptfreies Clostebol-haltiges Spray benutzt, um einen Schnitt an seinem Finger zu behandeln.
Der ITIA zufolge hielten wissenschaftliche Sachverständige Sinners Erklärung für glaubwürdig. Deshalb habe die Tennis-Agentur auch davon abgesehen, Sinner zumindest vorläufig zu suspendieren. Nach einer weiteren Untersuchung durch die Agentur änderte sich in der Sache nichts.
Aufgrund der positiven Befunde wurden Sinner für das ATP-Turnier in Indian Wells, wo er im März das Halbfinale erreicht hatte und der positive Befund festgestellt worden war, das Preisgeld und die Punkte aberkannt.
Kommentar zur Causa Sinner
Sinners Coach, Darren Cahill, verteidigte den Südtiroler und schloss jeglichen Vorsatz aus. „Er würde nie etwas absichtlich tun. Er war in einer unglücklichen Situation“, sagte Cahill in einem Interview des US-Senders ESPN. „Die Wahrheit ist heraußen, kein Fehler oder Fahrlässigkeit, und hoffentlich kann er das hinter sich lassen.“
Geht es nach dem deutschen Doping-Experten Fritz Sörgel, ist die Sache für Sinner noch nicht erledigt. „Wenn jemand positiv auf Clostebol getestet wird, dann wird er automatisch gesperrt. Die Reihenfolge nach einem positiven Test, der angezweifelt wird, ist der Gang zur Nationalen Anti-Doping-Agentur, zur WADA, zum CAS. Wieso kann Sinner dann von einem Gericht freigesprochen werden?“, sagte Sörgel in einem Interview dem Portal „Sport1“.
Die Angelegenheit habe für ihn „auf jeden Fall“ einen seltsamen Beigeschmack: „Das stinkt zum Himmel.“ Wenn die WADA generell bei solchen Fällen nicht durchgreife beziehungsweise auch der Internationale Sportgerichtshof CAS keine klaren Urteile fälle, „und wie in den letzten Jahren aufgrund ähnlicher Ausreden Freisprüche aussprach, dann geht es immer so weiter. Jetzt muss ein klarer Strich gezogen werden“, forderte Sörgel: „Clostebol führt automatisch zu einer zwei- bis vierjährigen Sperre. Da führt kein Weg dran vorbei.“ Die WADA müsse jetzt eingreifen.