Frei heraus: Am 6. August hätten Sie laut Plan für Österreich Olympia-Gold im Klettern gewinnen sollen. Dann kam Corona und die Sportwelt stand still. Wie ging es Ihnen mit der Absage der Spiele? Oder, sagen wir, der Verschiebung?
JAKOB SCHUBERT:Natürlich war es im ersten Moment enttäuschend. Aber es kam ja nicht von einem Tag auf den anderen, und dass es die richtige Entscheidung war, sehen wir diesen Sommer ja sowieso. Und sobald es fix war, dass es keine Spiele geben würde, habe ich sie aus meinem Kalender gestrichen. Es wäre sinnlos, ihnen nachzutrauern.
Bleibt die Frage: War Gold wirklich abzuholen?
JAKOB SCHUBERT: Natürlich war und ist es das große Ziel meiner Karriere. Es wäre der Höhepunkt meiner Karriere gewesen in diesem Jahr, auch wenn man natürlich den Gesamtweltcup auch gewinnen will und bei jeder WM gut abschneiden will. Aber Olympia bekommt eben noch einmal eine eigene Aufmerksamkeit. Dazu kommt: Klettern ist in Japan populär, ich war schon oft dort, mag die Stadt, mag die Atmosphäre.
Wie ist das jetzt: Sinken Ihre Chancen durch die Verschiebung? Oder werden sie gar noch besser?
JAKOB SCHUBERT: Diese Frage habe ich schon ein paar Mal bekommen – die Antwort werden wir erst nächstes Jahr haben. Grundsätzlich gilt: Es hat ja keine Garantie auf eine Medaille für mich gegeben. Ein blöder Fehler, und alles kann schnell vorbei sein. Aber auch ich habe ein Jahr, um mich zu verbessern. Wir haben ja alle noch immer wenig Erfahrung mit der Kombination.
Wie kommt das?
JAKOB SCHUBERT: Wir waren es alle gewohnt, Einzeldisziplinen zu klettern – entweder Boulder oder Vorstieg oder Speed. Und dann wurde die Kombination für Olympia kreiert. Da spielt auch Taktik eine Rolle, denn alle Einzelergebnisse werden multipliziert. Und das heißt: Ein erster Platz in einer Teildisziplin ist die halbe Miete; es ist besser, als in allen drei im Mittelfeld zu sein. Du musst also in „deiner“ Disziplin auf Topniveau bleiben, trotzdem aber – in meinem Fall – die Disziplin „Speed“ pushen.
Das geht wie?
JAKOB SCHUBERT: Im Speed fehlt mir einfach die Erfahrung. Ich kann mir aber eben auch nicht ein paar Kilogramm Muskeln zulegen, um explosiver in den Beinen zu werden. Denn das Gewicht würde ich im Vorstieg und beim Bouldern spüren.
Die besten Kletterer müssen fast so aufs Gewicht achten wie Skispringer, sagt man. Sie auch?
JAKOB SCHUBERT: Ich habe das Glück, dass ich von Natur aus schwer zunehme, daher esse ich fast alles. Aber klar, als Sportler wird man trotzdem nicht jeden Tag Schweinsbraten reinhauen. Ich schaue schon aufs Essen, aber ich muss nicht so aufpassen wie einige im Damen-Lager, was ich mitbekomme.
Wenn man Sie in der Wand sieht, wirken Sie fast wie eine Spinne. Egal ob in der Halle oder auch am Fels, wo Sie ebenfalls schon Routen mit Schwierigkeitsgrad 9b bezwungen haben.
JAKOB SCHUBERT: Im Vergleich zu einer Spinne oder einem Gecko habe ich aber nach wie vor viel Luft nach oben. Glatte Wände können wir Menschen eben nicht klettern.
Gut ausgewichen – aber nur, damit man sich das vorstellen kann: Wie viele Finger brauchen Sie für einen Klimmzug?
JAKOB SCHUBERT: Ich trainiere das gar nicht so oft, außer zu Beginn des Lockdowns. Da ist nur das Griffbrett geblieben. Ich übe an und in der Wand, in einer echt geilen Halle, eine Route im Vorstieg kann 35 Züge brauchen. Was ich sagen kann: Wenn man einarmig Klimmzüge schafft, kann man es auch mit einem Finger. Dann geht es nur noch um die Frage, wie viel Schmerzen man aushalten kann.
Sie sind Weltspitze an der künstlichen Wand, aber auch am Fels. Warum machen Sie beides?
JAKOB SCHUBERT: Es ist ja ähnlich, ich war immer schon gern auf dem Fels. Und man lernt da viel übers Klettern – und viel über sich selbst.
Was zum Beispiel?
JAKOB SCHUBERT: Wenn man eine schwere Route am Limit probiert, also etwa eine „9b+“-Route, da muss ich auch sehr oft probieren, alles optimieren, um es zu schaffen. Man erkennt, wo man gut ist und wo nicht. Optimieren heißt ja auch, es anders zu machen als die anderen. Selbst zu lernen, was es heißt, perfekt und effizient zu agieren.
Gibt es da keine Momente der Angst?
JAKOB SCHUBERT: In der Halle ist man ja eingehängt, fällt nie weit runter. Und an die paar Meter gewöhnt man sich. Auf schweren Routen am Fels lässt man mitunter sogar ein paar Sicherungshaken aus, weil jeder Einhänger Kraft kostet. Da gibt es größere Stürze, aber auch daran gewöhnt man sich. Wo ich Respekt habe: Im alpinen Gelände, wenn die Haken weit auseinander sind – da denke ich auch nach.
Wie sind Sie als, nennen wir es Naturbursch, mit dem Lockdown umgegangen? Dem Eingesperrtsein?
JAKOB SCHUBERT: Es ist für keinen Sportler leicht, wenn man nicht mehr machen kann, was man am liebsten tut. Aber wir konnten bald wenigstens im Garten zusammen trainieren und an den Schwächen arbeiten – in die investiert man sonst ohnehin nicht so gern Zeit. Ich habe viel an der Mobilisierung gearbeitet, am Dehnen.
Zählen Sie jetzt eigentlich die Tage bis zu Olympia 2021?
JAKOB SCHUBERT: Würde ich das machen, müsste ich wohl meine Karriere beenden. Ich bin erst ein paar Momente vor dem Einstieg nervös. Die Woche davor kann ich sicher gut schlafen. Und es hilft sicher, unter Druck gestanden zu sein, damit positive Erfahrungen gemacht zu haben. In Innsbruck habe ich abliefern können und Gold vor dem Heimpublikum geholt.
Also gibt es auch keine „Versagensängste“, wie das manche nennen?
JAKOB SCHUBERT: Nicht, wenn man solide und glücklich im Leben steht. Wenn es 2021 nicht klappt mit dem Medaillentraum, und die Wahrscheinlichkeit ist ja durchaus gegeben, wird mein Leben nicht zugrunde gehen.
Wie bekannt ist man mittlerweile als Kletterikone? In Österreich einmal?
JAKOB SCHUBERT:In einem Klettergebiet sind die Chancen hoch, dass ich erkannt werde. In Innsbruck auch, aber es ist nicht so, dass ich deswegen mit Sonnenbrille und Hut außer Haus gehen müsste. Außerhalb Tirols und der Kletterszene bin ich noch nicht so bekannt. Aber vielleicht ändert sich das ja noch.
Aber Sie können gut vom Klettern leben?
JAKOB SCHUBERT: Ich kann gut davon leben, aber nicht zum 30er im Dezember in Pension gehen. Die Aufmerksamkeit steigt, dazu habe ich gute und treue Sponsoren. Und dank Olympia haben wir ja jetzt auch Plätze beim Bundesheer.
Zurück zum Anfang: Sie sind Favorit in einer Sommersportart, das ist an sich schon eine Sensation für Österreich, oder?
JAKOB SCHUBERT: Natürlich ist in Österreich viel auf den Wintersport ausgelegt, im Sommersport hinken wir da ein wenig hinterher, warten schon lange auf Gold. Das liegt aber an den verschiedensten Dingen: weniger Aufmerksamkeit, weniger Geld, weniger Trainingsstätten. In Tirol warten die Schwimmer ja nach wie vor auf ein 50-Meter-Becken, um ein Beispiel zu nennen. Wir Kletterer versuchen, dass wir dem Sommersport mehr Aufmerksamkeit verschaffen - hoffentlich gelingt's.
Sie als Tiroler stehen aber auch auf Skiern, oder?
JAKOB SCHUBERT: Verbieten tut es mir zumindest keiner. Aber ehrlich: Ich habe ganz selten Zeit dafür. Im Winter bin ich meist im Süden, um zu trainieren. Aber können tu ich Ski fahren schon, ja.